Bundeswehr-Affäre Rechtsextreme in der Bundeswehr: Von der Leyen steht in der Affäre um Rechtsextremismus zunehmend unter Druck

Berlin - Eigentlich sind das ja ihre Leute hier. Graue Uniformjacken und blaue. Schulterklappen mit Sternen und Kränzen, bunte Ordensbänder an der Brust. Offiziere und Generäle, dutzendfach. Sie stehen in diesem Saal und schweigen.
Ursula von der Leyen hält eine Rede, sie ist Verteidigungsministerin, die Chefin also all dieser Uniformierten. Inhaberin der Befehls- und Kommandogewalt, so nennen sie sie. Sie steht ein wenig erhöht an einem Rednerpult. „Wir sichern unsere Heimat“, heißt es auf einem Plakat hinter ihr. Vor ihr: verschränkte Arme, abwartende Blicke. Viele haben sich in Seitenräume verzogen.
Kampf ums Überleben als Ministerin
Es ist die dritte Woche, nachdem bekannt geworden ist, dass ein rechtsextremer Soldat nicht nur Anschläge geplant hat, sondern auch über Jahre seine Gesinnung frei ausleben konnte in der Bundeswehr. Der Fall Franco A. ist eine Ansammlung von Unglaublichkeiten mit Waffenklau, Opferlisten, Doppelleben und einer rechtsextremen Masterarbeit, von Schwindelei und Augenzudrücken. Franco A. und einige seiner Gesinnungsgenossen sind in Haft. Der Generalbundesanwalt ermittelt.
Die Ministerin kämpft in Berlin um ihr politisches Überleben. Das liegt an dem Fall. Es liegt an der nahenden Bundestagswahl, in der sich die politische Auseinandersetzung traditionell verschärft. Und es liegt an Ursula von der Leyen selber, die in einer Krisensituation einen Fehler machte. Und es mag sein, dass das doppelt irritiert, weil sie eine sonst so perfekt und diszipliniert anmutende Politikerin ist, sieben Kinder, Karriere und Gemüsesticks statt Schokolade.
Der Generalverdacht
„Die Bundeswehr hat ein Haltungsproblem und sie hat offensichtlich eine Führungsschwäche auf verschiedenen Ebenen“, sagte also Ursula von der Leyen in einem Fernsehinterview am Tag, nachdem der Fall Franco A. ans Licht gekommen war.
Es war keine spontane Situation, sondern eine, die vorbereitet werden konnte. Von der Leyen hatte am selben Tag auf einem CDU-Bezirksparteitag die Soldaten gelobt. Im Interview verzichtete sie auf das, was eigentlich eine Standardstanze einer Verteidigungsministerin ist.
Der Bundeswehrverband reagierte so prompt und aggressiv, dass die Ministerin sich zu einem offenen Brief an die Soldaten genötigt fühlte. Seitdem war sie in der Defensive – und die ist nicht von der Leyens Terrain. Sie setzt Themen, Schlagzeilen, lässt die anderen reagieren, und ist dann oft schon beim Nächsten.
Sie wurde nervös. An kleinen Dingen konnte man das ablesen. Die kurzfristige Absage einer USA-Reise. Das kurzfristige An- und noch kurzfristigere Absetzen von Presseterminen. Die Nervosität in internen Ministeriumsrunden. Und schließlich der Hinweis in der Presseeinladung des Reservistenverbandes für seinen Jahresempfang: „Die Ministerin steht für keinerlei Interviews zur Verfügung.“ Es ist der Empfang, bei dem die Ministerin am Dienstagabend auf die Wand aus schweigenden Soldaten trifft statt auf heimspielähnliche Zustände.
Vorwürfe wegen Generalverdacht
Es ist auch der Empfang, auf dem sich die politischen Rollenverteilungen verkehren: Der Grünen-Politiker Volker Ratzmann begrüßt die Ministerin als Hausherr der baden-württembergischen Landesvertretung aufs vermeintlich Herzlichste, nur um dann nachzuschieben, er sei sich ja gar nicht sicher gewesen, ob von der Leyen wirklich würde kommen können, wegen all ihrer derzeitigen Sondersitzungen. Und im freundlichen Plauderton schiebt er den nächsten Haken hinterher: „Es verbietet sich, die Bundeswehr unter Generalverdacht zu stellen und so zu tun, als sei sie ein Hort von Rechtsradikalen.“
Der Generalverdacht, das ist es, worüber sie sich in der Bundeswehr beschweren. In Debatten über die Bundeswehr waren es bisher eigentlich eher Unions-Politiker, die den Grünen mangelnde Differenzierung vorwarfen.
Dabei hat Ursula von der Leyen mittlerweile gesagt, dass es ihr leid tue, die Truppe so pauschal als haltungsschwach verurteilt zu haben. Sie hat dafür ein paar Tage gebraucht, aber inzwischen lobt sie die Soldaten bei jedem Auftritt. Bei den Reservisten sagt sie, der Fall Franco A. sei „ein Schlag ins Gesicht der Tausenden, die tadellos anständig und vorbildlich jeden Tag ihren Dienst leisten“. Kein Applaus, verschränkte Arme.
„Sie hat die Bundeswehr nicht verstanden“, sagt ein General in einem der Seitenräume. „Sie müsste mehr Empathie zeigen“, sagt ein anderer. „Die Bundeswehr ist kein Unternehmen, das man mit Managementmethoden führen kann“, beschwert sich ein Dritter. „Unzureichende Kommunikation und mangelhafte Fehlerkultur“ kritisiert ganz offen André Wüstner, der Vorsitzende des Bundeswehrverbandes.
„Die Frau hat nichts begriffen“
Es gebe ein Grundmisstrauen in der Truppe gegen die Ministerin, fasst der Wehrbeauftragte Hans-Peter Bartels zusammen, während nebendran die Soldaten Kartoffelsuppe löffeln. An pauschalen Urteilen ist, wie es scheint, in dieser gesamten Angelegenheit kein Mangel.
Nun ist der Wehrbeauftragte auch SPD-Politiker und daher vielleicht ein bisschen parteiisch gegenüber einer CDU-Frau so wenige Monate vor der Bundestagswahl. Aber auch in der CDU gibt es selten scharfe Kommentare: „Die Frau hat nichts begriffen“, sagt ein Bundestagsabgeordneter und rechnet vor: Soldaten plus Reservisten plus Familienangehörige – gibt jede Menge Wählerstimmen. „Wir haben ihr gesagt: Wir werden sie in Ruhe lassen – erstmal“, sagt der Abgeordnete weiter. Die Drohung ist deutlich. Und das In-Ruhelassen ist relativ: Von der CSU kommen offene Angriffe. Bundestagsvizepräsident Johannes Singhammer wirft der Verteidigungsministerin vor, sie verunglimpfe Soldaten.
Es kommt da wohl einiges zusammen. Der Umbau der Bundeswehr zu einer Berufsarmee, der viel Energie gekostet hat. Die grundsätzliche Skepsis der Soldaten gegen jeden Politiker. Ein Gruppengefühl, an dem Kritik abprallt. Und dann der Widerwillen, den die Person Ursula von der Leyen auslöst: Tochter eines Ministerpräsidenten, schneller politischer Aufstieg, Mutter von sieben Kindern – das Privilegierte, scheinbar Mühelose, das Karl-Theodor zu Guttenberg positiv angerechnet wurde, ist bei von der Leyen zum Malus geworden.
Und in ihrer Partei hat sie keine Hausmacht, auch wenn sie gerne als Publikumsmagnet zu Veranstaltungen geladen wird. Sie ist zwar Spitzenkandidatin der CDU Niedersachsen für die Bundestagswahl, aber das ist für einen amtierenden Minister üblich.
Ursula von der Leyen hat immer wieder den Konflikt gesucht. Als sie Familienministerin geworden war, ist sie beim Thema Kinderbetreuung gegen ihre eigenen Leute aufgestanden, Fraktionschef Volker Kauder war da ihr Hauptgegner. Bei der Frauenquote hat sie – kurz vor der letzten Bundestagswahl – sogar mit ihrem Rücktritt gedroht. Da musste Bundeskanzlerin Angela Merkel einlenken. Als Nächstes machte die Kanzlerin von der Leyen zur Verteidigungsministerin.
Lauter Zivilisten
Der Vorwurf, der immer mitschwang, war: Ursula von der Leyen geht es nicht um die Sache, sondern nur um sich. Dass sie dabei einen kleinen Beraterkreis um sich geschart hat, der sie seit Jahren von Ministerium zu Ministerium begleitet, trägt zum Misstrauen bei: Staatssekretär Gerd Hoofe gehört dazu und ihr Sprecher Jens Flosdorff. Im Verteidigungsressort ist auch noch Katrin Suder dazugekommen, eine Unternehmensberaterin, die sich vor allem um Rüstungsprojekte kümmert. Lauter Zivilisten also, auf ihre Chefin eingestellt. Das ist auch jetzt die Kritik: Ursula von der Leyen kümmere sich erst um Sachen, heißt es, wenn es brenzlig werde. Rechtsextremismus in der Bundeswehr habe sie in ihren dreieinhalb Amtsjahren bisher nicht interessiert, bemängelt die Opposition.
Eine von von der Leyens Verteidigungslinien war, dass sie viele andere Dinge zu tun hatte, Reform der Bundeswehr und so. Das mag sogar stimmen, aber es erinnert fatal auch an Guttenbergs Entschuldigung, er habe seine Doktorarbeit abschreiben müssen, weil er so viel um die Ohren gehabt habe. Man kann das einen Zufall nennen oder ungeschickt.
Es gibt auch anderes in dieser Krise, die mit dem drehbuchreifen Franco-A.-Fall begonnen hat, das zwischen Ernst und Kuriosität pendelt, zwischen Selbstverständlichkeit und Absurdität.
Fotos von Altkanzler Helmut Schmidt
Den Fall hat Ursula von der Leyen zum Anlass genommen, Kasernen auf Wehrmachtsutensilien untersuchen zu lassen, das Liederbuch der Bundeswehr ins Auge zu nehmen und die Kasernennamen. Es war auch ein Versuch, wieder in die Offensive zu kommen. Es gehört also zu den Erkenntnissen der vergangenen Tage, dass sich im Traditionserlass der Bundeswehr der Satz findet: „Das Singen in der Truppe ist ein alter Brauch, der bewahrt werden soll.“ Und dass Soldaten in ihrem Liederbuch bislang das Lied „Schwarzbraun ist die Haselnuss“ finden, künftig aber wohl nicht mehr.
Zu den Nachrichten der vergangenen Tage gehörte, dass die Bundeswehr in einem Studentenwohnheim der Bundeswehr-Universität Hamburg ein Foto von Altkanzler Helmut Schmidt abgehangen wurde. Schmidt war darauf in Wehrmachtsuniform abgebildet, aber die SPD war empört und schickte ihren Ex-Verteidigungsminister Rudolf Scharping vor, der von „Bilderstürmerei“ und „Hexenjagd“ sprach. Ausgerechnet Scharping, der seinen Job einst – kurz vor einer Bundestagswahl – auch wegen einiger Bilder verlor: Er hatte mit seiner neuen Freundin für ein Klatschmagazin im Pool geplanscht, während Soldaten sich auf einen Auslandseinsatz einrichteten. Von der Leyen sah sich zu einer Erklärung gezwungen: Von Schmidt gebe es genug andere Fotos, man müsse ihn nicht in Wehrmachtsuniform zeigen. „Helmut Schmidt ist für uns ein ganz Großer“, ergänzte sie am Mittwoch vor dem Verteidigungsausschuss.
Viel ergeben hat die Durchforstungsaktion offenbar nicht. 41 Fälle insgesamt, nichts davon sehr schwerwiegend nach Angaben des Ministeriums. Von einigen sehr unterschiedlichen Fällen sprach von der Leyen am Mittwoch vor dem Verteidigungsausschuss. Das gilt offenbar auch für die Truppe. Soldaten berichten trotzig, sie hätten „dies und das“ ans Ministerium gemeldet, „damit die richtig Arbeit haben“ , und sie schwärmen von früheren Ministern. Der Chef des Reservistenverbandes, Ortwin Veith, dagegen fragt, wo eigentlich die Rücktrittsgesuche der verantwortlichen Soldaten seien.
Ursula von der Leyen sagt, man müsse nun den „Blick nach vorne“ richten.
