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Bertelsmann-Studie Repräsentative Studie der Bertelsmann-Stiftung: Flüchtlinge in Deutschland noch immer willkommen - aber in Grenzen

Von Melanie Reinsch 07.04.2017, 14:33
Symbolbild
Symbolbild dpa Lizenz

Berlin - Die Deutschen präsentieren sich als eine offene und gereifte Einwanderungsgesellschaft. Allerdings ist die Bereitschaft, weitere Flüchtlinge aufzunehmen, an ihre Grenzen gekommen: Heute sehen 54 Prozent der Deutschen die Belastungsgrenze erreicht, vor rund zwei Jahren teilten diese Auffassung noch 40 Prozent.

Nicht einmal mehr zwei von fünf Befragten sind dafür, aus humanitären Gründen weitere Flüchtlinge aufzunehmen, im Jahr 2015 war das noch jeder zweite. Zu diesen Ergebnissen kommt eine neue repräsentative Studie der Bertelsmann-Stiftung auf Grundlage einer aktuellen Emnid-Umfrage, die am Freitag veröffentlicht wurde.

Allerdings schreiben die Forscher auch, dass diese Zahlen nicht als kompletter Stimmungsumschwung in der Behandlung von Flüchtlingen zu bewerten seien. Noch immer wünsche sich eine überwältigende und steigende Mehrheit eine faire Lastenverteilung in Europa. Diese im Herbst 2015 von der EU-Kommission vorgeschlagene, aber bisher nicht umgesetzte Regelung zur Verteilung befürworten mittlerweile acht von zehn Befragten. Sie sind der Meinung, dass jedes EU-Land, abhängig von Größe und Wirtschaftskraft, eine feste Anzahl von Flüchtlingen aufnehmen müsse.

„Jetzt sind andere Länder an der Reihe“

„Die Menschen in Deutschland blicken selbstbewusst darauf zurück, so viele Flüchtlinge so freundlich empfangen zu haben. Sie sagen aber auch: Jetzt sind andere Länder ebenfalls an der Reihe“, sagte Jörg Dräger vom Vorstand der Bertelsmann-Stiftung.

Gegen einen Klimawandel spricht auch, dass sich 80 Prozent der Befragten für eine rasche Arbeitsaufnahme der Flüchtlinge aussprechen. Weniger als ein Fünftel der Befragten sehen die Flüchtlinge nur als „Gäste auf Zeit“ und finden, dass keine Integrationsbemühungen unternommen werden müssen.

„Es ist klar, dass sich so eine Akzeptanz nicht auf Dauer halten kann, wenn das Gefühl aufkommt, dass Deutschland diese Aufgabe alleine bewältigen muss. Die Verantwortung muss Europa gemeinsam übernehmen“, sagte auch Ulrich Lilie, Präsident der Diakonie Deutschland, dieser Zeitung. Man müsse klar machen, dass sich einige Länder nicht einfach entziehen könnten und auch politisch Druck machen.

Noch immer ungebrochenes Engagement in Zivilgesellschaft

Peter Neher, Präsident des Deutschen Caritasverbandes, stellt fest, dass es „nach wie vor ein hohes und ungebrochenes Engagement in der Zivilgesellschaft“ gebe. „Da ist kein Rückgang zu erkennen. Das ist ein wichtiges Signal. Die Integration ist ohne das Ehrenamt nicht zu leisten und ein wichtiger Bestandteil unseres Landes“, sagte Neher dieser Zeitung. Immer noch kämen neue Helfer. Die würden aber jetzt an anderer Stelle gebraucht, für die Integration, zum Beispiel als Paten oder für Gänge zu den Ämtern. Allerdings hätten die Angriffe auf die Flüchtlingshelfer in den vergangenen zwei Jahren zugenommen. Das ginge von Schmierereien und Hass-Mails bis zu tätlichen Angriffen, sagt Neher.

Bei einem Empfang von ehrenamtlichen Flüchtlingshelfern im Kanzleramt mahnte auch Veronika Ortega aus dem bayerischen Gunzenhausen die Bundeskanzlerin, sie solle „nicht so sehr auf die lauten Stimmen hören“. Es gebe sehr viele Hilfsbereite: „Wir sind die Mehrheit.“

Merkel sagte, sie müsse als Kanzlerin beide Seiten hören. Sicher sei aber: „Niemand verlässt seine Heimat ohne ziemlich triftige Gründe.“

Ost-West-Schere öffnet sich immer weiter

Die Interviewpartner wurden bei einigen Fragen nicht direkt nach ihrer eigenen Haltung, sondern nach ihrer Wahrnehmung befragt – dieser indirekte Zugang zur Einschätzung der Willkommenskultur soll ermöglichen, dass die Befragten sich auch negativ äußern können, ohne dafür normativ haftbar gemacht zu werden („Soziale Erwünschtheit“). Außerdem soll diese Fragetechnik die Reichweite erhöhen.

Dabei war auffällig, dass es erhebliche Differenzen zwischen Ost und West gibt. Die Schere hat schon immer bestanden, sie hat sich aber noch weiter geöffnet. Schon vor zwei Jahren blickten die Ostdeutschen skeptischer auf die Einwanderung. Während im Osten mit 53 Prozent immerhin noch eine knappe Mehrheit sagt, die Bevölkerung heiße Einwanderer willkommen, sind es im Westen 74 Prozent. Nur ein Drittel der Ostdeutschen meint, die Bevölkerung nehme Flüchtlinge offen auf. Davon sind im Westen hingegen doppelt so viele Bürger überzeugt. (mit vat)