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Reinhold Messner Reinhold Messner: Alpinistenlegende: «Die Berge sind kein Disneyland»

14.08.2011, 16:58

KÖLN/MZ. - Er hat alle Achttausender der Welt bestiegen und zahlreiche Bücher geschrieben: Die Alpinistenlegende Reinhold Messner gilt vielen Menschen als der Bergsteiger schlechthin. Martin Benninghoff hat für die Mitteldeutsche Zeitung mit dem 66-Jährigen über seine neuen Projekte gesprochen, europäische Politik und die Bedrohung der Berge durch den Massentourismus.

Herr Messner, Sie haben vor einigen Tagen Kanzlerin Merkel in ihrem Südtiroler Urlaubsort Sulden am Ortler bewirtet. Wie haben Sie die Kanzlerin erlebt?

Messner: Sie macht seit Jahren in Sulden Urlaub, weil sie dort ihre Ruhe hat. Sie wandert gerne und ist auf einen Berg gestiegen, auf die Schöntaufspitze habe ich gehört. Es ist einfach sehr nett, mit der Kanzlerin und Herrn Sauer (Merkels Ehemann Joachim Sauer, Anm. d. R.) ganz locker einen Abend zu verbringen - meine Familie war auch dabei.

Worüber haben Sie gesprochen?

Messner: Zum Beispiel über die Frage, wann wir Südtiroler endlich eine europäische Staatsbürgerschaft haben können. Wir Südtiroler sitzen immer zwischen den Stühlen, solange wir zu einem Staat gehören, der uns mehr oder weniger als Kriegsbeute 1918 übernommen hat. Mit einer europäischen Staatsbürgerschaft wären wir Südtiroler ja vielleicht auch in Italien zu Hause, aber vor allem Europäer und Weltbürger. Wir Südtiroler sind die ersten, die selbstverständlich Europäer werden wollen. Ich würde mir wünschen, dass alle Europäer in Zukunft so denken würden, weil wir sonst den ganzen Haufen aus Italienern, Deutschen oder Franzosen kaum zusammenhalten können.

Verstärkt die Angst vor einer taumelnden Wirtschaftsmacht Italien diesen Wunsch?

Messner: Bei vielen Südtirolern sicherlich ja, bei mir privat eher nicht. Viele fragen sich: Warum sollen wir, die wir uns mit Italien kaum identifizieren, auch noch Schulden übernehmen?

Möchte die Kanzlerin nicht lieber Abstand von politischen Themen in ihrem Urlaub nehmen?

Messner: Sie ist sehr leutselig und interessiert an den Themen, die in ihrer Umgebung wichtig sind, und sie war gut erholt. Man bekommt den Kopf frei, wenn man in seinem Rhythmus wandert, das genieße ich sehr und sie auch.

Gehen Sie auch noch klettern?

Messner: Ja, und zwar am liebsten mit meinem Sohn. Er klettert heute viel besser als ich und kann vorausklettern, wenn es schwierig wird. Dafür habe ich die Erfahrung logischerweise. Es ist einfach schön, auch wenn die Verantwortung groß ist. Neulich sind wir die Langkofel-Nordkante (in den Dolomiten, Anm. d. R.) geklettert, immerhin 1 000 Meter, und ich hatte meine Mühe. Drei Tage Muskelkater danach.

Bei Ihnen fällt auf: Sie teilen Ihr Leben in Phasen auf, denen Sie keine Träne nachweinen, zumindest nicht nach außen, wenn die Phasen vorbei sind. Was gibt Ihnen das?

Messner: Ich war ein besessener Felskletterer, und das sage ich mit aller Kritik an meiner damaligen Besessenheit. Nach dem Tod meines Bruders am Nanga Parbat und dem Verlust meiner Zehen durch Erfrieren war ich rausgerissen, ich konnte nicht mehr so gut klettern. Dann bin ich umgestiegen aufs Höhenbergsteigen, später auf die Horizontale mit Wüstendurchquerungen. Heute bin ich Museumsgründer, was mich genauso befriedigt, wenn nicht sogar mehr.

Sie haben gerade ihre fünfte Dependance des "Messner Mountain Museum" im Südtiroler Bruneck eröffnet. Was zeigt das neue Museum?

Messner: Ich zeige 20 Bergvölker unter anderem mit ihren profanen Alltagsgegenständen und versuche zu beantworten, wie die Menschen im Gebirge leben und Tourismus betreiben können, ohne ihre Existenzgrundlagen weiter zu gefährden, wie schon vielerorts geschehen. Ich habe selbst drei Bauernhöfe, wo ich versuche, Landwirtschaft und Tourismus miteinander zu verzahnen, so dass der Tourismus die Landwirtschaft ernährt. Wir werden mit der Universität Bruneck dazu Symposien abhalten und auch fremde Bergvölker einladen. Denn wir in der Alpenregion sind die weltweiten "Die Berge sind kein Disneyland" Vorreiter im Bergtourismus, weil die Alpen den ersten Tourismus vor gut 200 Jahren bekommen haben. Wir sollten die Sprecherrolle übernehmen.

Der Innsbrucker Bergsteiger Wolfgang Nairz holt sogar Sherpas nach Österreich, damit sie auf Alpenvereinshütten lernen können. . .

Messner: Ja, das finde ich sehr gut. Sie kommen mit sehr viel Know-how zurück nach Nepal und sehen natürlich, was wir falsch machen. Das können sie in ihrem Gebiet korrigieren.

Vor gut hundert Jahren wollte man eine Seilbahn auf den Gipfel des Großglockners, des höchsten Bergs Österreichs, bauen - ein Plan, der zum Glück verhindert wurde. Was sind die größten Fehler im heutigen Alpintourismus?

Messner: Man hat bis heute nicht verstanden, dass zwei Aspekte das Flair der Berge ausmachen: zum einen die Kulturlandschaft, die in den Alpen bis maximal 2 300 Metern geht. Dorthin gehen die Menschen seit Jahrtausenden, um Weideflächen zu nutzen zum Beispiel. Neu ist: Durch den Tourismus sind auch die vorher nutzlosen Gletscher und die Felspassagen darüber zur Nutzfläche und zur Spielwiese für die Bergsteiger und Skifahrer geworden - mit teils katastrophalen Folgen für die Landschaft. Ich bin dafür, dass man in diesen Höhen ohne große technische Hilfsmittel auskommt. Das Dümmste sind derzeit die vielen neuen Klettersteige. Die teils überhängenden Wände sind vernagelt und verdrahtet mit Bohrhaken und langen Seilen, nur um viele Tausend Pistentouristen in die Höhen zu pumpen. Bis zum Gipfel des Mount Everest und bis in den elften Schwierigkeitsgrad. Die Berge sind kein Disneyland.

Wie verhält sich ein vernünftiger Bergsteiger Ihrer Meinung nach?

Messner: Vernünftig ist, sich nach seinem eigenen Machbarkeitsgrad zu richten - in Eigenregie oder mit einem Bergführer. Wenn man schauen muss, wie wird das Wetter, wo sind die Gletscherspalten, wo liegt Geröll. . . Jeder Mensch kann an seiner Fähigkeitsgrenze die tiefsten Erlebnisse haben.

Sie geben Seminare für Manager und führen "die Similaun" durch die Berge, eine Gruppe von Wirtschaftskapitänen wie etwa Hubert Burda oder Jürgen Weber von der Lufthansa. Was suchen diese Top-Manager in den Bergen?

Messner: Wir sind alle mittlerweile ältere Herren, die gerne diskutieren und dabei wandern. Wir übernachten auf einer Hütte ohne Kontakt zur Außenwelt, wenn wir von den Touren zurückkommen. Ich gebe zu, dass ist ein elitärer Klub. Aber wir sehen ein, wir können nicht immer weiter steigern und wachsen, eine Erfahrung, die wir alle an den Grenzen unserer eigenen Leistungsfähigkeit machen. Wir lernen zurückzustecken, und beim Bergsteigen wird einem das geradezu aufgezwungen.

Haben Sie einen Tipp für gestresste Großstädter, wie man auch in einer Betonwüste Raum für sich schafft und das Tempo drosselt?

Messner: Das ist in der Großstadt sehr schwierig, vielleicht in einem Park oder in einem Museum. Es gibt aber viele schöne Mittelgebirge, wie nahe an Köln die Eifel zum Beispiel. Mit wunderschönen Wandermöglichkeiten, die gar nicht überlaufen sind. Ich bin gerne selbst im Harz und auf dem Brocken unterwegs.

Sie sind jetzt 66 Jahre alt und damit nach Angestelltenmaßstäben im Rentenalter. Haben Sie sich überlegt, wer die Marke Messner weiterführt später?

Messner: Ich betreibe fünf Museen in verschiedenen Häusern, die ich maximal für 25 Jahre zur Verfügung gestellt bekommen habe. Das muss über meinen Tod hinaus funktionieren, und meine 18 Jahre jüngere Frau wird das weiterführen können. Meine Kinder möchte ich damit nicht belasten. Eine studiert Wirtschaft und Kunstgeschichte, wer weiß, vielleicht hat sie eines Tages Lust mitzuarbeiten. Mein Sohn studiert Biologie, macht etwas ganz anderes. Und meine kleine Tochter ist neun.

Was sind Ihre nächsten Pläne? Messner: Ich habe selbst keine Verpflichtungen mehr. Ich werde ein paar Bücher schreiben, um mein Gehirn zu trainieren und nicht an Alzheimer zu erkranken. Ich werde auch weiterhin reisen und bergsteigen, und ich will einen Film machen.

Was für einen Film?

Messner: Eine Spielfilmgeschichte, bei der mir keiner reinreden kann. Eine fiktive Berggeschichte, die ich geschrieben habe, die aber realistisch bleiben muss. Immer wenn irgendwelche Regisseure, die nie etwas Höheres bestiegen haben als einen Barhocker, einen Bergfilm drehen, kommt es zum Absturz. Es ist nur schwierig, einen Kletterer zum Schauspieler zu machen. Aber andersherum eben auch. Ob ich den Film umsetzen kann, werde ich sehen, dafür braucht es Helfer und Geld.