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Polen Polen: Die Armut der Jüngsten

Von Eva Krafczyk 10.09.2004, 09:27
Gemeinsam mit anderen polnischen Kindern nimmt Kasia (l) in der Kirche «Heilige Maria - Königin Polens» in Slubice ihr Abendbrot ein (Archivfoto vom 18.10.2001). Viele Kinder in Polen sind auf Schulspeisungen angewiesen, um wenigstens einmal pro Tag eine warme Mahlzeit zu bekommen. Der Beginn des neuen Schuljahres Anfang September wird deshalb von vielen Kindern herbeigesehnt - denn während der Sommerferien müssen sie oft hungrig bleiben. (Foto: dpa)
Gemeinsam mit anderen polnischen Kindern nimmt Kasia (l) in der Kirche «Heilige Maria - Königin Polens» in Slubice ihr Abendbrot ein (Archivfoto vom 18.10.2001). Viele Kinder in Polen sind auf Schulspeisungen angewiesen, um wenigstens einmal pro Tag eine warme Mahlzeit zu bekommen. Der Beginn des neuen Schuljahres Anfang September wird deshalb von vielen Kindern herbeigesehnt - denn während der Sommerferien müssen sie oft hungrig bleiben. (Foto: dpa) dpa

Warschau/dpa. - Die Statistik ist nüchtern. Sieben der ärmstenRegionen der erweiterten EU liegen in Polen. Das Land, das einerseitsattraktiv für Investoren ist und in Städten wie Warschau boomt, istzugleich das Armenhaus Europas. Ähnlich wie im Westen trifft dieArmut auch und vor allem Kinder. Jugendschützer schlugen vor wenigenWochen Alarm: Immer mehr Kinder arbeiten, um zum Unterhalt ihrerFamilien beizutragen.

Zugleich sind zahlreiche Kinder auf kostenlose Schulspeisungenangewiesen, um überhaupt eine warme Mahlzeit am Tag zu haben. Inmanchen Gemeinden wird ihr Anteil auf bis zu 70 Prozent geschätzt.Der Beginn des neuen Schuljahres Anfang September wirddeshalb von vielen herbeigesehnt, denn während der Sommerferienmüssen diese Kinder oft hungrig bleiben.

Die Warschauer Psychologin Barbara Arska-Karylowska ist tiefbeunruhigt, wenn sie von Kindern wie Dominik und Grzegorz, elf undneun Jahre alt, hört. Seit drei Jahren arbeiten sie als Fremdenführerfür Touristen. Das Geld - etwa 100 Zloty (knapp 23 Euro) im Monat -geben sie den Eltern, die seit dem Zusammenbruch der Staatsgüter inMasuren ohne Arbeit sind. Nur so können Schulbücher und Winterschuhefinanziert werden. Die 13-jährige Basia kam in ihren Sommerferienebenfalls nicht zur Erholung. Sie stand täglich morgens um vier Uhrauf, um mit ihrer Mutter in den Wäldern Pilze und Beeren zu sammelnund am Straßenrand zu verkaufen.

«So ein Rollentausch ist fatal», sagt Arska-Karylowska. «DieKinder übernehmen Verantwortung für die Eltern.» Nicht nur imländlichen Masuren, einer der ärmsten Regionen Polens, müssen Kinderarbeiten. Auch in den Großstädten Oberschlesiens, wo derStrukturwandel schwere soziale Folgen hat, gibt es immer mehrarbeitende Kinder. Sie sammeln Altpapier, Dosen oder Schrott oderwarten an Straßenkreuzungen mit Seifenwasser und Putzlappen, um fürein paar Groschen die Windschutzscheiben der Autofahrer zu putzen.

Caritative Einrichtungen wie die Polnische Humanitäre Aktion (PAH)versuchen, wenigstens in der Schulzeit den alltäglichen Hunger zubekämpfen. Seit einigen Jahren schon hat die PAH eine Hungerseite imInternet geschaltet. Ein Klick auf den traurig blickenden Hampelmann(pajacyk) bedeutet einen Beitrag zu den Schulspeisungen für dieKinder der Ärmsten. In sechs Jahren konnte für mehr als 25 000 Kindereine warme Mahlzeit sichergestellt werden. Firmen unterstützen dieAktion Hampelmann als Sponsoren.

Doch das ist häufig nur ein Tropfen auf dem heißen Stein. Vorallem dort, wo finanziell angeschlagene Kommunen unentgeltlicheSchulspeisungen organisieren müssen, kam es Berichten zufolge bereitszu Absonderungen. Eine Schulleiterin ließ nach Mittelkürzungen einqualitativ schlechteres Essen für die Kinder auftischen, für die dieGemeinde zahlte. Die Kinder, deren Eltern für das Mittagessen eineetwas größere Summe zahlten, bekamen dagegen Hochwertigeres auf denTisch. Die öffentliche Empörung nach Bekanntwerden des Falles wargroß. Doch eine Mutter zeigte sich in einem Zeitungsinterviewnotgedrungen pragmatisch: «Es tut mir Leid, dass mein Kind schlechteressen muss, aber gut, dass es überhaupt ein Mittagessen bekommt.»