"Pille danach" "Pille danach": Experten empfehlen Aufhebung der Rezeptpflicht

Berlin/DPA. - Die Rezeptpflicht für die „Pille danach“ soll nach Expertenmeinung aufgehoben werden. Es gebe keine medizinischen Argumente, die zwingend gegen eine Entlassung aus der Rezeptpflicht sprächen, teilte das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte nach einer Sitzung des Sachverständigenausschusses für Verschreibungspflicht am Dienstag in Bonn mit.
Bedeutung der Beratung durch die Apotheke
Das Gremium wies in seiner Empfehlung aber auf die Bedeutung der Beratung durch die Apotheke bei der Abgabe des Medikaments hin. Das Expertenvotum wird nun an das Bundesgesundheitsministerium weitergeleitet, das dem Ausschuss folgen oder von dessen Einschätzung abweichen kann.
Im Januar 2013 löst der Fall einer Kölnerin, der in zwei katholischen Kölner Krankenhäusern die Behandlung berichtet nach einer Vergewaltigung verweigert worden war, eine bundesweiten Debatte aus, in deren Verlauf der Kölner Erzbischof Joachim Kardinal Meisner innerhalb von vier Wochen eine Kehrtwende in Sachen „Pille danach“ . Eine Chronik.
Der „Kölner Stadt-Anzeiger“ berichtet zum ersten Mal ein Vergewaltigungsopfers, dem in zwei katholischen Krankenhäusern des Erzbistums Köln die gynäkologische Untersuchung zur Spurensicherung verwehrt worden war. Eine Notärztin hatte die Kliniken um diese Spurensicherung gebeten, um mögliche Tatspuren gerichtsverwertbar zu machen. Die Frau wurde mit der Begründung abgewiesen, die gynäkologischen Untersuchungen zur Beweissicherung seien seit zwei Monaten grundsätzlich untersagt, weil damit ein Beratungsgespräch über eine mögliche Schwangerschaft und deren Abbruch sowie das Verschreiben der „Pille danach“ verbunden seien. Ärzte, die sich dieser Regelung widersetzten, müssten mit fristloser Kündigung rechnen.
Der Träger der beiden katholischen Krankenhäuser, die Stiftung der Cellitinnen zur hl. Maria, entschuldigt sich öffentlich bei dem Opfer und räumt Fehler in der Kommunikation ein. Eine Stellungnahme des Ethik-Komitees vom November 2012 sei nicht ausreichend kommuniziert worden, die Ärzte hätten sich falsch verhalten. Der Träger versichert, in den Kliniken sei eine „voll umfängliche medizinische Versorgung“ gewährleistet. Lediglich das Verschreiben der „Pille danach“ sei einem Krankenhaus in katholischer Trägerschaft auch bei einem Vergewaltigungsopfer nicht möglich.
Der „Kölner Stadt-Anzeiger“ berichtet über einen weiteren Fall in einem anderen Kölner Krankenhaus, das auch zur Stiftung der Cellitinnen der hl. Maria gehört. Außerdem wird der Zeitung aus Kirchenkreisen bekannt, dass Abtreibungsgegnerinnen sich in den Kliniken als Patientinnen ausgegeben haben. Zumindest in einem Fall soll eine „Testerin“ nach angeblichem ungeschütztem Sex die „Pille danach“ verlangt und auch erhalten haben.
Joachim Kardinal Meisner reagiert. Er zeigt sich tief beschämt über die Abweisung der vergewaltigten Frau. Es gebe keine kirchliche Anweisung, „Vergewaltigungsopfer anders zu behandeln oder gar abzuweisen“. Meisner kündigt eine Überprüfung des Falls an. In der Sache bleibt Meisner unerbittlich. Die Position der Kirche sei klar: Der Schutz des menschlichen Lebens gelte vom Moment der Zeugung an. Dies sei „auch nach meiner festen Gewissensüberzeugung eine unüberschreitbare Grenze“, auch wenn das im Falle einer Vergewaltigung „in geradezu unerträgliche Entscheidungssituationen führt“.
NRW-Gesundheitsministerin Barbara Steffens (Grüne) fordert im Landtag, dass Kliniken, die die Verschreibung der „Pille danach“ aus religiösen Gründen ablehnen, mit anderen Kliniken kooperieren müssen.
Der Katholische Krankenhausverband Deutschland lenkt ein. Er hält es für vertretbar, Frauen nach einer Vergewaltigung die „Pille danach“ zu verschreiben.
Meisner vollzieht eine Kehrtwende bei der „Pille danach“. Nach einer langen Zeit der Ablehnung erklärt Meisner, er halte die Verschreibung bestimmter Präparate für „ethisch vertretbar“. Er habe sich mit Fachleuten beraten. Danach könne man zwischen der verhütenden Wirkung der „Pille danach“ und einer Abtreibung im frühesten Stadium unterscheiden. Während eine „verbrecherische Befruchtung“ verhindert werden dürfe, bleibe es nach katholischer Auffassung nach wie vor verboten, menschliches Leben auch im frühesten Stadium zu töten, heißt es in einer Erklärung des Erzbistums.
Die Regelung, die Meisner tags zuvor beschrieben hat, soll bindend für alle Bistümer in NRW werden.
Kardinal Meisner stellt klar, dass er in seiner Abkehr vom strikten Verbot der „Pille danach“ keine neue Morallehre sieht. Er habe als Bischof allen Priestern und pastoralen Mitarbeitern im Erzbistum „die notwendige Sicherheit für ihren wichtigen Dienst“ geben wollen.
Die Bistümer in NRW übernehmen die Position des Kölner Kardinals.
Die deutschen katholischen Bischöfe schließen sich zum Abschluss ihrer Frühjahrsversammlung in Trier der Kehrtwende Meisners zur „Pille danach“ vom Grundsatz her an.
Das Arzneimittel basiert auf dem Wirkstoff Levonorgestrel. Es kann eine Schwangerschaft verhindern, wenn es bis spätestens 72 Stunden nach dem ungeschützten Geschlechtsverkehr eingenommen wird. Hat sich die Eizelle bereits in die Gebärmutter eingenistet, verhindert das Arzneimittel die Schwangerschaft nicht mehr.
Abzuwarten bleibt, ob Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) die Verordnung erlässt. Der CDU-Gesundheitsexperte Jens Spahn etwa steht der Freigabe kritisch gegenüber. Bereits 2003 gab es eine Expertenempfehlung, das Medikament freizugeben, doch eine entsprechende Verordnung kam nie zustande - Bund und Länder hätten an einem Strang ziehen müssen. Vor allem für die Union war eine freie Verfügbarkeit der „Pille danach“ ohne Verschreibung unvorstellbar.
Diskussion über die Rezeptpflicht
Die Diskussion über die Rezeptpflicht für das Mittel hatte im vergangenen Jahr erneut an Fahrt gewonnen. Damals hatte es einen Aufschrei in der Öffentlichkeit gegeben, als zwei katholische Kliniken in Köln es ablehnten, einer vergewaltigten jungen Frau die „Pille danach“ zu verschreiben. Einige Wochen später erlaubte die katholische Kirche dann die „Pille danach“ für vergewaltigte Frauen.
