Prozess um Bodenreform Prozess um Bodenreform: Verlorener Streit um das Land der Eltern

Straßburg/Magdeburg/dpa. - Die entschädigungsloseLandenteignung von zehntausenden Erben ehemaliger DDR-Bauern nach derWiedervereinigung war rechtens. Das hat der Europäische Gerichtshoffür Menschenrechte am Donnerstag in letzter Instanz in Straßburgentschieden. Dem Bund und den neuen Ländern bleiben damitEntschädigungen in Milliardenhöhe beziehungsweise die Rückgabe vonrund 100 000 Hektar Bodenreformland erspart. Allein Sachsen-Anhaltwar mit 18 000 Einzelfällen und einer Fläche von rund 26 000 Hektarbetroffen. Entsprechend zufrieden zeigte sich die Landesregierung.
Mit dem Urteil zog das Gericht einen Schlussstrich unter einumstrittenes Erbe deutsch-deutscher Geschichte. «Das Urteil schafftnach jahrelanger Rechtsunsicherheit endgültig Klarheit. Die ständigeRechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes wurde bestätigt», sagteLandwirtschaftsministerin Petra Wernicke (CDU). Gleichzeitig äußertesie Verständnis für die Enttäuschung der Betroffenen. Auf Grund desUrteils werde der Verkaufsstopp für die Flächen in Sachsen-Anhaltaufgehoben.
Ähnlich äußerten sich die Koalitionsfraktionen CDU und FDP:«Endlich wurde ein Schlussstrich unter ein langes KapitelRechtsunsicherheit gezogen. Damit haben die neuen Länder endlichKlarheit», sagte CDU-Agrarexperte Bernhard Daldrup. FDP-FraktionsvizeGuido Kosmehl sagte: «Ich kann die Enttäuschung der Betroffenenverstehen, denn niemand gibt Grund und Boden kampflos auf.» Dennochsei es richtig, dass das Gericht die entschädigungslose Enteignungfür rechtmäßig hielt. Kritik kam von der PDS. «Dieses Urteil ist undbleibt unverständlich», sagte PDS-Agrarexperte Hans-Jörg Krause.
Nach dem Urteil der Straßburger Richter hatte der bundesdeutscheGesetzgeber 1992 - vor dem einmaligen Hintergrund derWiedervereinigung - mit den Enteignungen eine gerechte Abwägungzwischen dem Schutz des Eigentums und dem Allgemeininteressevorgenommen, obwohl er den Betroffenen keinen finanziellen Ausgleichzusprach. Rund 70 000 Erben der so genannten Neubauern mussten ihraus der Bodenreform stammendes Land nach 1992 an die Bundesländerabtreten, wenn sie es im März 1990 nicht mehr landwirtschaftlichnutzten.
Die Große Kammer des Gerichtshofes wies mit dem Urteil eineBeschwerde von fünf ostdeutschen Klägern zurück, die ihre Grundstückenach 1992 verloren. Sie hatten Deutschland vorgeworfen, mit derentschädigungslosen Enteignung gegen das Recht auf Schutz desEigentums verstoßen zu haben, das in der EuropäischenMenschenrechtskonvention verankert ist.
Bundesjustizministerin Brigitte Zypries (SPD) sagte: «Ich binfroh, dass wir nun eine endgültige Entscheidung haben - auch wenn dasErgebnis sicher für manchen nicht einfach zu akzeptieren ist.» DerVorsitzende der Aktionsgemeinschaft Recht und Eigentum, Manfred Grafvon Schwerin, sagte hingegen, er sei entsetzt. Möglich sei nun, zumWahlboykott in großem Stil aufzurufen.
Das Verfahren hat eine lange Vorgeschichte, die 1945 mit derBodenreform in der sowjetisch besetzten Zone begann. Damals wurdenGroßgrundbesitzer enteignet. Das Land wurde in kleinen Flächen vonbis zu zehn Hektar zur landwirtschaftlichen Nutzung an die sogenannten Neubauern verteilt. Unter der Regierung des letzten SED-Ministerpräsidenten Hans Modrow machte die DDR-Volkskammer die Erbender Neubauern 1990 zu Volleigentümern ihrer Grundstücke.
Doch dieses so genannte Modrow-Gesetz wurde zwei Jahre späterwieder gekippt: Die Regierung von Altkanzler Helmut Kohl (CDU)verabschiedete das Abwicklungsgesetz zur Bodenreform. Danach musstendie Erben den Grund und Boden ohne Entschädigung an den Staat zurückgeben, wenn sie im März 1990 nicht hauptberuflich in derLandwirtschaft tätig waren.
Die Große Kammer bestätigte mit ihrem Urteil frühereEntscheidungen deutscher Gerichte. Sie widersprach aber dem Ergebnisder Kleinen Kammer des Straßburger Gerichtshofes vom Januar 2004, dasden Klägern Recht gegeben und Deutschland verurteilt hatte. Dagegenhatte die Bundesregierung Rechtsmittel eingelegt.
Die Straßburger Richter folgten in ihrer Urteilsbegründungweitgehend der Argumentation der Bundesregierung. Die Erben derBodenreformgrundstücke seien nach den gesetzlichen Vorschriften derDDR nie rechtmäßige Eigentümer ihre Grundstücke gewesen. Die Flächenseien ihnen ausschließlich zur landwirtschaftlichen Nutzungüberlassen worden. Das Land musste nach Auffassung des Gerichts aberzurück gegeben werden, wenn die Eigentümer es nicht mehrbewirtschafteten. Da dieses Gesetz zu DDR-Zeiten nicht immerangewandt wurde, hätten die Beschwerdeführer durch das Modrow-Gesetzeinen «Zufallsgewinn» erlangt. Diese Willkür habe die Bundesregierungmit dem neuen Gesetz 1992 in «angemessener Zeit» beendet, urteiltedas Gericht.
