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Protestangriff Protestangriff: Reinigende Wirkung - Die Linke nach dem Tortenwurf

Von Markus Decker 01.06.2016, 16:30
Erstmal aufräumen: Delegierte nach dem Tortenwurf
Erstmal aufräumen: Delegierte nach dem Tortenwurf dpa-Zentralbild

Berlin - Sahra Wagenknecht blieb dem Regierungsviertel bis gestern fern. Und der Co-Vorsitzende der Linksfraktion im Bundestag weiß auch, warum. Der Tortenwurf habe sie „erheblich getroffen“, sagte Dietmar Bartsch am Mittwoch. Es stimme zwar, dass die 46-Jährige nach dem Zwischenfall von Magdeburg am Samstag souverän reagiert habe. Wagenknecht war nach drei Stunden in den Saal zurückgekehrt, sprach von einer „saudämlichen Aktion“ und hielt schon am Sonntag eine viel beklatschte Rede. Bartsch erinnert sich jedoch an eigene Jugendzeiten, in denen er Volleyball und manchmal sogar mit einer Verletzung weiter gespielt habe. Der Schmerz werde durch den hohen Adrenalin-Ausstoß überlagert und komme später.

So oder so hat das Ereignis Folgen. Für den Tortenwerfer. Und die Partei.

Tortenwerfer engagiert sich gegen Rechtsextremismus

Der Tortenwerfer ist Norbert G., 23 Jahre alt und aus Weißenfels in Sachsen-Anhalt. Er engagierte sich früh im lokalen „Bündnis für Toleranz – gegen Rechtsextremismus und jede Gewalt“. In Weißenfels gibt es eine aktive rechtsextremistische Szene; und das Wahlergebnis für die AfD lag bei der Landtagswahl am 13. März noch über dem Landesdurchschnitt von 24,3 Prozent. 2010 beklagte der damals 17-jährige Gymnasiast, dass es der deutschen Bevölkerung auch nach über 70 Jahren „nicht gelungen“ sei, die nationalsozialistische Vergangenheit „ausreichend zu reflektieren und menschenverachtende Tendenzen aus den eigenen Köpfen zu vertreiben". 2011 trat er in Erscheinung, als in der Stadt ein Film über die Verfolgung heimischer Juden gezeigt wurde. Zuletzt engagierte er sich für Flüchtlinge. Zu vermuten ist ein starker moralischer Impetus, der in den Angriff mündete.

Christian Endt vom besagten „Bündnis für Toleranz“ sagte der Berliner Zeitung, G. sei ein „engagierter Antifaschist“. Überdies hoffe er, dass es „nicht zu schlimm für ihn ausgeht“. Letzteres ist noch nicht ausgemacht. Die Polizei ermittelt von Amts wegen gegen den Tortenwerfer. Zudem liegen zwei Anzeigen vor – eine von Wagenknecht und eine von der Partei. Eine Sprecherin der selbst ernannten Initiative „Torten für Menschenfeinde“ betonte, dass G. nicht auf den Prozesskosten sitzenbleiben werde, sondern sich Unterstützer beteiligen wollten. Der Urheber selbst schweigt.

Torte mit reinigender Wirkung

In der Wahrnehmung der Partei geht Wagenknecht gestärkt aus dem Parteitag hervor. Eine Torte, die besudeln sollte, hatte eine reinigende Wirkung. Mehrere Redner, die sie wegen ihrer flüchtlingsunfreundlichen Äußerungen hatten kritisieren wollen, hätten ihre Manuskripte nach dem Tortenwurf entschärft, berichten Insider. Und während vieles von dem, was die Parteivorsitzenden Katja Kipping und Bernd Riexinger am Samstag sowie Bartsch am Sonntagmorgen sagten, unterging, blieb Wagenknechts Schlussrede am Sonntagmittag haften. Dies verstärkt den Eindruck, wonach Wagenknecht dominiert, während Bartsch sich zurückhält, um das machtpolitische Bündnis in der Fraktion aus linkem und rechtem Flügel nicht zu gefährden. Fest steht: Die vierköpfige Führungsspitze ist nach der Wiederwahl Kippings und Riexingers einstweilen stabil. Offen bleibt, wen die Partei als Spitzenkandidaten für die Bundestagswahl nominiert. Bartsch witzelte gestern, mehr als acht Spitzenkandidaten wie 2013 würden es 2017 nicht. Seinerzeit hatte die Linke ein Team präsentiert. Eine Urwahl wie bei den Grünen meidet die Partei.

Derweil scheint sich die Lage um den ehemaligen Fraktionsvorsitzende Gregor Gysi zu entspannen. Der 68-Jährige wollte in Magdeburg reden, durfte aber nicht und rächte sich, indem er die Linke kurz vor dem Parteitag „saft- und kraftlos“ nannte. Nun darf er am Donnerstag in der Armenien-Debatte das Wort ergreifen. Darüber hinaus würde ihn die Parteispitze nach Informationen der Frankfurter Rundschau gern für den Vorsitz der Europäischen Linken vorschlagen. Derzeit ist der Franzose Pierre Laurent Chef des Bündnisses aus 25 Linksparteien. Die Neuwahl steht für Dezember an. Gysi sei ein geeigneter Nachfolger, heißt es. Er müsse bloß noch ein bisschen Englisch lernen.