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Prozess Prozess: Wem gehört Helmut Kohl?

Von Holger Schmale 17.07.2014, 21:22

Berlin/Köln - Das Oberlandesgericht in Köln verhandelt am heutigen Freitag über einen Schatz. Es geht um 200 Tonbänder, auf denen der Publizist Heribert Schwan seine Gespräche mit Helmut Kohl aufgezeichnet hat. 630 Stunden an 105 Tagen haben die beiden Männer 2001 und 2002 zusammengesessen, und die ganze Zeit ist das Tonbandgerät mitgelaufen.

Diese Tondokumente sind ein veritabler Schatz. Denn Kohl hat durch den schweren Sturz in seinem Haus 2008 große Teile seiner Sprachfähigkeit und vielleicht auch einen Teil seines Erinnerungsvermögens verloren. Nie wieder wird man seine Stimme so hören können wie auf diesen Bändern. Sie bergen die Deutungshoheit über sein Leben, sein Vermächtnis. Das macht sie so wertvoll. Und so umstritten.

Denn die Deutungshoheit über Kohls Leben beansprucht vor allem eine: Maike Kohl-Richter, die zweite Frau des langjährigen CDU-Vorsitzenden und Kanzlers der Einheit. Sie hat gegen Schwan auf Herausgabe der Bänder geklagt, und sie hat in erster Instanz gewonnen. Im März musste der Publizist das Material an einen Gerichtsvollzieher übergeben. „Sie will jetzt den O-Ton, das ist klar“, sagte Heribert Schwan der „Frankfurter Rundschau“. „Aber selbst wenn sie sagen würde: Ich gebe Ihnen eine Million Euro, geben Sie mir die 630 Stunden, würde ich antworten: Niemals!“

Schwan hat gegen das Urteil Einspruch eingelegt. Er sieht sich juristisch auf der sicheren Seite. „Es sind ja nicht einfach Erzählungen von Helmut Kohl. Ich habe aufgrund meiner Kenntnisse der Akten gezielte Frage gestellt, nach Hintergründen, nach Motiven. Das ist meine geistige Leistung, meine Arbeits- und Lebensleistung, die holt mir niemand weg.“

Doch das Landgericht war anderer Ansicht. Es stellte in seinem Urteil fest, dass die Bänder einen Teil des historischen Vermächtnisses von Helmut Kohl bergen. Darauf haben seine Erben den erste Zugriff. Einen Anspruch auf das Vermächtnis dieses Mannes, der Deutschland in den entscheidenden Jahren der Vereinigung und der europäischen Integration geführt hat, kann und muss nach Meinung von Experten auch die Öffentlichkeit geltend machen. Der größte Teil der Bänder ist allerdings längst ausgewertet und veröffentlicht. Sie bildeten die Grundlage der ersten drei Bände der Erinnerungen Helmut Kohls, die Schwan als sein Ghostwriter geschrieben hat. Diese Bücher gelten als die profundeste Quelle für das politische Wirken Kohls.

Neben den Gesprächen verfügt Schwan über immense Aktenkenntnis. Nur er hat auf Weisung des Alt-Kanzlers sämtliche Kabinettsprotokolle, die Mitschriften seiner Gespräche mit anderen Staatsmännern und seine gesperrte Stasi-Akte sichten können. Die von ihm geschriebene Autobiografie Kohls sei wissenschaftlich, quellengestützt und autorisiert, hebt er hervor. „Ich gebe nicht wieder, woran irgendwelche Zeitzeugen wie Genscher sich vielleicht erinnern. Ich habe die Dokumente gesehen!“

Mit dieser Methode wollte er auch den noch fehlenden vierten Band der Memoiren schreiben. Doch als er fast zur Hälfte fertig war, verunglückte Kohl. Wenig später überwarf Schwan sich mit Maike Richter, die Kohl inzwischen geheiratet hatte. Im Sommer 2008 entzog sie ihm das Recht, weiter an den Erinnerungen zu arbeiten. Somit fehlen die letzten vier Jahre von Kohls Amtszeit, 1994 bis 1998. Aber gerade sie sind besonders interessant, mit all den Diskussionen um seine Nachfolge, die Rolle Wolfgang Schäubles, schließlich die Wahlniederlage und die Spendenaffäre. Und sie sind entscheidend für die Deutungshoheit über die Lebensleistung eines der bedeutendsten Politiker der vergangenen Jahrzehnte.

Neben dem Streit um diese Quellen gibt es noch eine Ebene der Auseinandersetzung um das Vermächtnis Kohls, hier liegen Maike Kohl-Richter und die Konrad-Adenauer-Stiftung überkreuz. Denn im Jahre 2010 verlangte Kohl – in Wirklichkeit gewiss seine Frau – einen Großteil seiner Handakten zurück, die er 1998 dem Archiv der CDU-nahen Stiftung überlassen hatte. Er benötige sie, um den ominösen vierten Band seiner Erinnerungen fertigstellen zu können, lautete die Begründung. Doch niemand, der den schwer behinderten Altkanzler bei seinen raren öffentlichen Auftritten in den vergangenen Jahren erlebt hat, glaubt an diese Version.

Kritiker sehen Objektivität in Gefahr

Tatsächlich dürfte es Maike Kohl-Richter sein, die sich anhand dieser persönlichen Aufzeichnungen einen Überblick über die letzten Regierungsjahre ihres Mannes verschaffen will. Darunter sind seine Entwürfe für alle Reden jener Zeit, aber auch Korrespondenz mit Parteifreunden und anderen Staatsmännern. Zusammen mit den Tonbändern ließe sich daraus gewiss ein treffendes Bild des späten Kanzlers zeichnen. Die gelernte Volkswirtin dürfte dafür leicht die Mitarbeit von Historikern finden. Kritiker sehen allerdings die wissenschaftliche und politische Objektivität in Gefahr. Und die Adenauer-Stiftung pocht darauf, seinen Nachlass für die Öffentlichkeit zu sichern und nicht im Keller des Kohlschen Bungalows in Oggersheim verschwinden zu lassen.