Nationalsozialismus Nationalsozialismus: Bundestag erinnert an Nazi-Opfer
Berlin/dpa. - Der Bundestag hat am Montag 58 Jahre nach der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz der Opfer des Nationalsozialismus gedacht. «Demokratie, Toleranz und Humanität sind keine Selbstverständlichkeit, sondern setzen das fortdauernde Engagement jedes Einzelnen voraus», sagte Bundestagpräsident Wolfgang Thierse. Auschwitz sei auch möglich geworden, weil die Demokraten in der Weimarer Republik den Gegnern das Feld überlassen hätten, mahnte Thierse bei der Gedenkveranstaltung, an der auch Bundespräsident Johannes Rau und Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) teilnahmen.
Thierse wies auf die Erfahrungen in der Weimarer Republik hin. Den 23. März 1933, als der Reichstag dem Ermächtigungsgesetz zustimmte, bezeichnete er als «ein beschämendes Datum für den Parlamentarismus». Damals vor 70 Jahren hätten 474 Abgeordnete für die eigene Ausschaltung gestimmt. Nur die 74 anwesenden SPD-Abgeordneten seien dagegen, die Abgeordneten der KPD bereits verhaftet oder im Untergrund gewesen.
Der Schriftsteller und ehemalige spanische Kulturminister Jorge Semprún erinnerte in seiner Gedenkrede daran, dass während der Nazi- Diktatur viele Deutsche wegsahen und nichts von den Verbrechen wissen wollten. Semprún hatte sich einer kommunistischen Widerstandsgruppe der französischen Résistance angeschlossen und war 1943 von der Gestapo verhaftet und in das KZ Buchenwald bei Weimar gebracht worden. Auch Thierse hob hervor, es seien damals nur wenige gewesen, die Widerstand geleistet hätten.
Der 79 Jahre alte Semprún sagte in seiner auf Deutsch gehaltenen Rede, er fühle sich weder als Fremder noch als Ausländer «im Raum ihrer Geschichte». Dies hänge mit seiner tiefen Beziehung zur deutschen Sprache zusammen. «Auch unter den schwierigsten Bedingungen, im Tumult und in der Brutalität gewisser Episoden des Lebens im Konzentrationslager Buchenwald, war die deutsche Sprache ein Hilfsmittel und eine Quelle der Energie und Hoffnung.» Wenn die SS-Leute brüllten, habe er stumm die deutsche Sprache heraufbeschworen. Alle Argumente, die ihn zu einem Antifaschisten gemacht hätten, habe er in der deutschen Sprache entdeckt und gelernt.
Zuversichtlich äußerte sich Semprún über die Rolle Deutschlands in einem vereinten Europa. Deutschland komme nicht nur wegen seiner geopolitischen Lage eine besondere Rolle zu, sondern vor allem auf Grund seiner einmaligen historischen Erfahrung. «Deutschland ist das einzige Land Westeuropas, das die Erfahrung mit beiden Totalitarismen gehabt hat.» Kein Land Europas habe diese komplexe, widersprüchliche, reiche und tragische Erfahrung.