Sexuelle Belästigung Roy Moore: Neue Vorwürfe bringen Republikaner in Bedrängnis

Washington - Die Frau mit dem blassen Gesicht und den rötlichen Haaren fühlt sich spürbar unwohl. Mit mühsam unterdrückten Tränen schildert sie erstmals eine vier Jahrzehnte zurückliegende Begebenheit: Nach der Schule hatte Beverly Young Nelson im „Old Hickory House“ nahe ihrer Heimatstadt Gadsden im ländlichen Nordosten Alabamas als Bedienung gearbeitet. An einem kalten Winterabend, das Mädchen war gerade 16 Jahre alt geworden, bot ihr ein Stammgast an, sie nachhause zu fahren. Was dann geschehen sein soll, liest die inzwischen 56-Jährige am Montag bei einer Pressekonferenz in New York mit stockender Stimme vor.
Nachdem sie eingestiegen war, steuerte der Mann das Auto auf einen dunklen Platz hinter dem Restaurant. Er begrapschte sie und fasste sie an die Brüste. Als sie zu fliehen versuchte, verschloss er die Wagentür, packte sie hart am Nacken und drückte ihr Gesicht auf seine Genitalien. „Ich hatte furchtbare Angst. Er versuchte, meine Bluse auszuziehen. Ich dachte, er werde mich vergewaltigen“, erinnert sich Nelson. Sie weinte, kämpfte und bettelte. Schließlich ließ der Mann von ihr ab. „Du bist ein Kind. Ich bin der Bezirksstaatsanwalt. Niemand wird Dir glauben“, soll er gesagt haben.
Regionale Affäre wird für Republikaner zum nationalen Notfall
Der Fall liegt lange zurück. Aber seine politische Brisanz ist hochaktuell. Der Mann hatte der Kellnerin nämlich ein paar Wochen zuvor eine Widmung in ein Buch geschrieben. Sein Name: Roy Moore. Nach einer steilen juristischen Karriere und dem Aufstieg zum Idol vieler rechter Evangelikaler im Bibelgürtel der USA hatte der heute 70-Jährige bis vor wenigen Tagen allerbeste Chancen, neuer Senator von Alabama zu werden. Sein religiöser Fanatismus, der die Zehn Gebote über das staatliche Recht stellt und Homosexualität als Sodomie verdammt, kommt in dem konservativen Südstaat gut an.
Doch in der vorigen Woche haben vier Frauen der Washington Post berichtet, dass Moore sie als Minderjährige sexuell belästigt habe. Beverly Young Nelson ist die fünfte, und mit ihrem öffentlichen Auftritt vor laufenden Kameras hat sie die vermeintlich regionale Affäre endgültig zum nationalen Notfall der republikanischen Partei gemacht.
„Ich glaube den Frauen“, sagte Mitch McConnell, der Mehrheitsführer der Republikaner im Senat: „Er sollte abtreten“. Etwa ein Dutzend republikanische Senatoren schlossen sich dem Aufruf an. Doch Moore denkt gar nicht ans Aufgeben. Mit dem Establishment der republikanischen Partei liegt der Apologet eines extremen Trump-Populismus ohnehin überkreuz, und seine Basis bejubelt ihn mit Ovationen. Selbst vor blasphemischen Vergleichen mit dem Zimmermann Josef, der die jugendliche Maria geschwängert habe, schrecken seine Unterstützer nicht zurück. Moore bestreitet alle Vorwürfe, spricht von einer „Hexenjagd“ und holt zum Gegenschlag aus: „Wenn einer zurücktreten sollte, dann Mitch McConnell“, griff er bei Twitter den „gescheiterten Republikaner“ an.
Der Präsident schweigt
Damit hat die Partei von Donald Trump ein gewaltiges Problem. Rechtlich haben die Republikaner in Washington keinerlei Durchgriffsrechte in Alabama. Die Stimmzettel für den Urnengang am 12. Dezember sind gedruckt und können nicht mehr geändert werden. Würde Moore, der bei Umfragen stets weit vor dem demokratischen Kandidaten lag, gewinnen und in den Senat einziehen, dürfte die Missbrauchsdebatte die politische Agenda des Präsidenten monatelang überschatten. Verliert Moore, erodiert die ohnehin hauchdünne Mehrheit im Senat weiter: Die Republikaner hätten dann gerade noch eine Stimme Vorsprung, um zentrale Vorhaben wie die Steuerreform zu verabschieden.
Fieberhaft wird nun nach einem Ausweg gesucht. Eine bizarre Lösung könnte eine sogenannte „Write-in“-Bewerbung sein. Das Wahlrecht in Alabama erlaubt es, handschriftlich einen Namen auf dem Stimmzettel zu ergänzen. Angeblich will Mehrheitsführer McConnell den derzeitigen Justizminister Jeff Sessions, der den Senatorensitz für Alabama bis zu seinem Wechsel in die Regierung innehatte, zu diesem Himmelfahrtskommando drängen.
Für Trump hätte diese Lösung durchaus Charme. Seit Monaten zeigt er sich unzufrieden mit Sessions, weil dieser es nicht schafft, die Kritiker in der Russland-Affäre zum Schweigen zu bringen. Doch der Präsident schweigt bislang. Ursprünglich hatte er in der Alabama-Vorwahl den gemäßigten Republikaner Luther Strange unterstützt. Als dann der ultrarechte Eiferer Moore gewann, wechselte Trump eilig die Seite: „Ich habe mit ihm gestern zum ersten Mal gesprochen. Er klingt wie ein wirklich toller Kerl“, twitterte er: „Er wird helfen, Amerika wieder groß zu machen.“