Pro und Kontra Pro und Kontra: Soll man Sterbehilfe reglementieren?
Pro: Der Todeswunsch darf nicht zu einem Geschäftsmodell werden
von Joachim Frank
In der besten aller Welten ist der Suizid eine wunderbare Sache. Ein Mensch entscheidet sich in vollendeter innerer Freiheit dazu, seinem Leben ein Ende zu setzen. Wer dächte nicht an einen Sokrates in Athen, einen Seneca im Alten Rom? Sie wollten ihr Leben nicht vom fragwürdigen Todesurteil eines Gerichts, nicht vom tödlichen Hass eines Kaisers abhängig machen und bestimmten Zeit und Umstände ihres Todes lieber selbst.
Das aber sind nicht die Situationen, um die es geht, wenn der Bundestag über die Erlaubnis oder das Verbot von Sterbehilfe entscheidet. Schwerstkranke, Menschen mit schrecklichen Qualen sind keine Wiedergänger antiker Philosophen. Sie sind nicht wie diese „frei“ in ihrem Wollen und Handeln. Eine Rhetorik, die dennoch das ganze Pathos der Freiheit aufruft, wirft ein gewichtiges Gut in die falsche Waagschale.
Der Todeswunsch darf nicht zu einem Geschäftsmodell werden
Selbsttötung ist in Deutschland straffrei. Folglich wird auch nicht belangt, wer einem zum Sterben Entschlossenen beisteht. Es sei denn, dieser Helfer ist Arzt. Das klingt zunächst paradox. Schließlich hat der Mediziner „von Berufs wegen“ die genauesten Kenntnisse darüber, was einen Menschen am Leben erhält und was ihn umbringt. Und der Arzt weiß auch am besten, wie tödlich wirkende Mittel einzusetzen sind. Nur ist dies das Gegenteil dessen, wozu er berufen ist. Die Orientierung auf das Leben gehört fundamental zum Ethos der Medizin, weil sie der Grundbestimmung des Menschen zum Leben entspricht und weil sich somit das Verhältnis zwischen Arzt und Patient auf das Vertrauen gründet, dass beide das gleiche Ziel haben.
Wie groß die Verunsicherung ist, wenn daran auch nur die geringsten Zweifel aufkommen, haben die Organspende-Skandale der jüngsten Vergangenheit gezeigt. Gewiss, ihnen lagen kriminelle Energie und verbrecherische Machenschaften einiger weniger Ärzte zugrunde. Was aber wären erst die Folgen, wenn Menschen in existenzieller Bedrängnis am Ende ihres Lebens immer damit rechnen müssten, dass die Ärzte Vor- und Nachteile von Weiterbehandlung und Sterbehilfe gegeneinander abwägen? Noch schärfer formuliert: dass Leben oder Tod Bestandteil einer Kosten-Nutzen-Rechnung werden? Gewerbsmäßige „Sterbehilfevereine“, gegen deren Angebot sich ein geplantes Verbot des assistierten Suizids primär richtet, bestätigen schon jetzt die Sorge, dass aus dem Todeswunsch ein Geschäftsmodell wird.
Sterbehilfe ist nur wunderbar in der besten aller Welten
Eine Gesellschaft, die so etwas zulässt, engt Freiheitsräume ein, statt sie zu erweitern. Sie behauptet ein Mehr an Menschlichkeit und wird doch inhumaner. Sie gibt sich empathisch und fördert doch das Effizienz-Denken. Geschäftsmäßige Angebote der Beihilfe zum Suizid „suggerieren soziale Akzeptanz und Ermunterung“, schreibt der Medizinethiker und Palliativarzt Stephan Sahm in der „FAZ“. Das Angebot selbst mache die Handlung unfrei, „denn sie signalisiert ein Gutheißen“.
Anders gesagt: Wenn die Selbsttötung im gesellschaftlichen Bewusstsein zu einer Art „finalen Therapie“ wird, die quasi gleichberechtigt neben anderen Formen der Behandlung steht, mindert das Freiheit und Selbstbestimmung. Auch Sterbehilfe ist nur wunderbar in der besten aller Welten. In unserer nicht.
Lesen Sie im Folgenden, wie unser Autor gegen eine Reglementierung der Sterbehilfe argumentiert.
Kontra: Das Leben ist ein Geschenk, das man auch zurückgeben kann
von Michael Hesse
Haben Sie schon einmal am Bett eines sterbenskranken Menschen gestanden, der nur eines will: dass der Schmerz aufhört? Oder haben Sie mit jemandem gesprochen, der weiß, dass ihm unabwendbar fürchterliche Qualen bevorstehen? Was raten Sie ihm, wenn er sich zu dem entschließt, was aktive Sterbehilfe genannt wird? Das heißt, dass ein Arzt ihm beim Sterben aktiv hilft, etwa indem er ihm eine Überdosis Morphium injiziert. Und wie würden Sie es bei sich selbst halten? Wie wollen Sie sterben? Anders gefragt: Wie frei ist der Letzte Wille?
Sterben ist immer noch ein Tabuthema. Auch deshalb ist es mit so vielen Ängsten verbunden. Natürlich geht es in der Debatte über Sterbehilfe nicht nur um individuelle Präferenzen, sondern auch um gesellschaftliche Wertvorstellungen. Doch darf die Bewertung natürlicher Vorgänge wie das Leben und das Sterben nicht zu Tabuisierungen führen. Wissen wir doch schon lange: Hinter jeder Tabuisierung versteckt sich eine Ideologie, das heißt die Vertuschung, dass Wertentscheidungen als Fakten ausgegeben werden. Nicht anders ist es in der Debatte um die Sterbehilfe, in der so getan wird, als dürfe man das Leben, das ein Geschenk sei, nicht auch zurückweisen, wenn es unendlich qualvoll wird.
Das Leben ist ein Geschenk, das man auch zurückgeben kann
Die Debatte der vergangenen Monate lebte mitunter von Unterstellung. Einige Ethiker und Theologen erinnerten an das Tötungsverbot, so als wollten Angehörige, Ärzte und Sterbehilfevereine es dringend übertreten. Aber wer wollte das tun? Niemand. Es geht nur darum, Schwerkranken Hilfe zu leisten, Menschen, die objektiv keinen Ausweg mehr haben.
Es ist richtig, in einer säkularisierten Gesellschaft nicht mehr von einer unbedingten Lebenspflicht auszugehen, das heißt konkret der Tötung in der Sterbehilfe als Tabubruch. Man muss individuellen Wünschen zur Lebensbeendigung Raum geben, denn nichts ist konkreter und individueller als der eigene Tod. Die freie Entfaltung der Persönlichkeit, aus der sich der Wille speist, ist per Grundgesetz garantiert. Was zählt, ist seine Autonomie und sein Wohl, das heißt die Leidensfreiheit des Patienten.
Das klingt ziemlich allgemein. Sagen wir es so: Was zählt, ist Ihre Autonomie und Ihr Wohl, Ihre Leidensfreiheit. Und wenn Sie sich in ernsthafter Auseinandersetzung mit Ihrem Arzt entscheiden sollten, dass er Ihnen beim Sterben helfen soll, dann sollte dies auch geschehen. Ich würde es mir wünschen, diese Option zu haben. Doch ist das nicht ein Dammbruch? Gesellschaftlich negative Folgen aktiver Sterbehilfe sind nur durch empirische Fakten zu erhärten.
Der Wille des Patienten entscheidet
Entgegen früheren Kassandrarufen haben sich in den Niederlanden, wo aktive Sterbehilfe geleistet wird, die Melderaten deutlich und die Zahl unzulässiger Fälle ganz massiv verringert. In Ländern mit einer transparenten Praxis der Suizidhilfe bleibt der Anteil der herbeigeführten Tode an der Gesamtzahl der jährlich Sterbenden fast gleich oder steigt nur geringfügig an.
Die Mehrheit der Ärzte würde im Ernstfall gern Sterbehilfe für sich in Anspruch nehmen, genau wie die Mehrheit aller Deutschen. Aber die meisten Ärzte möchten lieber keine Sterbehilfe leisten. Das ist menschlich verständlich, doch es kann unmenschliche Folgen haben. Bei der Prüfung der Ernsthaftigkeit des Willens des Patienten, kann das Urteil nur lauten: Sein Wille entscheidet.