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Öffentlicher Dienst Öffentlicher Dienst: Übergewicht macht vielen Polizisten zu schaffen

29.11.2005, 10:18

Göppingen/dpa. - Die Flockenquetsche steht verwaist auf einemkleinen Tisch. Josef Schoch läuft zu der hölzernen Maschine und fülltsie mit grau-braunen Körnern. Bedächtig dreht er an der Kurbel,Haferflöckchen rieseln in die Schale. Schoch greift in den HügelFlocken und lässt sie durch die Finger gleiten. «Das volle Korn mitallen Nährstoffen», schwärmt er. Neben ihm zieht eine SchlangeMenschen in Richtung Essensausgabe und schiebt sich an denTagesgerichten entlang. Einer nach dem anderen geht mit einembeladenen Teller zu Tisch: Auf den meisten liegen Spätzle mit Soßeund ein dickes Stück Fleisch.

Die Flockenmaschine steht in der Kantine der baden-württembergischen Bereitschaftspolizei in Göppingen. Dort sollen dieBeamten des Landes in der Sportbildungsstätte wieder in die richtigeForm gebracht werden. Denn bewusste Ernährung und eine gesundeLebensweise kommen bei vielen Polizisten mittlerweile zu kurz. InDeutschlands Wachstuben hat sich stattdessen Übergewichtbreitgemacht. «Die Polizei ist der Spiegel der Gesellschaft - und diewird immer dicker», sagt Schoch. Schon bei der Einstellung jungerPolizisten habe er festgestellt, dass es immer weniger sportlicheBewerber gibt. Seiner Meinung nach höchste Zeit, etwas zu tun.

Der 46-Jährige aus Schwäbisch Gmünd ist Leiter der Sportstätte undhat gemeinsam mit Kollegen Fitness- und Ernährungskurse speziell fürübergewichtige Polizisten zusammengestellt - einmalig in Baden-Württemberg und wegweisend für ganz Deutschland. «Wir haben einfachauf den Trend reagiert, dass Polizisten immer weniger leistungsfähigwerden», sagt Schoch.

Und so sind an dem herbstlichen Tag 15 Kriminalpolizisten,Spurensucher und Wasserschutzpolizisten aus dem ganzen Bundeslandzusammengekommen, um an dem viertägigen Seminar «Top fit - Job fit»teilzunehmen. Auf dem Programm stehen unter anderem Aqua-Fitness,Rückenschule, Entspannungsübungen, pulsgesteuertes Nordic-Walking undder Kochkurs «herbstliche Genüsse». Seit 2000 gibt es zwei dieserSeminare pro Jahr - im kommenden Jahr sollen es sieben sein. Dazu istMitte November das neueste Programm namens «Gesundheitsförderung»angelaufen. Es basiert auf den vier Säulen Lebensstil, Entspannung,Bewegung und Ernährung. Die Teilnehmer werden zusätzlich ärztlichbetreut.

«Die Medien propagieren zwar das gesunde Leben, doch hier ist nochwenig Wissen da», sagt Schoch als er über die leeren Sportanlagengeht. Die Sonne verteilt auf den Tennisplätzen ungestört ihreStrahlen. Nur ein Laubblatt hat sich auf die reinliche Fläche verirrtund treibt von einem Windstoß getrieben über den Platz. Drinnen inder Turnhalle baumeln Ringe von der Decke, hinter den Fenstern liegtdie Herbstlandschaft in bunten Farben. Von Sport treibendenPolizisten keine Spur. «Die Anlage ist einmalig, aber nichtausgelastet», klagt Schoch.

Für Sport und Bewegung fehlen oft Zeit, Wille und das Wissen umderen Notwendigkeit. «Aber ein Polizist trägt eine Waffe, da muss erfit sein. Bei körperlichen Auseinandersetzungen kann es sonst massiveProbleme geben.» Und während die Beamten ihre Fitness verlieren,verhält es sich bei den Tätern umgekehrt: «Die werden immer kräftigerund gewalttätiger.» Ein schlanker Körper sei zudem besser fürs Imageund die Gesamterscheinung. «Ein übergewichtiger Polizist hinterlässtnicht den optimalen Eindruck», meint Schoch.

In der Schwimmhalle treiben die 15 Seminarteilnehmer in Badehoseim Wasser. Als ihnen der Trainer Hans-Jürgen van der Meyden vomBeckenrand Gummibälle zuwirft, paddeln sie mit Gejohle hinterher.«Körper straffen», mahnt van der Meyden. «Wir wollen hier nicht soschlaff und krumm sein wie im Streifenwagen.» Die Männer halten inneund kontrollieren ihre Körperspannung - eine weitere halbe Stundetoben sie ohne Pause im Wasser. Als sie aus dem Becken klettern,verbergen einige ihren Bauch, einer bläst den Oberkörper auf. «Denmuskelbepackten Kino-Polizisten gibt es in der Realität nicht sooft», sagt van der Meyden.

«Ich wiege über 110 Kilo - bei 1,83 Metern. Da musste etwasgeschehen», erzählt Herbert Hogg von der Akademie der Polizei inFreiburg. Er will nun unter 100 Kilo kommen, mit Nordic Walking,Radfahren und eben Aqua-Fitness. Doch es ist nicht nur der Bauch, derweg soll. Häufig leiden die Polizisten zudem unter Bluthochdruck,Fettstoffwechselstörungen, Diabetes und Rückenproblemen. «Für michwar es der Schlüsselmoment, als mein Herz zu stolpern begann und ichSchweißausbrüche bekam. Verdacht auf Herzinfarkt», erzählt Hans H.vom Landeskriminalamt in Stuttgart. Seinen vollen Namen möchte ernicht in der Zeitung lesen.

Doch die Zeit zum nötigen Sportprogramm fehlt, seit dieBundesländer Polizeistellen streichen. Während Baden-Württembergbeispielsweise vor vier Jahren noch 800 Polizisten eingestellt hat,waren es im laufenden Jahr nur noch 200. «Es gibt mehr Geschäft undweniger Personal», sagt Hans H. «Da wird man schief angeschaut, wennman einfach die Arbeit liegen lässt und zum Sport geht.» Auch diepsychische Belastung des Berufs fördere die Leibesfülle. Er erzähltvon Kindesmissbrauch, Mord und Totschlag - diese Erlebnisse hat erüber Jahre buchstäblich in sich hineingefressen. Essen kompensiereden seelischen Frust. «Man legt sich quasi einen Schutzmantel an.»

Weitere Ursache für die bedenkliche Entwicklung: «Der Beruf findetheute bei vielen nur noch im Sitzen vor dem Computer statt», erklärtPolizei-Trainer van der Meyden. «Auch im Außendienst auf der Streifesitzt man im Auto und geht nicht mehr zu Fuß.» Dick macht auch derSchichtdienst. «Die Leute essen dann sehr unregelmäßig.» DieKursteilnehmer nicken bestätigend. «Zwischendurch gibt es dann ebeneinen Hot Dog», erzählt Wolfgang Korinek vom LKA. Quälend langeWachdienste in der Nacht förderten ungesundes Essverhalten. «Da darfman nicht Lesen oder so. Es wird dann eben gegessen», sagt Schoch.Meistens ist es die Pizza vom Abholservice.

Dass es auch anders geht, bringt van der Meyden den Polizisten amHerd bei. Dort schnippeln sie begeistert Kürbisse und Karotten,rühren Hirse-Quark-Pudding an und schichten einen Sauerkrautauflaufin eine Form. Eberhard Schepperle von der Wasserschutzpolizei inHeilbronn hat so in seinem ersten Seminar vor einiger Zeit zumBeispiel gelernt, sich täglich nur ein Viertel der Buttermenge aufdas Brot zu streichen. Sieben Kilo hat der 57-Jährige dadurchabgenommen. «Das, was man hier macht, sollte jeder mitnehmen», findeter.

Doch die Seminare sind teuer, zumal sich die Teilnehmer nur miteinem kleinen Unkostenbeitrag beteiligen müssen. Mehr Trainer könnennicht bezahlt werden. So haben pro Jahr nur 90 der 25 000 Polizistenin Baden-Württemberg die Chance, an solch einem Kurs teilzunehmen.«Das ist alles eine Geldfrage», winkt Schoch ab.

Anderswo bekämpfen die Beamten deshalb in Eigenregie denHüftspeck. In Heilbronn hat der Kriminaldirektor Hartmut Grasmückeinen kuriosen Wettkampf ausgerufen: Wer bis zum 15. Dezember zehnProzent seines Körpergewichts verloren hat, darf einen Tag freimachen. Zugelassen sind alle Kollegen der Polizei Heilbronn, dieeinen Body-Maß-Index (Körpergewicht geteilt durch die Körpergröße imQuadrat) über 25 haben. Mehr als 30 Kollegen beteiligen sich an demWett-Wiegen. Und selbst wenn diese alle einen freien Tag bekommen,der wirtschaftliche Schaden ist gering, hat sich Grasmückausgerechnet: «Wenn einer mit Übergewicht zwei Wochen auf Kur geht -und das haben wir hier schon oft gehabt - dann haben wir mit unseremWettkampf deutlich gespart.»