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Ohne Zoll aber mit viel Erfolg Ohne Zoll aber mit viel Erfolg: Deutsche Backwaren in der Einöde Utahs

Von Karl Doemens 26.04.2018, 14:02
 Chris Odekerken in seiner „Bäckerei Forscher“
 Chris Odekerken in seiner „Bäckerei Forscher“ Karl Doemens

Orderville - Auf den ersten Blick wirkt das Schild wie eine Fata Morgana. Im Niemandsland der Colorado-Steppe, wo das Mobilfunknetz versagt und nach stundenlanger Fahrt normalerweise bestenfalls ein trauriger Cheeseburger zur Stärkung wartet, weist die Tafel plötzlich auf eine „Bäckerei Forscher“ hin. Knapp 30 Meilen südlich weckt ein alpenländisch anmutender, luftiger Bau aus hellem Holz und Glas tatsächlich heimatliche Gefühle. In der großen gläsernen Theke locken Plunderteilchen, Schoko-Kirsch-Blechkuchen und Bienenstich, im Regal dahinter liegt echtes Roggenbrot. Es riecht wie zuhause.

Trotzdem ist die Bezeichnung „German Bakery and Restaurant“ ein bisschen geschummelt. Herrn Forscher gibt es nämlich nicht. Der wirkliche Inhaber heißt Chris Odekerken und kommt aus Roermond im Süden der Niederlande. Seit vier Jahren gibt sich der Mann mit der Retro-Brille und dem struppigen Haar augenzwinkernd als Deutscher aus. „Odekerken ist viel zu niederländisch. Das können die Amerikaner nicht aussprechen“, sagt der 67-Jährige. Außerdem habe das holländische Brot keinen guten Ruf – ganz im Gegensatz zum deutschen. Und die Zutaten seiner Backwaren stammen tatsächlich aus good old Germany. „Forscher klingt sehr deutsch“, erklärt Odekerken: „Ich nutze das als Künstlernamen.“

„Die Amerikaner sind ganz wild nach dem Brot“

Offenbar mit Erfolg. Noch verlieren sich die Kunden in dem großen Laden ein wenig. Doch im Sommer, wenn die Urlauber vom Bryce Canyon durch das kleine Örtchen Orderville zum Zion Nationalpark und umgekehrt strömen, zählt Odekerken locker 300 Käufer am Tag. Besonders stolz ist er, dass 40 Prozent der Klientel aus den USA stammt: „Die Amerikaner sind ganz wild nach dem Brot“, berichtet er: „Die kommen immer wieder zurück.“

Verrückte Welt: Während im 1900 Meilen entfernten Washington der amerikanische Präsident über deutsche Autos wettert, importiert im Südwestzipfel des Bundesstaates Utah ein Niederländer Back-Rohware aus Deutschland und vergrößert damit ein kleines bisschen den deutschen Handelsüberschuss, über den sich Donald Trump so aufregt. Odekerken ist kein Politiker. Für ihn ist die Erklärung ganz einfach: „Das amerikanische Brot ist schrecklich. Das kann man nicht essen.“

Aufgefallen ist das dem Abenteurer schon mit Anfang Zwanzig, als er zum Studium nach Seattle kam. Damals reiste er auch durch die Bergwelt Utahs: „Das hat mich nicht mehr losgelassen.“ Doch er ging zunächst zurück nach Roermond und eröffnete dort eine Vollkornbäckerei. Mit 54 hing er seine bürgerliche Existenz endgültig an den Nagel, verkaufte das Geschäft und siedelte nach Utah über, um dort Cowboy zu werden. Seit 2004 gehört ihm eine Ranch mit 70 Rindern – in der Weite des Colorado-Plateaus zu wenig zum Leben und zu viel zum Sterben. So kam ihm die Idee mit der „Bäckerei Forscher“, die er 2014 eröffnete. „Jeder hat gesagt: Du bist verrückt“, berichtet der Kleinunternehmer mit niederrheinischem Tonfall in der Stimme: „Es war ein ziemliches Risiko. Aber ich habe es trotzdem getan.“

Entscheidung nicht bereut

Bereut hat er es nicht. Und den Anspruch, wirklich alles selbst zu machen, erst gar nicht erhoben. „Gutes deutsches Brot kann man hier nicht produzieren“, räumt Odekerken ein: „Es fehlt einfach an den Zutaten.“ Schon richtig ausgemahlenes Roggenmehl zu bekommen, ist in den USA ein Problem. Deshalb importiert er tiefgefrorenes oder laminiertes Feingebäck, vorgebackene Brote und Brötchen sowie Teiglinge für Apfeltaschen oder Pain au Chocolat von einer Bäckerei im westfälischen Herne, lagert sie im Kühlraum und backt sie frisch auf.  Insgesamt zwölf Sorten Brot, sechs verschiedene Brötchenarten, drei Dutzend Kuchen und Teilchen und nicht zuletzt Bretzeln hat er im Angebot. Doch sein Renner ist das 90-prozentige Roggenbrot, das nach einem Tag nicht wie die übliche amerikanische Weißbrot-Pappe schmeckt.

Drei- oder viermal in der Saison wird in Herne ein großer Container auf Weltreise geschickt. Mit dem Lkw geht es zunächst bis Hamburg oder Rotterdam, dann mit dem Frachtschiff über den Ozean und durch den Panama-Kanal nach Los Angeles, und von dort mit dem Truck über Las Vegas nach Orderville. Probleme mit den Behörden hat Odekerken nicht: Anders als bei Autos oder Stahl wird bei der Einfuhr von Backwaren in den USA kein Zoll fällig. Gerade ist eine neue Lieferung in Las Vegas eingetroffen. „Da sind auch Käsekuchen und Mandelhörnchen dabei“, schwärmt der Bäcker.

„In einem Monat wird die Bäckerei total anders aussehen“, verspricht der Auswanderer. Dann beginnt die Hauptsaison. Er wird mehr Personal eingestellt haben. Der neue Container ist entladen. Und es gibt eine neue Menükarte: Nicht nur werden die Brötchen mit Bratwurst und Sauerkraut zum Mittagstisch durch eine Gourmetvariante mit geräucherter Entenbrust ergänzt. Der findige Niederländer hat auch eine Lizenz zum Alkoholverkauf erworben und bietet künftig deutsches Pils, Hefeweizen und Oktoberfestbier an. „Man muss kreativ sein“, sagt Odekerken – ganz wie sein imaginärer deutscher Doppelgänger, der Bäcker Forscher.