«Rechte Parallelgesellschaften» «Rechte Parallelgesellschaften»: «Phänomen gibt es in allen neuen Ländern»
Berlin/MZ. - Der Berliner KriminalistBernd Wagner ist Experte für Rechtsextremismus.Mit ihm sprach unser Korrespondent MarkusDecker.
Herr Wagner, gibt es bei uns rechte Parallelgesellschaften?
Wagner: Ja. Herr Hövelmann hat sichder Realität zugewandt. Das ist bei Politikernselten.
Was macht denn diese Parallelgesellschaftenaus?
Wagner: Das sind politische oder kulturelleOrganisationsformen, etwa in Form von Kameradschaften.Diese strukturieren Räume, sozial wie ideologisch.Dabei spielt auch Geld eine Rolle. Es gibtdarüber hinaus Milieus, die völkisch sindund politisch rechtsextreme Elemente enthalten.
Ist das Entstehen solcher Milieus eineFolge sozialer Not?
Wagner: Nein, nicht nur. Das findetsich auch unter Leuten, die sozial behaustsind, einen Job haben, Autos fahren mit zweiLiter-Maschinen aufwärts, im Kirchenchor singen- und dann bei passender Gelegenheit Leuteverprügeln, Ausländer jagen oder Bücher insFeuer schmeißen. Die sind klar erkennbar undprägen das soziale Leben, in dem sie neueRekruten heranziehen und diese sowohl politischwie auch ästhetisch ausrichten. Die rechteSzene verfügt ja über eine Kulturindustrie,bundesweit wie international. Kunst dientals Waffe.
Sie waren gerade in Pretzien, wo im Junidie Tagebücher der Anne Frank verbrannt wordensind. Ist Pretzien so ein Milieu?
Wagner: Nein. Pretzien ist keine rechteParallelgesellschaft. Aber es gibt innerhalbder Ortschaft rund um die Kameradschaft etwas,was zum Kernelement einer solchen Parallelgesellschaftwerden könnte. Dass die Pretziener diese Vorkommnisseunisono dulden und gut finden, das stimmtnicht.
Gibt es einen Unterschied zwischen Ostund West?
Wagner: Das Phänomen rechter Parallelgesellschaftengibt es in sämtlichen neuen Bundesländern- in manchen stärker, in anderen weniger stark.In fast allen Regionen findet man Elementevor. In großen Städten kann das auch innerhalbder Stadt nochmal differieren. Es ist nichtso, dass der Osten komplett braun durchtöntist. Man muss deshalb unterschiedlich reagieren- mal mehr mit Bildung und sozial-psychologischenInstrumenten, mal mehr mit der Polizei.
Und wie ist es im Westen?
Wagner: Im Westen gibt es solche Phänomeneauch; im Süden aber deutlich weniger als imNorden.
Mit welcher weiteren Entwicklung rechnenSie?
Wagner: Wenn die Politik nicht einenParadigmenwechsel vollzieht, sehe ich Schlimmesauf uns zukommen. Die Rechten werden nichtdie Macht übernehmen. Aber sie werden es unsaußerordentlich schwer machen. Die Dichteder Angriffe wird zunehmen und die Demokratiezumindest auf kommunaler Ebene in Frage stellen.