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Nachruf auf Roman Herzog Nachruf auf Roman Herzog: Das angstfreie Geißeltierchen

Von Christian Bommarius 10.01.2017, 15:11
Roman Herzog war bekannt dafür, seine Gedanken pointiert zu äußern, ohne dabei verletzend zu sein.
Roman Herzog war bekannt dafür, seine Gedanken pointiert zu äußern, ohne dabei verletzend zu sein. dpa

Berlin - Er konnte über sich selber lachen, nicht lauthals, eher still vergnügt. Er nahm sich ernst, aber nicht allzu wichtig. Ihm war bewusst, was er geleistet hat, und ihm war klar, dass das auch andere wussten – warum also darum noch viele Worte machen. Sein Lieblingsbild zur Beschreibung seiner einzigartigen Karriere als Staatsrechtslehrer, Präsident des Bundesverfassungsgerichts und Bundespräsident war Ausdruck mild-ironischer Bescheidenheit. Vor vielen Jahren befragt, ob und wie er seinen beruflichen Aufstieg geplant und vorbereitet habe, hatte Herzog erwidert, er habe sich am Verhalten des Geißeltierchens orientiert: „Es treibt im warmen Wasser, lässt die Fangarme spielen, und wenn was Interessantes vorbeikommt, schlägt es zu." Das Bild, das gelassenen Ehrgeiz und entspannte Lebens-Erwartung verraten soll, war so schön, dass Roman Herzog es den Journalisten mit den Jahren immer wieder vorgelegt hat, denen es genauso gut gefallen hat wie Herzog selbst. Zumeist ist ihnen in der verzückten Bildbetrachtung, natürlich ganz im Sinne Roman Herzogs, der entscheidende Umstand entgangen: wie oft das Geißeltierchen zugeschlagen hat.

Die Gelegenheiten haben sich nicht einfach ergeben, Herzog hat sie sich zielstrebig erarbeitet. Er wurde am 5. April 1934 im niederbayerischen Landshut in ein kleinbürgerliches Elternhaus hineingeboren. Offensichtlich hat der Sohn eines kaufmännischen Angestellten und späteren Direktors des Landshuter Staatsarchivs den Zusammenhang von Bildung und sozialem Aufstieg sehr schnell begriffen. Das humanistische Gymnasium verließ er als Klassenbester mit einem Abiturdurschnitt von 1,0, das Jura- Studium in München absolvierte er in nur sieben Semestern, ein Jahr später, 1958, wurde er Assistent und Doktorand beim Verfassungsrechtlers Theodor Maunz – dessen Verfehlungen als NS-Jurist erst Jahre später bekannt wurden -, 1964 Habilitation, und wieder nur ein Jahr später folgte er dem Ruf als Ordinarius auf den Lehrstuhl für Staatsrecht und Politik an die Freie Universität Berlin, mit erst 31 Jahren. Die Karriere des ehrgeizigen Geißeltierchens hatte einen Höhepunkt erreicht; und stand doch erst am Anfang.

Der Schwarze Sheriff von Baden-Württemberg

In diesen Jahren gab es für einen jungen, aufstrebenden konservativen Staatsrechtslehrer vermutlich keinen ungemütlicheren Ort als die von den Studentenunruhen erschütterte Berliner Universität. Herzog zog es schon 1969 an die Hochschule für Verwaltungswissenschaften in Speyer. Das wurde sein Einstieg in die Politik. Helmut Kohl, soeben zum Ministerpräsidenten in Mainz gewählt, wurde auf den Rektor der Hochschule in Speyer aufmerksam, er entsandte ihn nach Bonn als Bevollmächtigten des Landes Rheinland-Pfalz in der damaligen Bundeshauptstadt. Seinen Ruf als „Schwarzer Sheriff“ aber hat sich Herzog, durch seine Mitarbeit am „Maunz-Dürig-Herzog“, dem Standardkommentar zum Grundgesetz, schon damals ein bekannter Staatsrechtslehrer, erst in Baden-Württemberg erworben.

1978 wurde er in Stuttgart Kultusminister, zwei Jahre später Innenminister. Ältere konservative Christdemokraten denken bis heute dankbar an den Innenpolitiker Herzog zurück, umgekehrt haben dem „law-and-order“-Politiker Herzog liberale Schwaben und Badener lange Zeit nicht verziehen. Das galt vor allem für die von ihm eingeführten „Gebühren“ für die Teilnehmer an nicht genehmigten Demonstrationen, die als Erstattung für die entstandenen Polizeikosten gedacht waren, und für die Ausrüstung der Polizei mit Gummiwuchtgeschossen und CS-Reizgas, das Herzog zuvor mit zwei Beamten im Selbstversuch getestet hatte.

Der Wandel zum Liberalen

Sein Ruf als „hardliner“ der Rechts- und Innenpolitik hat sich damals rasch verbreitet. Entsprechend waren die Reaktionen liberaler und linker Rechtspolitiker, als Herzog Ende 1983 zum Vizepräsidenten des Bundesverfassungsgerichts in Karlsruhe und zum Vorsitzenden des Ersten Senats gewählt wurde. Auch am Gericht selbst wurden – hinter vorgehaltener Hand, aber unüberhörbar - Zweifel geäußert, ob der für seine liberale Rechtsprechung bekannte „Grundrechte-Senat“ seine Linie unter dem tiefschwarzen Vorsitzenden werde beibehalten können. Sowohl die Hoffnungen der Konservativen als auch die Befürchtungen der Liberalen erwiesen sich schnell als unbegründet. Selten hat sich ein neugewählter konservativer Richter in Karlsruhe so rapid und radikal zum Liberalen gewandelt wie Roman Herzog. So hob ausgerechnet unter seinem Vorsitz der Erste Senat das Verbot einer Demonstration gegen das Kernkraftwerk Brokdorf mit der Begründung auf, „der von der Verfassung jedem Staatsbürger garantierte Schutz der Versammlungsfreiheit“ sei auch dann zu erhalten, „wenn mit Ausschreitungen durch einzelne oder eine Minderheit zu rechnen ist“.

Nie verletzend, häufig witzig

Endgültig verlor Herzog – 1987 als Nachfolger Wolfgang Zeidlers zum Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts gewählt - die Sympathien seiner verbliebenen konservativen Anhänger mit dem Urteil zum Alteigentum nach der deutschen Einheit. Er unterstützte die Auffassung der Regierung Kohl, wonach eine Rückgabe des durch die „Bodenreform“ enteigneten Eigentums ausgeschlossen sei.

Herzog war nicht nur ein scharfsinniger Staatsrechtler. Er verstand es, seinen Gedanken in der mündlichen Debatte pointiert Ausdruck zu verleihen, nie verletzend, häufig witzig und ohne Angst, die „falschen“ Themen anzusprechen. Er kritisierte als Präsident des Bundesverfassungsgerichts am Wahlverfahren für Verfassungsrichter die „Formalie des Parteibuchs“ ebenso wie die Verlagerung strittiger politischer Themen, beispielsweise die Maastricht-Verträge über die Europäische Union, vom Parlament an das höchste deutsche Gericht.

Die Bürgernähe war nicht gespielt

Herzog war einer der populärsten Präsidenten in der Geschichte des Bundesverfassungsgerichts. Sein freundliches Naturell, sein spöttischer Witz, seine Abneigung gegenüber wichtigtuerischem Staatsgewese, seine demonstrative, nicht gespielte Bürgernähe prädestinierten ihn dazu – eigentlich wie gemacht auch für das erste Amt im Staat. Umso überraschender, dass er 1994 für Helmut Kohl nur ein Verlegenheitskandidat war, als der Bundeskanzler einen Nachfolger für den von der Mehrheit der Deutschen verehrten Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker suchte. Kohl hatte sich zunächst für den erzkonservativen sächsischen Justizminister Steffen Heitmann (CDU) entschieden, der aber über fragwürdige Äußerungen – unter anderem über Ausländer - gestolpert war, die sich heute wie frühe Wortmeldungen von AfD-Funktionären lesen. So war die Wahl auf Herzog gefallen, der sich in der Bundesversammlung gegen Johannes Rau (SPD) und Hildegard Hamm-Brücher (FDP) im dritten Wahlgang durchsetzen konnte und zum siebten Bundespräsidenten gewählt wurde.

„Durch Deutschland muss ein Ruck gehen“

Man tritt Herzog mit der Behauptung nicht zu nahe, dass er ein herausragender Präsident des Bundesverfassungsgerichts war und ein sehr guter Bundespräsident. Er hat 1997 die bis heute bekannte „Ruck-Rede“ gehalten, in der er sagte: „Durch Deutschland muss ein Ruck gehen. Wir müssen Abschied nehmen von liebgewordenen Besitzständen. Alle sind angesprochen, alle müssen Opfer bringen, alle müssen mitmachen.“ Mit dieser Rede hat er die damals herrschende Stimmung im Land genau bezeichnet. Dass alle applaudierten, weil alle meinten, den Ruck müssten sich die anderen geben, war nicht Herzogs Problem – vielmehr zeigte sich genau darin die Richtigkeit seiner Analyse.

Herzog gelang es, das höchste Amt wieder etwas näher an die Bürger heranzuführen. Die Leichtigkeit, mit der er das Karlsruher Gericht geführt hatte, hat er zwar nicht wieder erreicht, aber der Popularität in der Bevölkerung hat das nicht geschadet.

Herzog hat 1999 auf eine Wiederwahl zugunsten Johannes Raus verzichtet. Aber aus dem politischen Leben hat er sich damals nicht zurückgezogen. Unter anderem leitete er später in Brüssel den Konvent, der die EU-Grundrechte-Charta formulierte, und in der „Herzog-Kommission“ wirkte er an den Richtlinien für die Parteienfinanzierung mit.

Er war Vater zweier erwachsener Söhne und in zweiter Ehe mit Alexandra Freifrau von Berlichingen verheiratet. Roman Herzog ist am Dienstag im Alter von 82 Jahren gestorben.