1. MZ.de
  2. >
  3. Deutschland & Welt
  4. >
  5. Politik
  6. >
  7. Nach Flugzeugentführung: Nach Flugzeugentführung: Es gibt Streit um die juristischen Grundlagen

Nach Flugzeugentführung Nach Flugzeugentführung: Es gibt Streit um die juristischen Grundlagen

13.01.2003, 14:21
Bundesverteidigungsminister Peter Struck mit Soldaten einer Ehrenformation der Bundeswehr. (Bild: MZ-Archiv)
Bundesverteidigungsminister Peter Struck mit Soldaten einer Ehrenformation der Bundeswehr. (Bild: MZ-Archiv) dpa

Berlin/dpa. - In der Bundesregierung gibt es unterschiedliche Rechtsauffassungen über den Einsatz von Bundeswehrjets gegen entführte Flugzeuge. Nach der Kaperung eines Motorseglers vor einer Woche vor den Toren Frankfurts will Verteidigungsminister Peter Struck (SPD) nun in der Regierung die juristischen Grundlagen unbedingt klären lassen. Es geht darum, ob das Grundgesetz für Bundeswehreinsätze im Innern geändert werden muss. Das Bundesinnenministerium ist offensichtlich nicht an einer solchen Diskussion interessiert.

Mehrere Länderinnenminister von der CDU unterstützen dagegen die Initiative Strucks. Der CSU-Chef und bayerische Ministerpräsident Edmund Stoiber bot Struck sofortige Gespräche für eine Grundgesetzänderung an. Rückendeckung erhielt Struck auch von der Grünen-Vorsitzenden Angelika Beer, dem stellvertretenden Unions- Fraktionsvorsitzenden Wolfgang Schäuble (CDU) und dem Deutschen Bundeswehrverband. Skeptische Stimmen kamen aus SPD und FDP.

Ein Sprecher Strucks sagte am Montag in Berlin, Struck habe die Frage der rechtlichen Voraussetzungen für den Einsatz von Bundeswehrjets in Notfällen zum Gegenstand der Beratungen der innerministeriellen Arbeitsgruppe Flugsicherheit gemacht. Am Wochenende hatte der Minister die Ansicht geäußert, man brauche für solche Gefährdungslagen eine Klarstellung in der Verfassung.

Der Sprecher von Innenminister Otto Schily (SPD) widersprach dem am Montag indirekt. Unter Verfassungsjuristen sei unbestritten, dass in Fällen eines übergesetzlichen Notstands - also bei Gefahr für Leib und Leben - auch die Bundeswehr eingreifen dürfe, sagte der Sprecher Schilys. Auch der Abschuss eines entführten Flugzeuges, das etwa Terroristen in ein Gebäude lenken wollen, wäre demnach grundsätzlich zulässig. Nach dem Vorfall von Frankfurt war diskutiert worden, ob das gekaperte Flugzeug notfalls hätten abgeschossen werden dürfen.

Stoiber sagte am Montag in München, bislang fehle eine klare Rechtsregelung, ob Soldaten bei Angriffen von innen eingreifen dürften. Er will mit Struck auch über andere denkbare Fälle des Bundeswehreinsatzes im Innern wie den Objektschutz sprechen. Grünen- Chefin Beer sagte der «Süddeutschen Zeitung» (Montag), die Bundeswehrpiloten brauchten in Situationen «eine klare Rechtsgrundlage». «Wenn sie nötig werden sollte, hätte ich damit kein Problem.»

   Schäuble sagte in der ARD, die Union sei seit zehn Jahren für Gesetzesänderungen zum Einsatz der Bundeswehr - «und wenn die Regierung jetzt auf den Weg der Vernunft einschwenkt, begrüßen wir das». Der Thüringer Innenminister Andreas Trautvetter als neuer Vorsitzender der Innenministerkonferenz und sein Vorgänger, Bremens Innensenator Kuno Böse (beide CDU), befürworteten am Montag beim offiziellen Amtswechsel in Erfurt eine Überprüfung der Rechtslage. FDP-Chef Guido Westerwelle sagte dagegen: «Wir wollen nicht eine Bundeswehr als Hilfspolizei bekommen.»

Struck hatte dem Nachrichtenmagazin «Der Spiegel» gesagt, für eine in Notfällen möglicherweise notwendige Abschuss-Entscheidung fehle eine «geeignete Rechtsgrundlage». «Wir werden um eine Änderung des Grundgesetzes wohl nicht herumkommen.» Das hat die SPD bislang abgelehnt. Die Vorsitzende des Bundestags-Innenausschusses, Cornelia Sonntag-Wolgast (SPD), riet dazu, zunächst über andere Möglichkeiten als die Bundeswehr zur Bekämpfung solcher Vorfälle nachzudenken. Sie sehe «keinen Umschwung innerhalb der SPD zu Gunsten einer Grundgesetzänderung», sagte sie der «Thüringer Allgemeinen» (Dienstag).

   Nach dem Grundgesetz dürfen die Streitkräfte nur im Spannungs- oder Verteidigungsfall oder zur Amtshilfe für die Bundesländer bei Naturkatastrophen oder bei besonders schweren Unglücksfällen im Inneren eingesetzt werden (Artikel 35 Absatz 2 Satz 2). Ein Bundeswehreinsatz in Fällen wie dem in Frankfurt ist nicht genau beschrieben.