1. MZ.de
  2. >
  3. Deutschland & Welt
  4. >
  5. Politik
  6. >
  7. NSU-Prozess: NSU-Prozess: 22 Opfer des Anschlags auf der Kölner Keupstraße sagen aus

NSU-Prozess NSU-Prozess: 22 Opfer des Anschlags auf der Kölner Keupstraße sagen aus

Von Harald Biskup 11.01.2015, 18:00
Bericht im „Kölner Stadt-Anzeiger“ vom 23. Juni 2009 über den Nagelbomben-Anschlag
Bericht im „Kölner Stadt-Anzeiger“ vom 23. Juni 2009 über den Nagelbomben-Anschlag Worring Lizenz

Köln - Vom diesem Montag an wird das Nagelbomben-Attentat auf der Keupstraße in Köln-Mülheim vom 9. Juni 2004 im NSU-Prozess in München verhandelt. Der „Kölner Stadt-Anzeiger“ beantwortet die wichtigsten Fragen.

Wie viele Geschädigte werden als Zeugen im Prozess aussagen?

Geladen sind 22 Opfer des Anschlags. Die meisten von ihnen werden in Begleitung eines Anwalts erscheinen, sie sind zugleich Nebenkläger in dem Verfahren. Auch wenn kaum zu erwarten ist, dass sie Entscheidendes zur Sachaufklärung beitragen oder gar Hinweise auf den oder die Täter geben können, sind ihre Aussagen von großer Bedeutung. Das gilt vor allem für ihre persönliche Schilderung der erlittenen Verletzungen und den damit zusammenhängenden Folgen.

Wie ist der geplante Ablauf der Vernehmungen?

Die Vernehmungen sind vor allem für den 20., 21. und 22. Januar geplant. Als Erster wird ein italienischstämmiger Kölner gehört, der sich zum Zeitpunkt des Anschlags zufällig in der Keupstraße aufgehalten hat. Je nach Schädigungsgrad sind für die Befragung der Opfer im Schnitt 20 bis 45 Minuten vorgesehen. Da solche Planungen immer mit großen Unwägbarkeiten verbunden sind, ist noch unklar, wann das Gericht die Vernehmungen abschließen kann.

Welche Bedeutung hat der Keupstraßen-Komplex im Hinblick auf die Strafzumessung?

Eine keineswegs zu unterschätzende. Es geht um Beihilfe zu versuchtem Mord, ein schwerwiegender Tatvorwurf. Wäre der Anschlag „erfolgreich“ gewesen, hätte die Explosion vermutlich sehr viele Menschen in den Tod gerissen. Mutmaßlich hätte es sich dann um den schwersten Sprengstoffanschlag in Deutschland nach 1945 gehandelt.

Welchen Tatbeitrag versucht die Bundesanwaltschaft der Hauptangeklagten Beate Zschäpe nachzuweisen?

Ihr kommt – wie auch bei den zehn angeklagten Morden – eine „initielle Rolle“ zu, sagt der Kölner Rechtsanwalt Tobias Westkamp, einer der etwa 60 Nebenklage-Vertreter im Prozess. Beate Zschäpe kann wie in allen anderen Fällen nicht nachgewiesen werden, dass sie sich selbst am Tatort aufgehalten hat. Sie habe, sagt Westkamp, Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos den Rücken freigehalten. „Ohne ihre Mitwirkung hätten die beiden ihre Taten nicht begehen können.“ Deshalb müsse sie auch im Fall Keupstraße als Mittäterin gelten.

Wie kam es, dass sich das NSU-Trio die Keupstraße ausgewählt hat?

Vermutlich suchten die drei ein Anschlagsziel aus, das ihrem Bild von einem Wohngebiet mit einem hohen Anteil türkischstämmiger Einwanderer geradezu idealtypisch entspricht. In sichergestellten Dortmunder und Nürnberger Stadtplänen wurden im Zusammenhang mit ähnlich strukturierten Vierteln Hinweise auf „Straße in Köln“ gefunden .

Was brachte die Ermittler in Sachen Keupstraße schließlich auf die Spur des NSU?

Am Tag nach dem Anschlag hatten die Ermittlungsbehörden einen rechtsextremistischen Hintergrund noch bestritten. Inzwischen sprechen längst mehrere Fakten für eine Täterschaft des NSU: Eine Überwachungskamera in der Nähe des Tatorts vor dem ehemaligen Musiksender Viva filmte Mundlos und Böhnhardt in der Stunde vor der Detonation. In den Trümmern des explodierten Zwickauer Wohnhauses, in dem Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe zuletzt lebten, fanden Ermittler DVDs, auf denen sich die rechte Terrorgruppe auf zynische Weise zu den Morden und zum Anschlag in der Keupstraße bekennt. Ebenfalls in der Asche lag ein Fahrrad, das dem Exemplar entsprechen soll, auf dem die Nagelbombe befestigt war. Zudem fanden Polizisten in der Ruine etwa 20 Zeitungsartikel über das Attentat, darunter elf aus dem „Kölner Stadt-Anzeiger“.

Welche Zeitungsartikel waren das?

Das Trio hat offenbar vor allem Berichte über die Ermittlungen in den ersten Tagen nach dem Anschlag gesammelt – so zum Beispiel einen Artikel aus dem „Kölner Stadt-Anzeiger“, in dem LKA-Spezialisten das Täterprofil enthüllen, ferner einen Text, neben dem auch ein Fahndungsfoto aus der Überwachungskamera bei Viva gezeigt wird. Auf einem weiteren Artikel aus dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ mit der Überschrift „Ein zweiter Mann im Visier der Fahnder“, erschienen 14 Tage nach dem Anschlag, konnte die Polizei eine DNA-Spur sichern, die womöglich von Zschäpe stammt. Bei den gefundenen Zeitungen handelt es sich offenbar ausschließlich um Exemplare mit frühem Redaktionsschluss, die zum Beispiel an Bahnhöfen verkauft werden, auch in Ostdeutschland.