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Nationalsozialismus Nationalsozialismus: Der «schöne Toni» vor Gericht

23.04.2001, 18:48

München/dpa. - Das Gericht kenne die Belastungen des Prozesses für den 89-Jährigen, sagte Vorsitzender Richter Jürgen Hanreich mit Blick aufdiverse Gesundheitsbeschwerden des Angeklagten. «Ein Verfahren umjeden Preis wird es nicht geben.» Das Gericht werde sich streng andie Regeln der Prozessordnung halten. «Aber wir haben auch eineVerpflichtung gegenüber den Menschen, denen größtes Unrecht geschehenist, die gedemütigt, gequält und ermordet wurden», betonte Hanreich.

Der Gerichtsvorsitzende appellierte an Malloth, sich einGeständnis zu überlegen, falls er die angeklagten Taten begangenhaben sollte. «Das wäre ein großer Tag - auch für Sie», sagteHanreich. Doch der Angeklagte, der zur Schonung in einem Rollstuhl inden Saal geschoben wurde und sich gut gepolstert an ein weißbezogenes Kissen lehnte, folgte mit reglosem Gesicht der Verlesungder Anklage. Auf die Frage des Gerichts, ob er sich dazu äußernwolle, sagte Malloth nur: «Ich komm' da nicht richtig mit.» SeinAnwalt Ernst-Günther Popendicker aus Jena ergänzte: «Mein Mandantmacht von seinem Schweigerecht Gebrauch.»

Der gelernte Fleischhauer Malloth war von 1940 bis 1945 Aufseherin dem berüchtigten Gestapo-Gefängnis für politische Häftlinge, dasnicht weit entfernt vom Konzentrationslager Theresienstadt war. Rund32 000 Männer und Frauen waren in dem Gefängnis von 1940 bis 1945inhaftiert. Mindestens 2 500 von ihnen starben - an Infektionenmangels medizinischer Betreuung oder durch Quälereien oderMordattacken der Aufseher. Malloth - oder der «schöne Toni», wie erim Tarnjargon der Häftlinge hieß - sei «eine Bestie» gewesen, hateine ehemalige Gefangene nach früheren Protokollen gesagt.

Ende September 1944 erschlug Malloth laut Anklage einen jüdischenHäftling mit einem Stock - aus Wut darüber, dass dieser nicht zumAppell erschienen war. Im Januar 1945 soll er mit einem weiterenAufseher zwei Häftlingen befohlen haben, sich nackt auszuziehen.Einem dritten Häftling befahlen die beiden SS-Schergen in eisigerKälte die zwei nackten Männer mit einem Schlauch mit Wasser zubespritzen. Nach rund 30 Minuten brachen die beiden Opfer totzusammen. Malloth handelte laut Anklage aus roher, gefühlloserGesinnung und nationalsozialistischem Rassenhass.

In der Nähe von Theresienstadt soll Malloth zudem im September1943 Erntearbeiten jüdischer Häftlinge beaufsichtigt haben. Als einervon ihnen einen Blumenkohl unter dem Hemd versteckte, soll Mallothihn als «jüdisches Schwein» beschimpft und mit einem Stock auf denKopf geschlagen haben. Danach soll er mehrmals mit seiner Pistole aufden Mann geschossen haben. Das Opfer sank zu Boden und blieb dortohne Hilfe liegen. Wahrscheinlich war der Mann tot, genau konnten dieErmittler das aber nicht feststellen. Die Anklage sieht hier deshalbnur einen versuchten Mord.

Malloth sei trotz einiger Beschwerden haft- und weitgehend auchverhandlungsfähig, bescheinigten drei medizinische Sachverständigedem Gericht. Ein angeblicher Speiseröhrenkrebs sei nicht festgestelltworden. Malloth sei zudem für sein Alter geistig noch relativ rege.Malloth könne mit einer Gehhilfe noch einigermaßen laufen, sagte derArzt der Haftanstalt München-Stadelheim. Dort findet der Prozessstatt, um dem 89-Jährigen die langen Fahrten ins Gericht zu ersparen.Auf Antrag der Verteidigung soll jetzt noch ein psychiatrischesGutachten klären, ob Malloth komplexeren Sachverhalten noch folgenkann. Sollte dies nicht der Fall sein, müsste das Verfahreneingestellt werden, sagte Hanreich.