Österreich Österreich: Wende im Inzest-Prozess
ST. PÖLTEN/MZ. - Damit gilt es als wahrscheinlich, dass Fritzl zu einer lebenslangen Haftstrafe, verbunden mit der vorherigen Einweisung auf unbestimmte Dauer in eine österreichische Anstalt für "geistig abnorme Rechtsbrecher" verurteilt wird. Das Urteil im "Jahrhundertprozess" wird am Donnerstag erwartet.
Es herrscht eine beklemmende Stille im Zuschauerraum, als die Vorsitzende Richterin Andrea Humer Fritzl fragt, ob er nach der Konfrontation mit der insgesamt mehr als elfstündigen Zeugenaussage seiner Tochter etwas zu sagen habe. Gebeugt geht Fritzl zum Vernehmungstisch. Mit aschfahlem Gesicht, aber mit fester Stimme erklärt er: "Ich bekenne mich in allen Punkten für schuldig." Offenbar unter dem Eindruck der als Video-Aufzeichnung im Gerichtssaal abgespielten Aussagen seiner Tochter, die er 24 Jahre lang in einem Kellerverlies als Sex-Sklavin gehalten und mit ihr sieben Kinder gezeugt hatte, legt Fritzl überraschend ein volles Geständnis ab.
Die Vorsitzende fragt direkt und ohne Schnörkel. Ob Fritzl an jenem Tag im Mai 1996, als das Zwillingsbaby Michael mit dem Tode rang, "unten" gewesen sei? Ob er das Neugeborene lebend im Kellerverlies gesehen habe? Ob der Säugling unter Atemnot gelitten habe: Ja, antwortet Fritzl. "Ich war der Meinung, der Kleine tät überleben und das wär nur ein vorübergehender Zustand." Ob er die Geburt "allein durchgeführt" habe, fragt ein wenig hilflos-technokratisch einer der beiden Beisitzer. "Wir haben das", antwortet Fritzl, "gemeinsam gemacht". Wir, das bedeutet er und seine Tochter, die ein Vierteljahrhundert lang seine Zweitfrau gewesen ist, willen- und rechtlos. Ihre Beschuldigungen müssen extrem nachhaltig auf ihn gewirkt haben. Am Mittwoch kursierten Gerüchte, die Tochter habe sich am Dienstag im Schwurgerichtssaal aufgehalten und die Konfrontation ihres Peinigers mit ihren Aussagen verfolgt.
Nicht völlig emotionslos charakterisiert die psychiatrische Sachverständige Adelheid Kastner Fritzl zu Beginn ihres knapp einstündigen Gutachtens als machthungrigen Despoten, der "bewusst gegen alle Regeln des menschlichen Zusammenlebens verstoßen" habe. "Wer so etwas macht, muss schwer gestört sein." Fritzl, in liebloser Atmosphäre aufgewachsen, sei es ihn unmöglich gewesen, "Urvertrauen zu entwickeln". In einem "Klima der Angst" vor ständigen Schlägen seiner Mutter hätten sich bei ihm keine positiven Empfindungen herausbilden können, sagt die Gutachterin. Nach den "Jahren der Erniedrigung" sei das Verlangen in ihm gereift, "einen Menschen ganz für sich zu besitzen".
Wenn am Donnerstag das Urteil gesprochen ist, kann der zeitweise gesperrte Luftraum über St. Pölten wieder geöffnet werden. Wer sollte ein Interesse daran gehabt haben, einen geistig abnormen alten Mann zu befreien? Außer ein paar windigen Typen vielleicht, die sich für eine seiner Immobilien interessieren.