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Nahost Nahost: Palästinenserführer sitzt fest im Sattel

Von Christian Fürst 18.09.2003, 15:39
Palästinenserführer Jassir Arafat. (Foto: dpa)
Palästinenserführer Jassir Arafat. (Foto: dpa) EPA

Ramallah/Jerusalem/dpa. - Israels Ausweisungsdrohungen gegen Jassir Arafat wirken auf den 74-jährigen wie eine Frischzellenkur. Allein am Mittwoch gab der von Israel zur Unperson erklärte Palästinenserführer sieben TV- und Presseinterviews, darunter allein zwei für israelische Fernsehsender. Arafat, der immer wieder als todkrank abgeschrieben wurde, begrüßt nun mehrmals täglich hunderte Palästinenser, die ihrem Präsidenten beistehen wollen. Er strahlt, wirft Kusshände, macht das Siegeszeichen und mokiert sich öffentlich über die israelischen Drohungen gegen ihn, die durch weltweite Kritik einen spürbaren Dämpfer erhalten haben. Er werde sich notfalls mit der Waffe gegen seine Zwangsausweisung wehren, kündigt er vor Fernsehkameras an.

Jassir Arafat, den Israel für politisch tot erklärte, hält wieder alle Fäden in den Autonomiegebieten in der Hand. Seit dem Rücktritt seines Stellvertreters Mahmud Abbas vom Amt des Ministerpräsidenten steht der PLO-Chef wieder voll im Rampenlicht. Von Abbas' designiertem Nachfolger Ahmed Kureia ist dagegen kaum etwas zu sehen. Im Gegensatz zu seinem Amtsvorgänger, dessen Ende Arafat mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln betrieben haben soll, versuchte Kureia erst gar nicht, politische Selbstständigkeit zu demonstrieren. «Ich werde keine Politik gegen Präsident Arafat machen», verkündete er nach seiner Ernennung, und handelte inzwischen auch danach. Er überließ die Regierungsbildung demonstrativ der Fatah-Fraktion, an deren Spitze natürlich der PLO-Chef steht. Seither ist Arafat wieder obenauf.

Von einem Machtvakuum in Ramallah kann deshalb zurzeit keine Rede sein: Arafat hat es längst wieder gefüllt. Der PLO-Chef bestimmt die politischen Richtlinien. Er stand hinter dem jüngsten Waffenruhe- Vorschlag des von ihm ernannten Nationalen Sicherheitsberaters Dschibril Radschub. Israel lehnte diesen spontan und rundheraus ab, weil klar war, dass er von Arafat kam. Doch der PLO-Chef gibt nicht auf. Am Mittwochabend wiederholte er sein Angebot. Wieder winkte Israel ab. «Wir werden nicht wieder in diese Falle tappen» sagte Israels Ministerpräsident Ariel Scharon. Alle Regierungspolitiker in Jerusalem wiederholten den neuen Glaubenssatz: «Verhandlungen mit den Palästinensern können erst gelingen, wenn Arafat beseitigt ist.»

Doch wie man den Ex-Guerillachef ausschalten sollte, ist innerhalb der politischen und militärischen Führung umstritten. Arafat hat nie einen Zweifel daran gelassen, dass er allein die palästinensische Politik bestimmen will. «Bei uns gibt es - im Gegensatz zu Ihnen in Israel - nur einen Boss, und das bin ich», sagte er Anfang vergangenen Jahres der israelischen Zeitung «Maariv»: «Wir haben nur einen Präsidenten. Und wenn der (zu seinen Politikern) sagt, sie können sich mit (Ariel) Scharon treffen, dann gehen sie. Wenn er Nein sagt, dann bleiben sie zu Hause.» Arafat, so meinte der frühere Bürochef des ermordeten Ministerpräsidenten Izchak Rabin, Eitan Haber, «ist eben ein Führer der Probleme und nicht der Lösungen. Die Quelle seiner Vitalität sind Probleme, und die braucht er zum Leben. Im Augenblick, wo diese beseitigt sind, verschwindet auch er.»

In dieser Lage, so der Militärkommentator der Tageszeitung «Haaretz», könne Israel unter drei Möglichkeiten wählen: Die Armee könne Arafat in seinem Hauptquartier völlig isolieren und zum Gefangenen machen; sie könne ihn ausweisen oder ihn schlicht und einfach liquidieren. Doch was auch immer Israel mit Arafat anstelle, «es herrscht breite Übereinstimmung, dass dies zu mehr Blutvergießen führen wird». Eine Friedenslösung, so meinte der israelische Schriftsteller und Journalist David Grossman, sei insbesondere durch die Tötung Arafats nicht zu erreichen. «Die Liquidierung eines gegnerischen Führers entspricht der Arbeitsweise einer Terrororganisation und nicht der eines Rechtsstaats», meinte er am Mittwoch in der Tageszeitung «Jediot Achronot».