Russland Russland: Kein Platz für Tote

Moskau/dpa. - Schon die Särge des Ex-Präsidenten Boris Jelzin unddes Musikers Mstislaw Rostropowitsch konnten im Frühjahr nur mit Notauf dem Moskauer Neujungfrauen-Friedhof begraben werden. Jetzt findesich selbst für Prominente dort wie auch an der Kremlmauer kein Platzmehr, sagte der Leiter der Präsidialverwaltung, Wladimir Koschin, ineinem Zeitungsinterview. In vielen Großstädten Russlands geraten dieFriedhöfe an ihre Grenzen. Bis zu 600 000 Rubel (14 000 Euro) müssenMoskauer selbst auf entlegenen Friedhöfen für eine Grabstelle zahlen.Weil der Platz nicht für alle reicht, wirbt die Stadt Moskau nunintensiv für Feuerbestattungen - sehr zum Ärger der Kirche.
Die wieder erstarkte russisch-orthodoxe Kirche verurteiltUrnenbestattungen als «heidnischen Brauch». Das Moskauer Patriarchatwarnt davor, «Gotteslästerung» zu betreiben, denn die sterblichenÜberreste gehörten in die Erde. Schätzungen zufolge liegt die Zahlder Feuerbestattungen im landesweiten Durchschnitt bei unter 20Prozent. In Deutschland werden inzwischen bereits etwa die Hälfte derLeichen eingeäschert.
Moskau könne noch höchstens acht Jahre Gräber bereitstellen, sagtder Chef der für Bestattungswesen zuständigen Behörde, WladimirMalyschkow. Einzelne der etwa 70 städtischen Friedhöfe seien schonjetzt geschlossen, Erweiterungen unmöglich. In der 13-Millionen-StadtMoskau gebe es aber bisher nur vier Krematorien. Wenn sich mehrMenschen für die Feuerbestattung entschieden, würden die Kapazitätenauf Dauer nicht mehr ausreichen. Überall in Russland fehlt es nichtnur an den Einrichtungen, sondern auch am Personal, das die Öfenbetreibt.
Den noch jungen Markt entdecken zunehmend Unternehmer ausDeutschland für sich. «Es gibt einen Sinneswandel in der russischenGesellschaft hin zu alternativen Bestattungsformen», sagt eindeutscher Hersteller von Krematorien, der ungenannt bleiben will.Viele Menschen in dem Riesenreich überzeugt vor allem dervergleichsweise niedrige Preis für ein Urnengrab. EineFeuerbestattung kostet gegenwärtig rund 4000 Rubel. Das ist so vielwie eine durchschnittliche Monatsrente in Moskau.
«Mein Vater wollte unbedingt auf dem Friedhof in Ostankinobeerdigt werden, dafür mussten Mutter und ich 600 000 Rubelhinblättern - und das war nur das Grundstück», erzählt derWerbefachmann Ilja. Er zahlte so viel wie ein durchschnittlichesMoskauer Jahresgehalt. Laut Medienberichten kosten die meisten Gräberzwischen 100 000 und 400 000 Rubel. Dabei wollen viele Angehörigenicht auf Friedhöfe in den Vororten ausweichen: Zu weit weg fürtraditionelle Grabbesuche, zu wenig Infrastruktur und immer wiederÜberschwemmungen wegen mangelnder Kanalisation, lauten ihre Einwände.
Die Beerdigungskosten steigen indes laut russischenMedienberichten stetig weiter. Im August verdoppelte der Monopolist«Ritual» die offiziellen Preise. Viele Moskowiter beklagen, dassdas Unternehmen mit seiner Marktdominanz die Preise für die wenigenfreien Parzellen auf den staatlichen Friedhöfen beliebig in die Höhetreibe.
«Es hat sich viel geändert - noch vor 10, 15 Jahren konnten dieLeute mit einer Tasche voller Geld auf einen beliebigen Friedhofgehen und sich ihren Ort der ewigen Ruhe kaufen», sagt einTotengräber auf dem Moskauer Friedhof Wagankowo. Das sei nicht nurein Hauptstadtproblem, schrieb die Zeitung «Nowyje Iswestija».Ähnlich gehe es auch Städten wie St. Petersburg, Wladiwostok,Uljanowsk und Stawropol. Das Sprichwort «Umsonst ist nur der Tod»gilt auch in Russland schon lange nicht mehr. Die Zeitung schrieb:«Es ist billiger zu leben.»