Religion Religion: Erste Rabbiner seit der Nazi-Zeit werden ordiniert
Potsdam/Dresden/dpa. - Am Donnerstag(14.) werden nun in Dresden die ersten drei Studenten seit 1942ordiniert, die das an die Universität Potsdam angegliederte Kollegabsolviert haben. Zugleich ist es die erste Rabbiner-Ordination inDeutschland seit der Zerstörung der Berliner Hochschule für dieWissenschaft des Judentums 1942 durch die Nazis.
«Wir sind die einzige universitäre Ausbildungsinstitution inKontinentaleuropa», sagt der Rektor des Kollegs, Walter Homolka,selbstbewusst. «Der Bedarf an Rabbinern in Europa und weltweit istunendlich groß.» Die Ordination entspricht der Priesterweihe derchristlichen Kirchen. Danach treten die drei Rabbiner ihre neuenStellen an: Tom Kucera in München, Daniel Alter in Oldenburg und derSüdafrikaner Malcolm Matitiani in Kapstadt.
Der Namensgeber des Kollegs war Rabbiner, von 1870 bis 1875 auchin Berlin. Geiger war einer der bedeutendsten Theoretiker desliberalen Judentums. Schon 1836, vor 170 Jahren, forderte er einejüdische Fakultät an einer deutschen Universität - erst damit wäredie Integration der Juden gelungen.
Zu Anfang gab es extreme Vorbehalte jüdischer Institutionen ausdem Ausland, eine Rabbinerausbildung ausgerechnet in Deutschlandaufzubauen, sagt Homolka. «Ein Kollege äußerte Unverständnis, warumwir auf der Asche der sechs Millionen Opfer der Schoa eine solcheInstitution errichten.»
Auch der aus Tschechien stammende Kucera, der zunächst Biochemiestudiert hat, berichtet von gemischten Gefühlen, als er das erste Malin Berlin vor dem Brandenburger Tor stand: «Blitze der Vergangenheitschossen durch meinen Kopf. An die Vergangenheit muss erinnertwerden, aber es geht doch heute mehr um die Zukunft.» Er habegesehen, wie in Tschechien jüdische Gemeinden entstanden, allerdingsohne Rabbiner. «Das ist für mich eine große Motivation», sagt der 35-Jährige. Auch habe er Spaß daran, Wissen zu vermitteln.
Letztlich gaben der große Bedarf an Rabbinern und die Vorzüge des«Potsdamer Modells» den Ausschlag. Denn bis zur Gründung des Kollegsmusste man für das Rabbinerstudium ins Ausland gehen, sagt Homolka.Wenn die Studenten etwa nach London oder in die USA gingen, kamen siemeist nicht zurück. Wer 150 000 Dollar für seine Studienzeitaufgebracht hatte, war auf eine gut bezahlte Gemeindeaufgabe in denUSA angewiesen.
Das Kolleg mit seinen derzeit rund einem Dutzend Studentenorientiert sich organisatorisch an der Ausbildung für das christlich-geistliche Amt in den deutschsprachigen Ländern. Die akademischeAusbildung absolvieren die künftigen Rabbiner an der UniversitätPotsdam. «Dort haben wir einen Stiftungslehrstuhl für RabbinischeStudien und Liturgie eingerichtet, um das Lehrangebot abzurunden»,sagt Homolka. Vor allem der praktische Teil wird am Kolleg ergänzt.
Fünf Jahre dauert die Ausbildung. Der Magisterstudiengang«Jüdische Studien» an der Universität reicht von Jüdischen Texten ausBibel, Talmud und Midrach (Auslegung religiöser Texte),Religionsphilosophie und Geistesgeschichte über Soziologie derjüdischen Gemeinden und praktische Liturgie bis zu synagogaler Musikund Seelsorge. Besonders aufwendig sind die Sprachen Hebräisch,Aramäisch und - als Wahlfach - Jiddisch.
Fester Bestandteil der Ausbildung ist ein Jahresaufenthalt inIsrael mit Studien an den dortigen Universitäten. Außerdem arbeitendie Studenten an ein bis zwei Wochenenden pro Monat in jüdischenGemeinden. «Mit unserer Ausbildung können wir in Deutschland sichermehr als die Hälfte der rund 100 jüdischen Gemeinden bedienen»,schätzt Homolka, nämlich vor allem die des liberalen undkonservativen Judentums.
Die Ausbildung an Universität und Kolleg habe Modellcharakter, istHomolka überzeugt. «Um dieses Modell aber auf Dauer sichern zukönnen, brauchen wir mindestens 550 000 Euro im Jahr.» Bislang lebtedas Kolleg vor allem von Spenden aus den USA. Die künftigeFinanzierung des Rabbinerseminars wird durch ein Zusammenwirken vonBund, Zentralrat der Juden und Leo Baeck Foundation gesichert.Außerdem sollen die 16 Bundesländer jährlich 150 000 Euro beisteuern.Darüber wird aber noch verhandelt.