Nachruf auf Lothar Späth Nachruf auf Lothar Späth: Ein Wanderer zwischen Politik und Wirtschaft

Berlin - Was wäre gewesen, wenn er auf dem Parteitag 1989 in Bremen Helmut Kohl bei der Wahl zum CDU-Vorsitzenden herausgefordert hätte? Stünde heute Lothar Späth als „Kanzler der Einheit“ in den Geschichtsbüchern? Auf dem Höhepunkt seiner Beliebtheit hat der baden-württembergische Ministerpräsident die offene Auseinandersetzung gescheut, obwohl Kohl am Tiefpunkt schien – wenige Monate bevor es mit dem Prozess der Wiedervereinigung losging. Warum ihn plötzlich der Mut verließ, hat erst vor kurzen Heiner Geißler enthüllt, den Kohl damals als CDU-Generalsekretär ablöste.
Lothar Späth zählte zu den Rastlosen in der Politik. Immer ein (manchmal) neuer Gedanke. Immer ein neues Projekt. So gelang dem Sohn eines Samenhändlers aus Sigmaringen ein schneller Aufstieg. Mit 28 Jahren war er Finanzreferent im badischen Bietigheim, zwei Jahre später Bürgermeister. 1968 zog er als CDU-Abgeordneter in den Landtag ein, vier Jahre später führte er die Fraktion. 1978 wurde er zum Ministerpräsidenten - als Nachfolger Hans Filbingers, der wegen seiner Nazi-Vergangenheit hatte zurücktreten müssen. Mit 40 Jahren war Späth der jüngste Regierungschef der Republik.
Nähe zur Wirtschaft wurde Späth zum politischen Verhängnis
Dreimal sollte er als Zugpferd seiner Partei die absolute Mehrheit verteidigen. Dann musste auch er die Villa Reitzenstein vor Ablauf einer Wahlperiode verlassen. „Cleverle“ nannten sie ihn mit einer Mischung aus Hoch- und Missachtung. Seine größte Stärke wurde ihm zum Verhängnis. Die Nähe zur Wirtschaft. Er kannte sie alle, die wichtigen Unternehmer und Manager im Ländle. Einen kannte er zu gut: Helmut Lohr, der Chef des Elektronik-Konzerns SEL.
Dass Späth sich von seinem Freund zu einem kostenlosen Urlaub in der Ägäis einladen ließ, war nicht so clever. Korrekt war es erst recht nicht, zumal SEL ohne Ausschreibung einen dicken Auftrag der Landesregierung erhalten hatte. Als Journalisten der Geschichte auf die Spur gekommen waren, gab es kein Halten mehr – zumal sie eine so schöne Schlagzeile hergab: „Traumschiff-Affäre“. Im Lauf des Jahres 1991 gab Späth erst Job des Ministerpräsidenten auf, dann auch sein Landtagsmandat.
Damit war seine politische Karriere (fast) beendet. Zehn Jahre später erinnerte sich Edmund Stoiber seiner. Der Kanzlerkandidat der Union machte ihn im Bundestagswahlkampf 2002 zum „Superminister“ für Wirtschaft Arbeit und Aufbau Ost. Doch da der CSU-Chef gegen Gerhard Schröder verlor, wurde es für Späth nichts mit der Rückkehr in die Politik. Er blieb in der Wirtschaft, wo sein Ruf als cleverer Hans-Dampf-in-allen Gassen nicht gelitten hatte. Im Gegenteil. Mit 54 Jahren startete er noch einmal durch.
Nur wenige Monate nach seinem Rücktritt als Ministerpräsident war er von Stuttgart nach Jena umgezogen. Dem Ruf „Go East“ folgten damals auch andere Politiker und Manager, die im Westen nichts oder nichts mehr waren. Die Parteifreunde Kurt Biedenkopf, später Bernhard Vogel wurden Ministerpräsidenten in Sachsen und Thüringen und zu politischen Legenden in ihren Ländern. Späth erwarb sich an der Spitze des ehemaligen VEB Carl Zeiss Jena keinen schlechteren Ruf.
Gescheiterter Putsch gegen Helmut Kohl
Aus dem VEB machte er erst eine GmbH, dann ein Aktiengesellschaft und einen der wenigen DDR-Staatskonzerne, die im neuen Deutschland reüssierten. Späth wirbelte. Er übernahm den Vorsitz der Osttühringer IHK, später wechselte er zu einer internationalen Investmentbank, übernahm lukrative Aufsichtsratsmandate. Und außerdem? „Er schwätzt und schwätz und schwätzt“, schrieb das Managermagazin. Er moderierte eine Talkshow, schrieb 20 Bücher. Ausgefüllter konnte das Leben eines politischen Rentners kaum sein. Irgendwann ging nach mehr als 50 Jahren seine Ehe in die Brüche.
Das Verhältnis zu Helmut Kohl war auch im Alter nicht zu kitten. Zu schwer wog dessen Zorn, dass Späth sich zusammen mit Rita Süssmuth, Ernst Albrecht und Heiner Geißler gegen ihn verschworen hatte, weil sie den vor der Einheit in Westdeutschland immer weniger beliebten Kanzler nicht für den richtigen Kandidaten zur Bundestagswahl 1990 hielten.
Gescheitert ist der Putsch, passend bei Späth, an der Wirtschaft. In einem Interview mit dem Magazin der Süddeutschen Zeitung erinnerte sich Geißler kürzlich: „Er ist zur Deutschen Bank, ich will nicht sagen zitiert worden, aber jedenfalls war er dort. Die Banker haben ihm gesagt: Kohl soll bleiben“. Bankchef Alfred Herrhausen war ein persönlicher Freund Kohls. Seinem früheren Regierungssprecher Manfred Zach hat Späth, ohne Namen zu nennen, berichtet, „die Wirtschaft sage, man stürzt keinen CDU-Kanzler.“
Im Alter von 78 Jahren ist Lothar Späth am Freitag in einem Pflegeheim bei Stuttgart gestorben.