Politische Literatur Politische Literatur: «Gregor Scholz» trifft auf «Olaf Gysi»

Berlin/MZ. - Kaum hat Gregor Gysi (PDS) am Mittwochmorgen seinen blauen 1,4 TD auf den Parkplatz des Berliner Bundespresseamtes gelenkt, rauscht ein deutlich voluminöseres Fahrzeug in Grauschwarz heran. SPD-Generalsekretär Olaf Scholz enteilt der Limousine so entschlossen, dass er noch vor Gysi den Eingang erreicht. Der SPD-Politiker stellt im Bundespressamt das jüngste Buch des PDS-Privatiers mit dem Titel "Was nun? Über Deutschlands Zustand und meinen eigenen" vor.
Gysi widme sich darin "sehr detailliert" der Amtszeit als Berliner Wirtschaftssenator. Scholz zitiert des PDS-Mannes Sorge um die Mittelschicht, sein Bemühen um Entbürokratisierung, seine Einsicht in die Legitimität privat erwirtschafteter Gewinne. "Wer da nur wenige Sätze wegstreicht, könnte Gysis Aussagen auch für Äußerungen eines CSU-Wirtschaftsministers halten oder eines Kollegen aus Nordrhein-Westfalen", sagt Scholz.
Vermutlich ohne Absicht betreibt der SPD-Generalsekretär an diesem Mittwoch eine Art öffentlicher Selbstanalyse. Schließlich wird auch von erwähnenswerten Vertretern der SPD das mangelnde parteipolitische Profil in der Bundespolitik beklagt. Die Frage, was die Agenda 2010, für die Scholz unablässig wirbt, grundsätzlich von den Reformvorschlägen der Union unterscheide, ist in Augen nicht weniger Sozialdemokraten kaum mehr beantwortbar.
Hier liegt das strategische Problem der SPD (das dem der PDS so unähnlich nicht ist), und das weiß Scholz. Längst beansprucht er die Rolle des Vorreiters, wenn es um die inhaltliche Neuorientierung seiner Partei geht. Der "neuen" SPD empfiehlt Scholz den Abschied vom "demokratischen Sozialismus".
Damit nicht genug: Er stellte vor sechs Wochen auch den Begriff "soziale Gerechtigkeit" in Frage und bezeichnete ihn als "zu verengt"; weshalb das Adjektiv "sozial" künftig entfallen solle. Gerechtigkeit sei weniger eine Frage der Verteilung materieller Güter als der Teilhabe an Qualifikation und Arbeit, das Bildungsniveau wichtiger als das der Rente. "Wer hat die größeren Probleme? Gregor Scholz oder Olaf Gysi", feixt einer am Ende der Veranstaltung. Die Frage bleibt unbeantwortet.