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Psychokardiologie Psychokardiologie: Heilung für gebrochene Herzen

Von Bärbel Böttcher 15.11.2014, 11:27
Cornelia Oelschlägel hat wieder Freude an der Natur.
Cornelia Oelschlägel hat wieder Freude an der Natur. Andreas Stedtler Lizenz

Halle (Saale) - „Ich war immer eine starke Frau“, sagt Cornelia Oelschlägel. Die heute 50-Jährige hat vier Kinder großgezogen und trat beruflich trotzdem nie kürzer. 22 Jahre lang arbeitete sie im Bernburger Krankenhaus. Zunächst als Kinderkrankenschwester, dann im Büro. 2007 änderte sie ihr berufliches Leben noch einmal radikal. Cornelia Oelschlägel machte sich selbstständig. Sie eröffnete in der Bernburger Innenstadt ein Babyfachgeschäft. Eine Arbeit, die ihr großen Spaß macht, sie aber auch voll fordert. Deshalb gefiel es ihr gar nicht, dass sie ganz plötzlich gesundheitlich stark abbaute.

Wenn das Herz anfängt zu rasen

Es begann Ende 2011. Cornelia Oelschlägel war beim Einkauf, als sie plötzlich merkte, dass ihr Herz rast. „Ich bekam keine Luft, hatte einen Schweißausbruch und panische Angst“, erzählt sie. Das EKG, das kurze Zeit später bei ihrer Hausärztin geschrieben wurde, zeigte aber keine Auffälligkeiten. Das gleiche passierte ihr wenig später noch einmal. Wieder hieß es: ohne Befund.

Die Kardiologin Petra Schirdewahn hat einen Patientenratgeber über Herzrhythmusstörungen geschrieben - „Herz aus dem Takt“. Daraus liest sie bei einer gemeinsamen Veranstaltung der Diakonie Halle, der Kardiologische Gemeinschaftspraxis Saalekreis, der Techniker Krankenkasse und der MZ:

Wann: 18. November 2014, 18 Uhr

Wo: Diakoniewerk Halle, Lafontainestraße 15

Der Eintritt ist frei, eine Anmeldung nicht erforderlich.

Die Techniker Krankenkasse plant, Anfang 2015 einen Vertrag mit der kardiologischen Praxis Saalekreis, in der Petra Schirdewahn tätig ist, und der Klinik für Psychosomatik der Diakonie Halle abzuschließen. Ziel sei es, Herzkranke, die zudem an Angst- und Panikattacken leiden, durch gezielt fachübergreifende Behandlung in die Lage zu versetzen, mit der Krankheit umzugehen sowie organische und psychische Warnsignale des Körpers richtig zu deuten, sagt TK-Landeschef Jens Hennicke. Das helfe den Patienten. „Durch den Vertrag versprechen wir uns zudem Kosteneinsparungen im stationären Bereich“, fügt er hinzu. Das komme allen Versicherten zugute.

Heute ist klar, dass Cornelia Oelschlägel unter Herzrhythmusstörungen litt, die anfallsweise auftraten, wie das bei vielen Patienten der Fall ist. „Das Herz kann dabei ganz ohne Vorwarnung losrasen“, sagt die Kardiologin Dr. Petra Schirdewahn, bei der die Bernburgerin jetzt in Behandlung ist. „Und genauso plötzlich wie es gekommen ist, verschwindet es auch wieder.“ Lichtschalterphänomen nennen die Spezialisten das. Das Herzrasen beginnt so, als wenn das Licht angeknipst wird und endet, wenn es ausgeschaltet wird.

Die Krankheit wurde bei Cornelia Oelschlägel festgestellt, als sie bei der dritten Attacke mit Verdacht auf Herzinfarkt in die Universitätsklinik Halle eingewiesen wurde. Ein Infarkt konnte dort zwar ausgeschlossen werden, aber es wurde diagnostiziert, dass ihr Herz aus dem Takt geraten war.

Petra Schirdewahn, Ärztin in der Kardiologischen Gemeinschaftspraxis Saalekreis, versuchte zunächst, ihrer Patientin mit Medikamenten zu helfen. Als das nicht den gewünschten Erfolg brachte, entschloss sie sich zu einer Behandlung mit dem Herzkatheter. „Dabei wird, vereinfacht gesagt, der Ursprungsherd des Herzrasens ausfindig gemacht“, erklärt die Kardiologin.

Warum versprengte Muskelzellen den normalen Takt des Herzens stören können, lesen Sie auf Seite 2.

Beispielsweise könnten versprengte Muskelzellen den normalen Takt des Herzens stören. „Sie werden dann in einem zweiten Schritt verödet“, fügt sie hinzu. Solche Eingriffe nimmt die Medizinerin regelmäßig bei Patienten vor, und zwar an der Universitätsklinik in Halle, mit der die Praxis kooperiert. Die körperlichen Beschwerden von Cornelia Oelschlägel konnten auf diese Weise denn auch gut behandelt werden. Doch ihr ging es nur kurzzeitig besser. „Ich bin trotz des Eingriffes nicht wieder richtig auf die Beine gekommen“, sagt sie. Sie litt unter Panikattacken. Das Herzrasen kam wieder.

Beruflicher Stress und familiäre Probleme

Die erfahrene Kardiologin spürte, dass da neben den organischen Beschwerden noch mehr sein musste, was das Herz belastet. In langen Gesprächen mit der Patientin erfuhr sie vom Stress, den die völlig überarbeitete Frau im Beruf hatte. Und sie erfuhr von familiären Problemen, die diese Tag und Nacht beschäftigten. Cornelia Oelschlägel sagt, sie habe zum ersten Mal das Gefühl gehabt, dass sich eine Ärztin wirklich Zeit nimmt und ihr richtig zuhört. Petra Schirdewahn, die sich seit langem auch mit der psychischen Seite von Herzerkrankungen, der Psychokardiologie, beschäftigt, zog daraus die Schlussfolgerung: Zur Heilung der Patientin ist neben dem Kardiologen ein Psychotherapeut gefragt.

Cornelia Oelschlägel kam in die Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie am Diakoniekrankenhaus Halle. Deren Chefarzt Dr. Thilo Hoffmann würde sich wünschen, dass mehr Ärzte die psychischen Probleme von Patienten mit ins Blickfeld nähmen. „Wer das Herz nur als eine Maschine betrachtet, die im Falle einer Störung vom Arzt repariert wird, der greift zu kurz“, sagt er. Thilo Hoffmann verweist beispielsweise auf den engen Zusammenhang zwischen Herzerkrankungen und Depressionen. „Wer unter Depressionen leidet, hat ein höheres Risiko, einen Herzinfarkt zu erleiden“, sagt er. Und wer nach einem Herzinfarkt depressiv werde, der habe ein viel höheres Risiko, einen zweiten Infarkt zu bekommen.

Der Psychosomatiker betont, dass vor allem jüngere Patienten nach einem Herzinfarkt häufig Angststörungen entwickelten. „Sie haben das Vertrauen in die Funktionsfähigkeit des Körpers verloren.“ Bei Herzerkrankungen, so hat der Arzt beobachtet, gehe das besonders schnell. Das Herz sei in der Vorstellung vieler das zentrale Organ. Das drücke sich auch oft in Redewendungen aus: Jemand nimmt sich etwas zu Herzen, ist bis ins Herz getroffen oder hat gar ein gebrochenes Herz. „Diese Redewendungen sind ein Ausdruck dafür, wie eng die Verbindung zwischen unserem Herzen und unserem seelischen Wohlbefinden ist“, unterstreicht er. Die Behandlung von Patienten müsse deshalb oft an beiden Seiten ansetzen. Wobei es die große Kunst sei, das so anzusprechen, dass der Betroffene es auch annehmen könne und sich nicht gekränkt fühle.

Weitere Informationen zum Projekt der Techniker Krankenkasse, Kardiologen und Psychosomatikern, lesen Sie auf Seite 3.

„Dem Patienten muss einfühlsam erklärt werden, dass es dem Herzen gut tun kann, wenn er sich aktiv mit seiner Lebenssituation auseinandersetzt und gegebenenfalls Veränderungen vornimmt“, sagt Thilo Hoffmann. Allerdings, wenn der Patient dann dazu bereit ist, sich einer Psychotherapie zu unterziehen, fehle es oft an einem entsprechenden Therapie-Platz. Deshalb haben Petra Schirdewahn und er ein Projekt entwickelt, dass Patienten, bei denen in der kardiologischen Praxis eine psychische Begleiterkrankung diagnostiziert wird, schnell Hilfe bekommen.

Gruppen von sechs bis neun Patienten

Der Plan ist, dass Patienten mit einer speziellen Form von Herzrhythmusstörungen, bei denen psychische Faktoren eine große Rolle spielen, in Gruppen von sechs bis neun Patienten zusammengenommen werden. Neben einer ausführlichen kardiologischen und psychotherapeutischen Diagnostik am Beginn und am Ende einer sechswöchigen Therapie werden Gruppengespräche geführt. Die Teilnehmer erhalten Empfehlungen zu den Themen Bewegung und Ernährung. Und damit nicht alles nur theoretisch bleibt, wird Qigong trainiert - eine chinesische Meditations-, Konzentrations- und Bewegungsform, die Körper und Geist in Schwung bringt. Finanziert wird das Projekt, das Anfang nächsten Jahres starten soll, von der Techniker Krankenkasse.

Sicher, so sagt Thilo Hoffmann, seien sechs Wochen knapp bemessen, wenn es darum geht, psychische Probleme zu lösen. Viel sei oftmals aber schon erreicht, wenn sich die Patienten ihres Problems überhaupt bewusst würden. „Es ist eher ein Einstieg“, sagt auch Petra Schirdewahn. „Die Patienten lernen, mit ihren Herzrhythmusstörungen umzugehen und weniger Angst zu haben.“

Für Cornelia Oelschlägel kommt dieses Projekt zwar zu spät. Aber auch sie hat in der psychosomatischen Klinik gelernt, ihr Leben anders als bisher zu gestalten. Heute besteht es nicht nur aus Arbeit. So wurde beispielsweise der Freundeskreis reaktiviert, der wegen des permanenten Stresses arg vernachlässigt worden war. Die 50-Jährige hält sich viel in der Natur auf, fährt Fahrrad oder geht spazieren, sie hat sich - gemeinsam mit ihrem Mann - einer Reha-Sportgruppe angeschlossen, oft geht sie auch schwimmen. Cornelia Oelschlägel hat aufgehört zu rauchen und ernährt sich bewusster. Kurzum - sie hat gelernt, das zu tun was ihr gut tut und nicht nur immer Probleme zu wälzen. Sie hat wieder Freude am Leben. Dabei, so sagt sie selbst, ist sie noch nicht ganz am Ziel. Aber auf einem guten Weg, wieder eine starke Frau zu werden. (mz)

Herzrhythmusstörungen, die nebenbei bemerkt werden, sind in den meisten Fällen harmlos.
Herzrhythmusstörungen, die nebenbei bemerkt werden, sind in den meisten Fällen harmlos.
DPA Lizenz
Das Präparat "Das Herz" in der Ausstellung "Körperwelten - Eine Herzenssache" in Dresden.
Das Präparat "Das Herz" in der Ausstellung "Körperwelten - Eine Herzenssache" in Dresden.
dpa Lizenz