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Revolution auf 14 Seiten Revolution auf 14 Seiten: Thilo Sarrazin brachte der DDR die D-Mark

30.06.2015, 19:32
Thilo Sarrazin in seinem Berliner Arbeitszimmer. Derzeit schreibt er an einem neuen Buch.
Thilo Sarrazin in seinem Berliner Arbeitszimmer. Derzeit schreibt er an einem neuen Buch. Markus Wächter Lizenz

Halle (Saale) - Wer brachte den Ostdeutschen am 1. Juli 1990 die D-Mark? Der Kanzler Helmut Kohl? Der Finanzminister Theo Waigel? Politisch gesehen vielleicht. Die Bundesbank druckte jedenfalls das Geld. Die Blaupause für die Währungsunion hat damals allerdings ein noch weitgehend unbekannter Referatsleiter im Bundesfinanzministerium geschrieben: Thilo Sarrazin. Durch seine umstrittenen Bücher „Deutschland schafft sich ab“ und „Europa braucht den Euro nicht“ ist der ehemalige Berliner Finanzsenator und Bundesbank-Vorstand später bundesweit bekannt geworden. Wie kam es nun genau zur deutschen Währungsunion? Ist sie für den Zusammenbruch der DDR-Wirtschaft verantwortlich und lassen sich Parallelen zum Euro ziehen? Steffen Höhne sprach darüber mit Thilo Sarrazin.

Als Zwölfjähriger habe ich den Mauerfall am 9. November 89 verschlafen. Ich habe gelesen, Sie auch.

Sarrazin: Ja, das stimmt. Ich war damals Beamter im Bundesfinanzministerium und hatte mir aus zeitökonomischen Gründen angewöhnt, keine Fernsehnachrichten zu schauen. Dies bringt meist wenig. Sie können sich vorstellen, wie baff ich war, als ich am nächsten Morgen in die Zeitung „Bonner Generalanzeiger“ schaute und dort die Schlagzeile las: „Die Mauer ist offen“.

Sie waren als Referatsleiter im Bundesfinanzministerium zuständig für Nationale Währungsfragen und ab Februar 1990 auch für innerdeutsche Beziehungen. Ab wann beschäftigten Sie sich mit einer möglichen Währungsunion?

Sarrazin: Als die Mauer offen war, herrschte politisch zunächst die große Ratlosigkeit. Bei mir im Kopf entwickelte sich die Idee einer Währungsunion ab Anfang Dezember 1989. Ich sammelte damals alle verfügbaren ökonomischen Daten zur DDR-Wirtschaft und sprach auch darüber mit meinem Chef, dem Staatssekretär Horst Köhler (der spätere Bundespräsident, Anm. der Red.). Ich durfte daran aber keinen beteiligen. Am 26. Januar 1990 bat mich Köhler, meine Überlegungen in einem Papier zusammenzufassen. Aber nur für ihn. Dieser 14-seitige Text ist die Blaupause einer deutschen Währungsunion mit allen wesentlichen technischen Einzelheiten.

Sie haben sich dies also alles im stillen Kämmerchen ausgedacht?

Sarrazin: Aus politischen Gründen durfte man bestimmte Dinge nicht denken. Bis vor einer Woche gab es sicher keinen Beraterstab im Bundesfinanzministerium, der den Austritt Griechenlands aus der Euro-Zone ausgearbeitet hat. Denn allein die Existenz des Stabes wäre eine politische Aussage. Ähnlich war es mit dem Wort Währungsunion damals. Man wusste nicht, wie sich beispielsweise die politische Situation in der Sowjetunion entwickelt.

Die Mauer fällt. Tausende DDR-Bürger stürmen in den Westen und stehen an den Zahlstellen in Schlangen für 100 D-Mark „Begrüßungsgeld“ an.

Bundeskanzler Helmut Kohl legt einen Zehn-Punkte-Plan für den Weg zur Wiedervereinigung vor. Von einer baldigen Währungsunion oder gar Vereinigung ist noch keine Rede.

Kohl kündigt überraschend an, der DDR sofortige Verhandlungen über eine Wirtschafts- und Währungsunion vorzuschlagen.

Kohl und DDR-Ministerpräsident Hans Modrow verständigen sich im Grundsatz auf eine Währungsunion. Eine gemeinsame Kommission soll sofort für die Einführung der D-Mark in der DDR die Voraussetzungen schaffen.

Die Koalition in Bonn einigt sich auf die Grundzüge eines Staatsvertrages zur Währungsunion. Gegen den Rat der Bundesbank soll demnach der grundsätzliche Umstellungskurs 1:1 betragen.

Bundesfinanzminister Theo Waigel und sein DDR-Amtskollege Walter Romberg unterzeichnen den Staatsvertrag über die Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion.

Bundesrepublik und DDR sind wirtschaftlich vereint. Drei Monate vor der Einheit löst die D-Mark das DDR-Geld ab. An der innerdeutschen Grenze fallen die Personenkontrollen weg.  

Das Wechselkurs-Verhältnis von 1:1 stand in Ihrer Blaupause bereits drin?

Sarrazin: Natürlich, der Wechselkurs ist ein zentrales Element einer Währungsunion. Ich hatte dies auch umfangreich mit den Einkommens- und Produktivitätsverhältnissen in der DDR begründet. Als Zeitraum für eine Vorbereitung nahm ich ein Jahr an. Dies erschien mir damals kühn. Es ging dann noch viel schneller.

Warum?

Sarrazin: Die politische Debatte damals war getrieben von drei großen Fragen, wozu nicht die Einheit gehörte. Die erste Frage beschäftigte sich mit dem Verhältnis Ost-West, dem drohenden Zusammenbruch des Ostblocks. Die zweite Frage war, wie man mit dem Zerfall des politischen Systems in der DDR umgehen sollte. Drittens waren dies die großen Aussiedlerzahlen. Das gipfelte in dem Spruch: „Wenn die D-Mark nicht zu uns kommt, kommen wir zur D-Mark.“

Wie ging es weiter mit ihrem Papier?

Sarrazin: Die Ausarbeitung war am 29. Januar fertig. Köhler ging damit zuerst zu Finanzminister Theo Waigel. Beide anschließend zu Kohl. Am 6. Februar machte der Kanzler der DDR das Angebot zum Beitritt.

Der damalige Bundesbankpräsident Pöhl fühlte sich übergangen und soll geschäumt haben.

Sarrazin: Ja, so war das wohl. In einer Sitzung bezeichnete Bundesbank-Vize Helmut Schlesinger mein Papier als undurchdacht und nicht umsetzbar. Köhler trat mir unter dem Tisch mehrmals gegen das Bein und deutete mir an, den Mund zu halten. Politisch waren die Würfel längst gefallen. Letztendlich wurden meine Vorschläge zu 90 Prozent umgesetzt. Die Geldbestände wurden dann 1:2 umgetauscht. Doch gab es hohe Freibeträge für private Guthaben. Gegenseitige Forderungen der Kombinate entfielen, anders als bei mir vorgesehen, nicht. Daher hatten einige Betriebe hohe Schulden nach der Währungsunion - die es in der Planwirtschaft so nicht gab.

Auf der nächsten Seite: Hat Sarrazin die Auswirkungen seines Plans unterschätzt? Viele ostdeutschen Firmen gingen Pleite.

Die Einführung der starken Währung war rückblickend der Todesstoß für viele ostdeutsche Betriebe. Firmen können ruhig unproduktiv arbeiten, solange die Währung nur schwach genug ist, finden sie Abnehmer für ihre Waren. Haben Sie die brisante Lage unterschätzt?

Sarrazin: Jein. Die Planwirtschaft basierte auf garantierten Abnahmen - sowohl innerhalb des Staates als auch unter sozialistischen Ländern. Die Betriebe hatten also keinen Vertrieb. Zudem waren Westprodukte bei den DDR-Bürgern gefragt. Unabhängig von Preis- und Kostenfragen brach der Absatz weg.

Das ändert nichts daran, dass der Wechselkurs für viele Ostfirmen viel zu hoch war.

Sarrazin: Um die wahre Produktivität der Betriebe abzubilden, hätte man einen Wechselkurs von 1:6 bis 1:10 nehmen müssen. Die ohnehin niedrigen Löhne im Osten wären drastisch geschrumpft. Das wäre ökonomisch und politisch ein Unding gewesen. Und auch dies hätte in vielen Fällen nur wenig genutzt. Denn ein PC von Robotron war in der technischen Entwicklung zehn Jahre hinter IBM zurück. Das Produkt war unverkäuflich. Es stimmt allerdings, dass Anpassungen, die in Polen oder Tschechien in zehn Jahren vorgenommen wurden, die neuen Länder in zwei bis drei Jahren durchliefen - mit allen sozialen Härten wie der hohen Arbeitslosigkeit.

Die neuen Länder hinken wirtschaftlich immer noch hinter den alten Ländern hinterher. Was ist denn schiefgelaufen?

Sarrazin: Die Lücke wurde stark verkleinert. Der Kapitalstock je Einwohner liegt jetzt bei 76 Prozent des westdeutschen Niveaus, das BIP bei 71 Prozent. Neue Unternehmen und Industrien benötigen Zeit, um sich zu etablieren. Die restliche Lücke wird sich, wenn überhaupt, erst langfristig schließen. Es gibt aber auch zwischen Nord- und Süddeutschland größere Wohlstandsunterschiede ...

... das sind politische Worthülsen. Es gibt keine Region in Ostdeutschland, die sich wirtschaftlich selbst trägt. Das muss doch einem Ökonomen wie Ihnen zu denken geben.

Sarrazin: Der vergleichsweise hohe Lebensstandard in Ostdeutschland wird weiter durch Sozialtransfers gesichert, ja. Die neuen Länder könnten sich auch selbst finanzieren, aber auf einem anderen Wohlstandsniveau.

Die Mauer fällt. Tausende DDR-Bürger stürmen in den Westen und stehen an den Zahlstellen in Schlangen für 100 D-Mark „Begrüßungsgeld“ an.

Bundeskanzler Helmut Kohl legt einen Zehn-Punkte-Plan für den Weg zur Wiedervereinigung vor. Von einer baldigen Währungsunion oder gar Vereinigung ist noch keine Rede.

Kohl kündigt überraschend an, der DDR sofortige Verhandlungen über eine Wirtschafts- und Währungsunion vorzuschlagen.

Kohl und DDR-Ministerpräsident Hans Modrow verständigen sich im Grundsatz auf eine Währungsunion. Eine gemeinsame Kommission soll sofort für die Einführung der D-Mark in der DDR die Voraussetzungen schaffen.

Die Koalition in Bonn einigt sich auf die Grundzüge eines Staatsvertrages zur Währungsunion. Gegen den Rat der Bundesbank soll demnach der grundsätzliche Umstellungskurs 1:1 betragen.

Bundesfinanzminister Theo Waigel und sein DDR-Amtskollege Walter Romberg unterzeichnen den Staatsvertrag über die Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion.

Bundesrepublik und DDR sind wirtschaftlich vereint. Drei Monate vor der Einheit löst die D-Mark das DDR-Geld ab. An der innerdeutschen Grenze fallen die Personenkontrollen weg.  

Wäre es nicht besser, mehr Geld in die Entwicklung von Industrien als in Sozialprogramme zu stecken?

Sarrazin: Wollen Sie den ostdeutschen Rentnern oder Arbeitslosen Geld wegnehmen, um es den Firmen zu geben? Es ist gelungen, einige wichtige Industriezentren zu erhalten. Heute muss man fragen, warum gibt es kein Google in Halle? Man kann die Entstehung von Firmen nicht politisch verordnen. Es gab in der DDR keinen Mangel an fähigen Ingenieuren, aber an Menschen, die den Mut gefasst haben, selbst eine Firma zu führen.

Wurden die Lehren der deutschen Währungsunion zu wenig bei der Euro-Einführung beachtet? Griechenland ächzt unter dem starken Euro.

Sarrazin: Der Vergleich ist aus mehreren Gründen nicht möglich: Erstens trat mit der DDR ein kleiner Währungsraum einem größeren bei. Zweites haben sich beim Euro marktwirtschaftliche Staaten miteinander verbunden. Drittens fehlt beim Euro ein gemeinsamer Staat und viertens sind die Deutschen in Ost und West von ihrer Mentalität her und ihrem Arbeitsverhalten ähnlich.

In Ihren Buch „Deutschland schafft sich ab“ sprechen Sie - zugespitzt gesagt - Migranten aus muslimisch geprägten Ländern ein bestimmtes Arbeitsethos ab. Dafür mussten Sie viel Kritik einstecken. Gilt dies jetzt auch für die Griechen?

Sarrazin: Es geht mir nicht darum, Unterschiede der Menschen zu bewerten. Ein wirtschaftliches System und eine Währung muss aber zur jeweiligen Gesellschaft, ihrem Entwicklungsstand und ihrer Kultur passen, ob es sich nun um die Steuermoral oder die Verbreitung von Korruption handelt. Bei zu großen Unterschieden funktioniert eine gemeinsame Währung nicht.

Auch in der Euro-Zone läuft es auf Transferzahlungen hinaus. In einer Währungsunion müssen reichere Regionen oder Staaten die ärmeren mitfinanzieren, da sonst das gesamte Konstrukt zusammenbricht.

Sarrazin: Fiskalische Selbstverantwortung aller Mitgliedsstaaten ist die zentrale Funktionsbedingung einer Währungsunion. Die Misswirtschaft des kleinen Griechenlands hat schon 400 Milliarden Euro verbrannt. Übertragen Sie so etwas mal auf eine Schieflage von Italien oder Frankreich!

Es ist keine gute Idee eine Währung einzuführen für Gebiete, die wirtschaftlich unterschiedlich stark sind, oder?

Sarrazin: Auch dies stimmt so nicht. Der Unterschied zwischen den amerikanischen Staaten Kalifornien und Tennessee ist größer als zwischen Bayern und Mecklenburg-Vorpommern.

Dann werden wir uns innerhalb der Euro-Zone auf Arbeitswanderungen wie in den USA einstellen müssen?

Sarrazin: In einem gewissen Rahmen sicherlich.

Durch die europäische Währungsunion wird nationalstaatliche Souveränität deutlich beschnitten. Läuft dies am Ende auf einen europäischen Bundesstaat hinaus?

Sarrazin: Das wäre die logische Konsequenz. Doch da wage ich lieber keine Prognose.

Sie plädieren ja auch in Ihrem Euro-Buch dafür, die Gemeinschaftswährung lieber abzuschaffen.

Sarrazin: Das tue ich nicht. Ich habe nur ausgeführt, dass allein durch den Euro kein Wohlstand entsteht. Eine stabile Währung ist für alle Länder am Ende förderlich. Es darf allerdings nicht sein, dass einige Länder durch eine unsolide Finanzpolitik andere in Schwierigkeiten bringen. Allein Solidarität heraufzubeschwören, kann von keiner Seite die Lösung sein. (mz)