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Odenwaldschule Odenwaldschule: Ex-Schulleiter Gerold Becker ist tot

Von Kathrin Hedtke 09.07.2010, 19:00

Heppenheim/ddp. - Zweifelsfrei zählte der 1936 geborene Erziehungswissenschaftler zuden renommiertesten Reformpädagogen Deutschlands, doch den meistenwird er wohl als Hauptfigur im Missbrauchsskandal an derOdenwaldschule in Erinnerung bleiben. 17 Jungen soll Becker in demInternat missbraucht haben, die mutmaßlichen Taten reichen bis in die60er Jahre zurück.

Die Nachricht platzte am Freitag in die Jubiläumsveranstaltunghinein. Auf dem Programm stand am Abend unter dem Titel «Wahrheit»ein öffentliches Hearing zum Missbrauch an der Odenwaldschule. Ohnedie Aussagen der Täter wird die Aufklärung wohl noch schwierigerwerden. «Es tut uns aufrichtig leid, dass Herr Becker so frühgestorben ist und keine Zeit mehr hatte, auf drängende Fragen zuantworten», sagt der Sprecher des Trägervereins, Johannes vonDohnanyi. Auch wenn Gerold Becker sich nicht sehr kooperativ gezeigthabe, so hätten die Opfer noch immer auf eine «richtigeEntschuldigung» gehofft - dafür ist es jetzt zu spät.

An der Odenwaldschule sollen sich von 1966 bis in die 90er JahreMissbrauchsfälle ereignet haben, die Rede ist von mindestens 50Opfern. Doch die Dunkelziffer ist wohl weitaus höher. Dabei gerietBecker besonders unter Druck. Er war von 1972 bis 1985 Schulleiter inHeppenheim und räumte seine Vergehen zum Teil ein. Zwei Wochen,nachdem der Missbrauchsskandal im März an die Öffentlichkeit gelangtwar, hatte sich Becker auf Druck ehemaliger Schüler in einem Briefmit knappen Worten bei den Opfern entschuldigt. «Schüler, die ich inden Jahren, in denen ich Mitarbeiter und Leiter der Odenwaldschulewar, durch Annäherungsversuche oder Handlungen sexuell bedrängt oderverletzt habe, sollen wissen: Das bedauere ich zutiefst, und ichbitte sie dafür um Entschuldigung», hieß es darin.

Viele wollten sich mit den wenigen Zeilen nicht zufriedengeben.Auch die ehemalige Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth (CDU), dieeine externe Aufarbeitungskommission leitete, betonte in einemZeitungsinterview: «Es kommt auf das persönliche Gegenüber von Täterund Opfer an. Das mag viel verlangt sein, ist aber dann auchglaubwürdig.» Die Opferanwältin Claudia Burgsmüller hingegenversprach sich von Becker ohnehin nicht viel. Er habe ein «pauschalesGeständnis» abgelegt: «Mehr war von ihm nicht zu erwarten.» Sie seiüberzeugt, dass der ehemalige Schulleiter auch in Zukunft nicht mehrzur Aufklärung beigetragen hätte. Die Taten passten nicht in dasSelbstkonzept eines «Narzissten wie Becker».

Obwohl Becker eine Hauptfigur in dem Missbrauchsskandal darstelle,warnt die Anwältin davor, ihn zu mystifizieren: «Das ProblemOdenwaldschule ist nicht zu personalisieren.» Es gehe darum, dieStrukturen und Täternetzwerke aufzudecken, die weit über die Zeit vonBecker als Schuldirektor hinausreichten - «das Vertuschen undVerschweigen», das den Missbrauchskandal erst ermöglicht habe.

Juristisch sind die Taten längst verjährt. Die StaatsanwaltschaftDarmstadt stellte kürzlich die Ermittlungen wegen sexuellenMissbrauchs gegen sämtliche Beschuldigten ein. Die Aufklärungsarbeitindes ist noch längst nicht abgeschlossen und wird es vielleicht niesein. Zwar gibt es erste Informationen über Dimension und Strukturdes Missbrauchs. Doch einen für Herbst angekündigten Abschlussberichtwird es nicht geben, über die tatsächliche Zahl der Opfer gibt eskeine Gewissheit. Der Sprecher des Trägervereins bezeichnete den Toddes ehemaligen Schulleiters als «Zäsur». «Die Ära Becker isteindeutig zu Ende», sagt Dohnanyi. Nicht zu Ende sei jedoch dieAufklärung der Missbrauchsvorwürfe, die weiterhin «rigoros und ohneRücksicht» verfolgt würden.