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Kritik an sächsischer Justiz Pegida-Galgen: Keine Strafe für Nachbau aus Erzgebirge - Kritik an sächsischer Justiz

Von Markus Decker 06.12.2017, 12:10
Pegida-Demonstration am 12.10.2015 in Dresden mit einem Galgen
Pegida-Demonstration am 12.10.2015 in Dresden mit einem Galgen dpa-Zentralbild

Berlin - Die bisherige Vorsitzende des Bundestags-Rechtsausschusses, Renate Künast (Grüne), hat den sächsischen Generalstaatsanwalt aufgefordert, die jüngste Entscheidung der Staatsanwaltschaft Chemnitz zu prüfen. Diese hatte den Verkauf von Nachbildungen eines Galgens, mit denen auf einer Pegida-Demonstration 2015 gegen Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und Außenminister Sigmar Gabriel (SPD) gehetzt wurde, als rechtmäßig eingestuft und die Ermittlungen eingestellt. „Staatsanwälte dürfen sich nicht durch abgrundtiefe Naivität zum Steigbügelhalter von Rechtsextremen machen lassen“, sagte Künast dieser Zeitung. „Ich fordere den Generalstaatsanwalt auf, den Vorgang sofort neu zu prüfen.“ Sie betonte, der Verein „heimattreu“, in dessen Räumen die Galgen zum Verkauf angeboten würden, sei durch den Versand rechtsextremistischer T-Shirts einschlägig bekannt. Darum sei zu fragen, „in welch tiefen Sand denn die Staatsanwaltschaft Chemnitz ihren Kopf versenkt“ habe.

Auch der designierte sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) distanzierte sich. Zwar sei die Justiz unabhängig, schrieb er bei Twitter. Doch gehe es bei den Galgen und ihrem Verkauf um eine „Grenzüberschreitung“, die das Klima im Land vergifte.

„Falsches Verständnis von Kunstfreiheit“ 

Der kürzlich mit einem Messer attackierte Bürgermeister der nordrhein-westfälischen Stadt Altena, Andreas Hollstein (CDU), erklärte dieser Zeitung, der Entscheidung der Staatsanwaltschaft Chemnitz liege „ein falsches Verständnis von Kunstfreiheit zugrunde. Unter ihrem Deckmantel wird die Verrohung der Gesellschaft auch noch legitimiert. Das ist daneben.“ Der CDU-Politiker wird wegen seiner liberalen Flüchtlingspolitik seit längerem angefeindet.

Der wegen Drohungen gegen ihn zurück getretene einstige Bürgermeister von Tröglitz in Sachsen-Anhalt, Markus Nierth, sagte: „Selbst die sächsischen Richter ahnen doch, wie der entfesselte Mob tatsächlich mit Frau Merkel ohne Polizeischutz umgegangen wäre: eben diese ,kunstsinnig vielseitig‘ aufzuhängen, mit kreativ-brutal viel Lust am Lynchmord, notfalls auch am nächsten Baum.“ Das Erschütternde sei, dass nun Mordaufrufe gegen Politiker auch noch staatlich gerechtfertigt würden und dies die Verrohten und Enthemmten noch mehr zu üblen Taten ermutige. Nierth beklagte: „Das sind mir rechte Richter, die unsere tatsächliche Leitkultur, nämlich die Würde des Menschen und die Unversehrtheit seines Lebens, zum Aufhängen freigeben.“

Die Sprecherin des Bundesjustizministeriums wollte sich unter Hinweis auf die Unabhängigkeit der Justiz nicht äußern. Auch die stellvertretende Regierungssprecherin Ulrike Demmer schwieg trotz mehrfacher Nachfragen.

Gericht: Tatbestand der Volksverhetzung nicht gegeben

Die Süddeutsche Zeitung hatte berichtet, dass ein Mann aus dem erzgebirgischen Niederdorf Miniatur-Galgen in den Räumen des Vereins „heimattreu“ für 15 Euro zum Verkauf anbiete. Sie seien wie das Original beschriftet. Die Staatsanwaltschaft Chemnitz habe daran nichts auszusetzen, hieß es. Den Tatbestand der Volksverhetzung oder Aufforderung zu einer Straftat sehe sie als nicht gegeben. Vielmehr handele es sich um nicht ernst zu nehmende Kunst. Der Verkauf dürfe weitergehen.

Ein Pegida-Anhänger hatte bei einer Demonstration im Oktober 2015 in Dresden eine Galgenattrappe mit sich herumgetragen. Daran baumelten Pappschilder mit der Aufschrift „Reserviert Angela 'Mutti' Merkel“ und „Reserviert Siegmar 'das Pack' Gabriel“. Die Staatsanwaltschaft Dresden hatte im März, weit mehr als ein Jahr nach der Provokation des Pegida-Demonstranten, die Ermittlungen eingestellt. Gegen den Beschuldigten lasse sich „weder eine Störung des öffentlichen Friedens durch Androhung von Straftaten noch eine öffentliche Aufforderung zu Straftaten nachweisen“, verlautete damals. Merkel und Gabriel selbst hatten keinen Strafantrag gestellt.

Mitglieder des Vereins „heimattreu“ werden nach einem Bericht der Chemnitzer Freien Presse vom sächsischen Landesamt für Verfassungsschutz als verfassungsfeindlich eingestuft und beobachtet. Zumindest der Vorsitzende gelte als rechtsextremistisch.