Fahndungserfolg Pizza-Bestellung in Molenbeek verriet mutmaßlichen Paris-Attentäter Salah Abdeslam .

Brüssel - Es war ein doppelter Abschied. Am 10. November vorigen Jahres führte Salah Abdeslam in Brüssel seine Freundin aus. Aber er stocherte nur im Essen. „Wir weinten beide“, erinnerte sich die Freundin später. „Er sagte: Wenn wir nicht hier heiraten, gibt es eine Hochzeit im Paradies.“ Vier Tage später traf sich Abdeslam in Brüssel-Schaarbeek mit einem Freund in einem Café. „Wir werden uns im Diesseits nicht mehr sehen“, sagte Abdeslam und entschwand durch den Hinterausgang.
Zwei Treffen. Dazwischen liegen der 13. November und die Anschläge von Paris mit 130 Toten. Danach war Salah Abdeslam, dem der französische Chefermittler François Molins eine zentrale Rolle bei den Attentaten vorwirft, abgetaucht. In Syrien wähnten ihn manche, andere in Marokko, der Heimat seiner Eltern. Aber seine Flucht führte ihn nach Hause, nach Brüssel-Molenbeek. Am Freitag wurde Abdeslam gefasst, in der Rue des Quatre-Vents, ein paar Hundert Meter entfernt von der Wohnung seiner Eltern. Die belgische Polizei feiert ihren Fahndungserfolg. „Wir haben ihn“, twitterte Staatssekretär Theo Francken. Andere sind zurückhaltender.
„Hier im Kiez wusste jeder, dass Salah noch hier war“, zitierte die Zeitung „De Morgen“ eine Anwohnerin. Abdeslam sei „offen auf der Straße rumgelaufen, zwar mit einer Mütze, aber sogar vor der hiesigen Polizeistation“, so die Frau. Schon der Auftakt zur Ergreifung des Terroristen verlief unglücklich. Am vergangenen Dienstag kontrollierten Ermittler ein Appartement im Brüsseler Stadtteil Forst.
Der Verdacht: Es handelt sich um ein sogenanntes Safe House, eine Rückzugswohnung für Islamisten. Der Einsatz galt als Routine. Wasser und Strom waren abgemeldet. Die Wohnung schien leer. Gut vorbereitet waren die sechs Fahnder aber nicht. Den Rammbock zum Aufbrechen der Tür mussten sie von der lokalen Polizei ausleihen.
Fingerabdrücke am Glas
Beim Versuch, in die Wohnung einzudringen, wurden die Ermittler überraschend beschossen. Vier Polizisten wurden verletzt, ein Terrorist getötet, zwei Verdächtige entwischten durch das Fenster. Aber die Fahndung nach Abdeslam nahm Fahrt auf. Der Tote von Forst war Mohammed Balkaid, 34, Algerier. Als Samir Bouzid war er im vorigen September in Österreich in eine Polizeikontrolle geraten. Fahrer des gemieteten Daimler: Salah Abdeslam. An einem Glas in der gestürmten Wohnung fanden sich Fingerabdrücke von Abdeslam. Eine aufwendige Auswertung von Telefondaten folgte.
Es fand sich eine Nummer, die sich bald in Molenbeek einloggte. Und die die Fahnder kannten: Salah Abdeslam. Die Nummer war seit den Anschlägen von Paris still. Die Fahnder waren sich sicher: Abdeslam gehen die Optionen aus, ihm blieben wenige Möglichkeiten. Eine war die Sozialwohnung der Familie Aberkan in der Rue des Quatre-Vents in Molenbeek, entfernte Verwandte von Abdeslam. Drei Kinder der Aberkans zogen zum IS nach Syrien, Fatima Aberkan wird in den Medien „Mutter Dschihad“ genannt. Ihr Sohn Hamid trug den Sarg von Ibrahim Abdeslam, der in aller Stille in Brüssel beigesetzt worden war. Gestorben war Salahs Bruder am 13. November in Paris als Selbstmordattentäter.
Eine Pizzabestellung gab den entscheidenden Hinweis
Zum Verhängnis wurde Salah Abdeslam eine Pizzabestellung. Zu groß war die Essensmenge für die Familie Aberkan. Am Freitagabend erfolgte dann der Zugriff. Abdeslam wurde durch einen Beinschuss leicht verletzt, auch drei Mitglieder der Familie Aberkan sitzen in Haft.
Belgiens Polizei bejubelte ihren Erfolg. Doch es folgte Kritik. Von „purem Zufall“ sprach die Website „Politico“ und klagte: „Die belgische Polizei ließ viele Chancen verstreichen.“ Im Frühjahr 2013 war Salah Abdeslams Schulfreund Abdelhamid Abaaoud nach Syrien in den Krieg des IS gezogen, er gilt als Planer der Pariser Anschläge.
Auch die Brüder Abdeslam gerieten im Juli 2014 ins Visier der Ermittler. Sie leugneten Verbindungen zur Islamistenszene. Als „wenig religiös“ beschrieb ihn seine Freundin und als „Nacht-Schwärmer“. Abdeslam hatte als zuletzt als Techniker bei der Brüsseler Metro gearbeitet. Und er leistete sich Fehltritte, mal konsumierte er Cannabis, mal verübte er einen Diebstahl. Nach einem gescheiterten Einbruch in ein Autohaus wurde Salah Abdeslam auf der Flucht stark unterkühlt aus einem Kanal gerettet.
Im März vergangenen Jahres, nach den Anschlägen auf die Pariser Zeitschrift „Charlie Hebdo“, setzten ihn belgische Behörden auf die Liste radikalisierter Islamisten. Dennoch konnte er Mohammed Belkaid in Budapest abholen und, mit falschem Pass versehen, eine österreichische Polizeikontrolle passieren. Mit ihm im Wagen ein Mann mit dem falschen Namen Soufiane Kayal, nach dem die Polizei weiter fahndet. Am 3. Oktober vergangenen Jahres gerieten Belkaid und Abdeslam in Ulm eine Kontrolle. Hier schlug keine Gefährderdatei an.
Neues Netzwerk in Brüssel
Aber was wollte er dort? Wie der Südwestrundfunk unter Berufung auf polizeiliche Ermittlungen berichtete, fuhr er in der Nacht auf den 3. Oktober mit einem auf seinen Namen gemieteten Wagen nach Ulm und offenbar nach nur rund einer Stunde wieder zurück. Dem Bericht zufolge soll er drei Männer, die sich als Syrer ausgegeben hatten, aus einer Flüchtlingsunterkunft abgeholt haben, in deren Nähe er geparkt hatte.
Am 13. November schließlich wollte sich Abdeslam nach jetzigem Erkenntnisstand beim Länderspiel Deutschland–Frankreich im Stade de France in die Luft sprengen. Das habe der 26-Jährige bei seiner Vernehmung den belgischen Ermittlern gestanden, sagte der französische Staatsanwalt Molins. Weshalb er seinen Plan nicht umsetzte, ist noch unklar.
Wie gestern bekanntwurde, soll er nach Aussagen der belgischen Regierung auch „etwas“ in Brüssel geplant haben. Abdeslam habe ausgesagt, er sei „bereit“ gewesen, „etwas in Brüssel zu tun“, berichtete Belgiens Außenminister Didier Reynders. „Wir haben bei den ersten Ermittlungen viele Waffen gefunden, schwere Waffen.“ Zudem seien die Ermittler auf ein „neues Netzwerk“ rund um Abdeslam in Brüssel gestoßen.