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Proteste in Istanbul Proteste in Istanbul: Deutschland unterstützt türkische Polizei

Von Steven Geyer 17.07.2013, 06:07
Die türkische Polizei bereitet sich in Istanbul auf einen Einsatz gegen Demonstranten vor. Offenbar sind diese Spezialkräfte von deutschen Polizisten in Vorgehen und Taktik ausgebildet und teilweise ausgerüstet worden.
Die türkische Polizei bereitet sich in Istanbul auf einen Einsatz gegen Demonstranten vor. Offenbar sind diese Spezialkräfte von deutschen Polizisten in Vorgehen und Taktik ausgebildet und teilweise ausgerüstet worden. dpa Lizenz

Berlin/MZ - Mehrfach hat sich Angela Merkel (CDU) dieser Tage empört über die Polizeigewalt gegen Demonstranten in der Türkei geäußert. „Es gab schreckliche Bilder, auf denen man sehen konnte, dass viel zu hart vorgegangen wurde“, sagte die Bundeskanzlerin und forderte einen „verhältnismäßigen Umgang mit Demonstranten“.

Nun aber stellt sich heraus: Bei der Niederschlagung der Proteste in Istanbul konnte die türkische Polizei auf Ausrüstung und Erfahrungen aus Deutschland zurückgreifen.

Waffen und Pfefferspray nach Istanbul

Wie das Auswärtige Amt auf Anfrage der Linksfraktion einräumt, hat Deutschland die türkische Polizei seit 2003 ausgiebig unterstützt – und will auch nach ihrem brutalen Vorgehen in Istanbul nicht davon abrücken. So genehmigte die Bundesregierung seit 2009 jedes Jahr den Export von Pfefferspray und zugehörigen Abschussgeräten im Wert von rund 140 000 Euro in die Türkei. Als Ausstattungshilfe schenkten Bundeskriminalamt und Bundesinnenministerium den türkischen Behörden Observations- und Computertechnik, Diensthunde sowie Schutzwesten für 300 000 Euro. Zudem profitierte die türkische Gendarmerie – paramilitärische Verbände, die zuletzt mit Reizgas und Wasserwerfern gegen Protestierende vorgingen: Die Bundesregierung erlaubte deutschen Waffenfabrikanten, dem türkischen Staatskonzern MKEK Lizenzen zur Produktion „diverser Kleinwaffen“ zu erteilen. Dazu zählen auch die MP5-Maschinenpistolen, mit denen „nach Kenntnis der Bundesregierung die türkische Gendarmerie ausgerüstet ist“, so das Außenamt in dem Schreiben, das dieser Zeitung vorliegt.

Vier Tote und über 7.000 Verletzte bei Protesten

Die türkische Polizei war im Juni brutal gegen Demonstranten am Istanbuler Gezi-Park und dem benachbarten Taksim-Platz vorgegangen, die dort gegen die Regierung protestierten. Seitdem kommt es immer wieder zu Gewalt gegen Aktivisten. Laut türkischer Ärztevereinigung gab es bislang vier Tote und rund 7.500 Verletzte. Bei ihrem Einsatz konnten die türkischen Ordnungskräfte offenbar auch auf jahrelanges Training durch deutsche Kollegen zurückgreifen. In EU-Projekten übten Deutsche und Türken zudem gemeinsam „polizeiliches Handeln bei Großveranstaltungen“. Sogar bei den atomaren Castor-Transporten begleiteten türkische Polizisten deutsche Einsatzkräfte.

Zudem bot allein das Bundeskriminalamt, finanziert meist durch das Innenministerium, seit 2003 türkischen Behörden 84 Lehrgänge, Austauschprogramme und Gesprächskreise an, in denen es etwa um Datenträgerauswertung, Cyberkriminalität, den Einsatz von V-Leuten und „politisch motivierte Kriminalität ging.

Heikel daran: Der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan beschimpfte die Protestbewegung in seinem Land bis zuletzt als „Terroristen“. Die Polizei verhaftete Jugendliche als Rädelsführer, weil sie sich auf Twitter zu den Protesten geäußert hatten. Insgesamt listet die Bundesregierung in ihrem Schreiben mehr als 150 Maßnahmen seit Beginn der Regierungszeit von Erdogans AKP im Jahr 2003 auf, mit der sie die türkische Polizei unterstützt hat.

Linkspartei fordern Stopp der Programme

Für die Linkspartei sind die Hilfen ein Skandal. „Sie sind kein Beitrag zur Rechtsstaatlichkeit, sondern dienen dazu, diese Regime auch gegen legitimen Protest abzusichern“, sagte die Linken-Außenpolitikerin Sevim Dagdelen der MZ. „Es ist unerträglich, dass die Bundesregierung auf diese Weise Erdogans Weg in einen Unterdrückungsstaat auch noch unterstützt“, so die Bundestagsabgeordnete. Die Programme müssten sofort gestoppt werden.

Das lehnt die Bundesregierung ab. Sie findet, „dass die polizeiliche, justizielle und militärische Zusammenarbeit mit der Türkei in ihrer Gesamtheit die weitere rechtsstaatliche und demokratische Entwicklung des Landes befördert“.

Die Bereitschaftspolizeien der Bundesländer sehen es anders: Angesichts der Menschenrechtsverletzungen haben sie ihre Türkei-Projekte „ausgesetzt“. Der Bund dagegen hat „eine Einstellung der Zusammenarbeit mit der Türkei nicht erwogen“. Selbst die Drohung durch die türkische Regierung, auch das Militär gegen die Protestierenden einzusetzen, ändert daran nichts: Man wolle, schreibt das Auswärtige Amt, die Lage beobachten und vorerst weiter verfahren wie bisher.