Niedersachsen Niedersachsen: Erinnerung an das Westfernsehen versinkt

Gartow/ddp. - Mit einem dreifachen Knall geht es los, dann lösen sich die Stahlseile auf der einen Seite des Turmes, und er sinkt in die andere Richtung. Erst langsam, dann immer schneller, bis er mit einem lauten Krachen hinter einer Baumkette verschwindet. Wenige Sekunden dauert das Spektakel, übrig bleibt nur eine braune Staubwolke und die Erinnerungen derer, die mit «Gartow 1» ein Stück deutsch-deutscher Geschichte verbinden.
Bis zur Wende wurde der Mast nicht nur zur Richtfunkverbindungzwischen Westdeutschland und West-Berlin benutzt. Daneben konnten im Umkreis von 50 Kilometern die Menschen in der DDR westdeutsche Fernsehsender empfangen. Und das sei vom Westen auch so gewollt gewesen, deshalb sei die Anlage so dicht an der Grenze gebaut worden, sagt Wolfgang Keseberg. 38 Jahre hat der Fernmeldetechniker dort gearbeitet, bis zu seiner Frühpension vor zwei Jahren. Dann wurde der Betrieb auf dem Funkmast eingestellt, das terrestrische analoge Fernsehen wurde abgeschafft.
Heute sendet nur noch der Deutschlandfunk vom Turm nebenan,«Gartow 2». «Ein schwacher Trost», findet Keseberg. Für ihn gehtheute ein Stück seiner Vergangenheit verloren, viele ehemaligeKollegen sieht er heute wahrscheinlich zum letzten Mal. «Das ist fast wie eine Beerdigung», sagt er und blickt traurig in den blauen Himmel, wo vor wenigen Minuten noch der riesige Funkturm in die Höhe ragte.
Auch für ein Ehepaar um die 70, das sich etwas abseits einenBeobachtungsposten ausgesucht hat, verbinden sich viele Erinnerungen mit dem rot-weißen Stahlgerüst. Sie sind beide im zwölf Kilometer entfernten Malliß, jenseits der Elbe und also auch jenseits der ehemaligen innerdeutschen Grenze aufgewachsen. «Man hat immer die Türme gesehen und gewusst: Da ist der Westen», sagt die Frau. Ihr Mann erinnert sich an die Antenne, die er im Garten seiner Eltern zusammen mit Freunden aufgebaut hat, um die Signale vom Funkturm empfangen zu können. 20 Meter hoch sei die gewesen, aber verraten habe ihn keiner. «Die sind ja auch alle zum Westfernsehen guckenvorbeigekommen», lacht er.
Später ist das Ehepaar ins Sächsische gezogen, ins sogenannte Tal der Ahnungslosen. Westfernsehen gab es dort keines, die Grenze war zu weit entfernt. «Wenn wir dann zu den Eltern auf Besuch nach Malliß fuhren, haben wir uns schon darauf gefreut, endlich mal wieder 'Dallas' anzuschauen», erinnert sich die Frau.
In erster Linie diente die Funkanlage jedoch der Telefonverbindung zwischen der Bundesrepublik und West-Berlin. «Fast zwei Drittel der Telefonate wurden über 'Gartow 1 und 2' abgewickelt», sagt Rudolf Pospischill von der Deutschen Telekom. Das Gegenstück in Berlin, der Funkturm im Frohnauer Forst, wurde im Februar gesprengt.
Nach der Wende war der Mast noch knapp 20 Jahre in Betrieb, nachdem Ende des analogen Fernsehens gab es für ihn jedoch keineVerwendung mehr. «Die Instandhaltung ist zu teuer», erklärtPospischill. Die Seile, die den Turm halten, müssten regelmäßiggewartet werden, damit sie immer gespannt blieben. Auch ein neuer Anstrich wäre bald fällig gewesen.
Der Turm liegt nun auf einem Feld. Wie vorgesehen ist er auf einextra vorbereitetes «Bett» aus Vlies und Sand gefallen. Der Schrott werde in den nächsten Tagen abtransportiert, sagt Pospischill. Verkauft war «Gartow 1» schon vor der Sprengung, der neue Besitzer wird die 1000 Tonnen Stahl zur Weiterverwertung verkaufen. «Am Ende landet er wieder im Hochofen», sagt Pospischill. Dieses Schicksal wird dem Nachbarturm «Gartow 2» wohl noch eine Zeitlang erspartbleiben.