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Nach Asylstreit Nach Asylstreit: Seehofer ist Ziel von Spitzen und Beleidigungen

Von Daniela Vates 04.07.2018, 17:35
Horst Seehofer wartet auf den Beginn der Sitzung
Horst Seehofer wartet auf den Beginn der Sitzung AFP

Berlin - Diesmal kommt Horst Seehofer pünktlich. Er kommt sogar überpünktlich und vor den meisten anderen. Es ist der Tag 2 nach der Einigung der Union. Es ist auch der Tag 2 nach Seehofers letztem Wüten, nachdem er Angela Merkel öffentlich vorgehalten hat, sie sei sowieso nur Kanzlerin von seinen Gnaden. Ein Satz war das, der wie ein Schimpfwort klang.

An diesem Tag hält Merkel ihre Haushaltsrede im Bundestag. Seehofer ist häufig zu spät gekommen zu all den Krisensitzungen der vergangenen Tage, manchmal war er auch gar nicht da. Es war eine Mischung aus Unhöflichkeit, Respektlosigkeit und Desorganisation. Diesmal, wie gesagt, kann das nicht passieren. Zehn Minuten vor Sitzungsbeginn steht Seehofer im Plenarsaal. AfD-Fraktionschef Alexander Gauland ist auch schon da und liest Zeitung. Sonst ist es ziemlich leer.

Seehofer wartet allein auf Regierungsbank

In der letzten Reihe der Regierungsbank sitzen schon zwei, zwei freundliche Staatsekretäre. Seehofer stellt sich zu ihnen und plaudert eine Weile. Dann setzt er sich doch auf seinen Platz, erste Reihe, zwei Plätze neben dem Sitz der Kanzlerin. Immer noch fehlen die anderen Minister. Seehofer sitzt da ganz alleine, manchmal sind auch Minuten eine lange Zeit. Er hat an diesem Tag Geburtstag, das auch noch.

Irgendwann kommt die Verteidigungsministerin. Ursula von der Leyen schüttelt im kurz und freundlich die Hand, zwei CSU-Abgeordnete kommen dazu. Die Rettung aus der Einsamkeit.
Die Kanzlerin kommt knapp, vier Minuten sind es noch bis Sitzungsbeginn. Ein kurzer Händedruck, kein Verweilen zum Plaudern. Die hat sie dafür mit von der Leyen und CSU-Digitalstaatsministerin Dorothee Bär.

Alice Weidel steht das erste Wort zu

Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble eröffnet die Sitzung. Abgeordneten gratuliert er in der Regel im Namen des Hauses zum Geburtstag. Den Jubiläumstag Seehofers erwähnt er nicht. Das übernimmt später Dietmar Bartsch, der Fraktionschef der Linkspartei, aber bis dahin dauert es noch anderthalb Stunden.

Erstmal ist Alice Weidel an der Reihe. Als Vorsitzende der größten Oppositionsfraktion steht ihr das erste Wort zu und sie erntet da erstmal jubelnden Applaus von der Union für den Satz, die Sitzung zeige ja „Züge des Surrealen“. Die Union findet vermutlich die AfD an sich surreal.

Weidel meint den Streit zwischen CDU und CSU: Die Regierung sei „mit dem eigenen Überleben beschäftigt“, befindet sie und reiht dann ihre Vorwürfe aneinander: Der Wohlstand werde verschleudert, ein Krieg geführt gegen die Autoindustrie, die Europolitik bestehe aus „billigen Finanztricks“.

Deutschland íst „ein Narrenhaus“

Und damit ist sie wieder beim Unionsstreit. „Sie demontieren ihren Innenminister, weil er damit droht, wenigstens teilweise wieder geltendes Recht anzuwenden“, wirft sie der Kanzlerin vor. Deutschland sei „ein Narrenhaus und im Kanzleramt ist die Zentrale“.

Seehofer folgt ihr interessiert, Merkel studiert ihren Redetext. Weidel wendet sich dem Minister zu. Leider habe er sich ja nicht durchsetzen können. Später wird der zweite AfD-Fraktionschef Alexander Gauland ihr widersprechen: Der Beschluss der Union sei „ein Schritt in die richtige Richtung“.

Weidel endet ihre Rede mit der AfD-üblichen Forderung nach einem Rücktritt der Kanzlerin. 

„Wir beraten heute den Haushalt“

Merkel tritt ans Pult und sagt: „Wir beraten heute den Haushalt.“ Sie spricht über emotionale Debatten und erinnert daran, dass die Koalition sich vorgenommen habe, sich für Zusammenhalt der Gesellschaft einzusetzen. Man solle „nicht so tun, als ob alle Probleme unlösbar sind“, sagt sie. Es gehe darum, immer „weiterzuarbeiten für eine bessere Welt“.

Sie redet viel über die Notwendigkeit, in Europa gemeinsam zu agieren. Der Umgang mit der Migrationspolitik entscheide darüber, ob die EU Bestand haben werde. Es sei „eine Aufgabe, die alle angeht“, sagt sie. Das sei „eigentlich trivial, eigentlich selbstverständlich“. Es ist eine indirekte Ansprache an Seehofer, das kleine bisschen Spitze, das sich Merkel dann doch noch leistet. Europäisches oder nationales Vorgehen in der Flüchtlingspolitik, das war der Grundkonflikt der vergangenen Tage. Seehofer blickt nun geradeaus, nicht mehr ganz so interessiert.

Aber er bekommt auch noch eine persönliche Erwähnung, wenn auch eine sehr geschäftsmäßige. „Es muss mehr Ordnung in alle Arten der Migration kommen“, sagt Merkel. Man werde jetzt über Abmachungen mit anderen EU-Staaten für die Rücknahme von Flüchtlingen sprechen. „Der Bundesinnenminister wird daher die Gespräche führen.“

„Im Bundeskanzleramt biegen sie sich jetzt vor Lachen“

FDP-Chef Christian Lindner greift das anschließend so auf: „Seehofer muss jetzt das leisten, was Frau Merkel nicht vermocht hat. Ich glaube, im Bundeskanzleramt biegen sie sich jetzt vor Lachen.“ Dass Seehofer an dieser Stelle nickt und Merkel lächelt, kann man unterschiedlich deuten.

Lindner wirft der CSU außerdem vor, die Regierung gespalten zu haben und der Union, sich „zu Lasten der SPD“ geeinigt zu haben. „Sie verschieben die Regierungskrise nur. Sie grienen und grinsen. Das ist kein fairer Umgang mit der SPD“, verkündet er und erntet Raunen ob so viel Mitgefühls.

Den Herbst 2015 erwähnt Lindner auch. Die CSU verweist darauf stets in der Flüchtlingsdebatte. Sie findet, das Problem habe mit der Entscheidung Merkels angefangen, die Grenzen Deutschlands damals auf dem Höhepunkt des Migrantentrecks aus Syrien und anderen Ländern nicht zu schließen.

Lindner erinnert an anderes: Seit Herbst 2015 seien die Softwaremanipulationen bei deutschen Dieselautos bekannt – und das Problem ungelöst. Seit Herbst seien außerdem die Baukosten für Häuser dramatisch gestiegen. Angesprochen fühlen können sich der damalige Verkehrsminister Alexander Dobrindt und der heutige Bauminister Seehofer.

„Regieren ist halt keine Paartherapie.“

Dobrindt ist mittlerweile Vorsitzender der CSU-Bundestagsabgeordneten. Er war einer der Hauptprotagonisten des jüngsten Streits. Im Bundestag muss er eine Weile warten, bis er an die Reihe kommt. Er empfiehlt einen „Lernprozess (…) wenn es darum geht, was Recht und Ordnung ist“ und fährt fort: „Sie wollen alle aufnehmen, die auf der Welt als Flüchtlinge unterwegs sind.“ So hat die CSU oft über oder in Richtung Merkel gesprochen, Dobrindt wendet sich an diesem Tag aber lieber mal an die Grünen.

Deren Fraktionsvorsitzender Toni Hofreiter hat der CSU zuvor gerade „populistischen Rausch“ bescheinigt und Merkel und Seehofer darauf hingewiesen: „Regieren ist halt keine Paartherapie.“

Dietmar Bartsch stellt dann noch fest, das C in ihren Namen stehe nicht mehr für „Christlich“ sondern für „Chaos“. Er vermutet, die CSU hätte „auch mit einem Lächeln Jesus abgeschoben“. Bartsch hat dann, nach anderthalb Stunden Bundestagsdebatte, auch an Seehofers Geburtstag erinnert, mit einer ganz eigenen Art des Glückwunsches allerdings: „An ihrem 70. werden Sie nicht mehr hier sitzen.“

Das wäre dann im nächsten Jahr. Dazwischen liegt die Landtagswahl in Bayern im Oktober. Bartsch Einschätzung deckt sich mit der in der CSU. Die sagen das zwar nicht laut. Aber Seehofers Auftreten der vergangenen Tage, die Sprüche, die Rücktrittsdrohung, der Rücktritt vom Rücktritt, sind selbst den derben Umgang gewohnten CSUlern dann zu weit gegangen.

In der Einigungsrunde vom Montagabend, habe Seehofer nochmal richtig aufgedreht, berichten Teilnehmer. Er habe jeden zweiten Halbsatz als Angriff auf sich selbst verstanden. So erklärt sich auch, wie die CSU dann schließlich den Verhandlungsort verließ: Seehofer verkündete die Einigung. Hinter ihm aufgereiht standen seine CSU-Kollegen, nicht in triumphaler Pose, sondern mit betretenen Gesichtern.

SPD sei bereit, weiter zu regieren

SPD-Fraktionschefin Andrea Nahles beschwert sich bei ihren Koalitionspartnern, wegen ihres Streits das Regieren vernachlässigt zu haben. Sie stellt Bedingungen für eine Zustimmung zu den von CDU und CSU gewünschten Transitzentren für Flüchtlinge: Absprachen mit den anderen Ländern, rechtsstaatliche Verfahren und keine geschlossenen Lager. Im Übrigen sei die SPD sehr bereit, weiter zu regieren. Nahles erntet ein freundliches Nicken von Merkel.

Fraktionschef Volker Kauder verrät, was die Union der SPD dafür anbietet, dass sie dem Unionskompromiss zustimmt. Man habe am Dienstag vereinbart: „Bis Ende des Jahres ist das Gesetz im Deutschen Bundestag.“ Am Nachmittag versichert Merkel in der ARD-Sendung „Farbe bekennen“, der Aufenthalt in den Transitzentren sei nur für 48 Stunden möglich. Es sei also „eine sehr kurze Aufenthaltsdauer“. Und es werde separate Bereiche geben für Kinder und Frauen.

Warum schmeißen Sie Seehofer nicht raus?, wird sie noch gefragt. „Wir haben in der Sache einen Streit gehabt“, antwortet Merkel. Für die Arbeit in der Regierung sei nur entscheidend, ob alle Minister sich innerhalb der Richtlinien bewegten. So stehe es im Grundgesetz. Übrigens sei dafür auch nicht relevant, ob jemand Parteivorsitzender sei. Es ist dann doch eine Antwort auf Seehofers Satz: „Ich lasse mich nicht von einer Kanzlerin entlassen, die nur wegen mir Kanzlerin ist." Merkels Replik lässt sich so zusammenfassen: Auch Seehofer wird sich entlassen lassen müssen. Es ist eine Art Drohung.