Nach Rücktritts-Ankündigung Nach Rücktritts-Ankündigung: Zwei Polizisten bei Demonstration in Ferguson angeschossen
Washington - Kurz nach Mitternacht fielen die Schüsse, offenbar gezielt abgefeuert von bislang Unbekannten aus dem Hinterhalt. Nur Sekunden später krächzte es aus einem Lautsprecher durch die Nacht: „Officer down, officer down.“ Zwei Polizisten wurden getroffen und schwer verletzt. Ihre Kollegen verschanzten sich hinter Betonbarrikaden. Sie zückten ihre Waffen und richteten sie auf die gegenüberliegende Straßenseite, wo ein paar Dutzend Menschen in Panik in alle Richtungen rannten. Es waren dramatische Szenen, die sich am frühen Donnerstagmorgen in der Kleinstadt im US-Bundesstaat Missouri während einer Demonstration abspielten. Ferguson, das zum Symbol für den strukturellen Rassismus bei der amerikanischen Polizei geworden ist, kommt einfach nicht zur Ruhe.
Die meisten Demonstranten hatten nur wenige Stunden zuvor noch gehofft, dass der Rücktritt von Thomas Jackson das Ende eines Konflikts sein könnte, der die US-Öffentlichkeit seit Monaten beschäftigt. Jackson war bis Mittwoch Chef der Polizeitruppe von Ferguson. Er stand seit Sommer vergangenen Jahres in der Kritik, weil er seine Beamte gewaltsam gegen Demonstranten vorgehen ließ. Es waren jene Tage und Wochen nach dem Tod des afro-amerikanischen Jugendlichen Michael Brown, der - obwohl unbewaffnet - von einem weißen Polizisten erschossen worden wurde. Der Beamte musste sich dafür nicht einmal vor Gericht verantworten.
Ende April entscheidet sich die Familie des erschossenen Teenagers Michael Brown, Klage gegen die Stadt Ferguson einzureichen. Ein Rückblick auf die Ereignisse.
Darren Wilson, ein weißer Polizist, erschießt den 18-Jährigen, der ihn bedrängt haben soll. Laut Augenzeugen hat Brown mit erhobenen Händen auf dem Boden gekniet, als er getötet wurde.
In Ferguson gibt es erste Proteste, Geschäfte werden geplündert. In den Tagen darauf eskaliert die Gewalt.
Auch in anderen US-Städten gehen Menschen auf die Straße.
Die Behörden rufen in Ferguson den Notstand aus und verfügen eine nächtliche Ausgangssperre.
Bei neuen Krawallen bewerfen Demonstranten Polizisten mit Brandsätzen. Der Gouverneur hat die Nationalgarde zur Hilfe gerufen.
Eine Geschworenenjury nimmt Beratungen darüber auf, ob ein Verfahren gegen den Polizisten eröffnet wird.
Sein Ministerium ermittle gegen die Polizei in Ferguson, sagt Justizminister Eric Holder. Es gebe viele Beschwerden.
Die Entscheidung der Geschworenenjury ist gefallen: Der Polizist muss nicht vor Gericht. Es kommt zu neuer Gewalt.
Wilson hat seinem Anwalt zufolge den Dienst quittiert.
Tausende in den USA protestieren gegen Polizeigewalt.
Auch die Bundesbehörden klagen Wilson nicht an. Rechtswidriges Verhalten sei ihm nicht nachzuweisen. Ermittlungen hätten jedoch ergeben, dass die Polizei in Ferguson unverhältnismäßig und rassistisch gegen Schwarze vorgehe, sagt Justizminister Holden.
Die Chefs von Polizei und Verwaltung in Ferguson treten zurück, wie Bürgermeister James Knowles mitteilt. Bei einer Demonstration werden zwei Polizisten durch Schüsse verletzt.
Doch trotz massiver Kritik an seiner Arbeit machte Polizeichef Jackson gut sieben Monate lang keine Anstalten, seinen Posten zu räumen. Und die meisten Bewohner von Ferguson waren überzeugt, dass sich Jackson noch länger an seinem Stuhl festgehalten hätte, wäre nicht vergangene Woche ein Untersuchungsbericht des US-Justizministeriums in Washington veröffentlicht worden, der seinen Abgang beschleunigte.
In dem Report heißt es, dass die Polizei in Ferguson einen verheerenden Hang zum Rassismus hat. Offenbar ließen die mehrheitlich weißen Beamten in den vergangenen Jahren keine Gelegenheit aus, Schwarze zu schikanieren. Verkehrskontrollen, Festnahmen ohne erkennbaren Grund, der Einsatz von Waffen, Schlagstöcken oder Hunden - im Zeitraum zwischen 2012 und 2014 waren Afro-Amerikaner in mehr als 90 Prozent aller untersuchten Fälle die Opfer polizeilicher Übergriffe. Dabei stellen Schwarze etwa zwei Drittel der Bevölkerung in Ferguson, die Polizei dagegen ist überwiegend mit Weißen besetzt. Nur drei von 53 Beamten waren im vergangenen August Afro-Amerikaner.
Aus Sicht des Justizministeriums in Washington gingen Polizei und Justiz in der Kleinstadt am Rande von St. Louis gezielt gegen Afro-Amerikaner vor, um möglichst viel Geld für den städtischen Haushalt einzutreiben. Das System funktionierte. Polizeichef Jackson etwa meldete im Jahr 2012 stolz in einer E-Mail an die Stadtverwaltung, dass die Einnahmen aus Strafzetteln und Bußgeldern erstmals in der Geschichte Fergusons die Marke von zwei Millionen US-Dollar überstiegen hätten. Zumindest ein Teil des Erlöses stammte aus Strafen für Kleindelikte wie Ruhestörung und das Überqueren der Straße bei roter Ampel. „Wunderbar“, antwortete damals der Verwaltungschef der Stadt Ferguson, John Shaw, der inzwischen auch seine Kündigung erhalten hat.
Keiner Schuld bewusst
Nach den Schüssen auf die Polizei am Donnerstagmorgen ist ungewiss, ob die Rücktritte von Jackson, Shaw sowie des städtischen Richters, der offenbar ebenfalls in das System gezielter und rassistisch motivierter Übergriffe eingebunden war, die wieder gestiegenen Spannungen in Ferguson beenden können. Der US-Politik-Wissenschaftler Jason Johnson sagte im Gespräch mit dieser Zeitung, der Wandel werde - wenn überhaupt - „sehr langsam“ sein. Der Polizei in Ferguson und vielen anderen Städten in den USA falle es sehr schwer, „ihre Cowboy-Attitüde abzulegen“.
Hinzu kommt: Die mutmaßlich Verantwortlichen sind sich weiter keiner Schuld bewusst. Der Ex-Polizeichef schrieb in seiner Rücktrittserklärung, er wolle auch als Privatmann der Stadt weiter helfen. Und der Verwaltungsleiter Shaw nannte die Rassismus-Vorwürfe des US-Justizministerium „schlicht und einfach falsch“.