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MZ-Serie - Teil 1 MZ-Serie - Teil 1: Plötzlich hilflos

Von Bärbel Böttcher 04.12.2011, 21:19

Halle (Saale)/MZ. - "Es ist keine Kunst mit dem Leben fertig zu werden, wenn alles gut läuft", sagt Dagmar Franke. Ehemann Walter nickt. Fast auf den Tag genau vier Jahre ist es jetzt her, dass das Leben der Frankes aus den Fugen geriet.

Dagmar Franke erinnert sich genau an den Tag im November, als sie zu Hause auf ihren Partner wartete. Der war im Garten. Er wollte die letzten Herbstarbeiten erledigen. Sie wusste, es könnte länger dauern. Doch es wurde ungewöhnlich spät. Sie ging nachschauen. Und fand ihren Mann. Im Garten. Am Boden liegend Er hatte einen schweren Schlaganfall erlitten.

Vier Monate Krankenhausaufenthalt in Halle und neun Wochen Rehabilitation in Bad Klosterlausnitz folgten. "Eine furchtbare Zeit", sagt die heute 67-Jährige, die damals schon Rentnerin war.

An erster Stelle stand die Sorge um ihren Mann. Jeden Tag hat sie ihn in der Klinik besucht. Es habe ihr sehr zu schaffen gemacht, ihn da liegen zu sehen. Linksseitig gelähmt und fast hilflos. Immerhin, sie konnten miteinander reden. Das Sprachzentrum war kaum in Mitleidenschaft gezogen.

Walter Franke sagt, dass er in dieser Zeit eigentlich niemals verzweifelt gewesen ist. "Ich habe gehofft, dass sich mein Zustand schnell bessert. Vor allem, dass ich bald wieder richtig laufen kann", sagt er. Heute sitzt der 69-Jährige im Rollstuhl. Und er hat das Ziel, sich irgendwann wieder auf seinen zwei Beinen fortzubewegen, nicht aufgegeben. Darum kämpft er. Und macht mit Hilfe von Physio- und Ergotherapie kleine Fortschritte.

Damals, im Krankenhaus, haben dem ehemaligen Russisch- und Geografielehrer, der bis 2005 an einem halleschen Gymnasium unterrichtet hat, wohl auch die regelmäßigen Besuche seiner einstigen Kollegen geholfen. Der Kontakt ist nie abgerissen. Er erzählt von gemeinsamen Ausflügen und Unternehmungen. Trotz seiner Behinderung. Dabei lebt er regelrecht auf.

Dagmar Franke hatte im Spätherbst 2007 aber auch eine ganze Reihe praktischer Fragen zu lösen. Da war die Wohnung in Hohenweiden im Saalekreis. 1996 war das Paar dorthin gezogen. In eine schmucke Galeriewohnung mit Treppe zum Schlafzimmer. Dahin konnte ihr Mann auf keinen Fall zurück. Also musste Dagmar Franke auf die Suche gehen. Im Januar 2008 fand sie eine behindertengerechte Wohnung im Süden von Halle. "Mein Mann konnte sich von dem alten Zuhause nicht einmal verabschieden", sagt sie.

Es musste der Umzug organisiert werden. "Ich hätte ihr gern beim Kistenpacken geholfen", sagt Walter Franke. Aber das ging ja nicht. Sie hat alles mehr oder weniger allein bewältigt. So gut sie konnten haben die drei Kinder geholfen. Doch die Frankes teilen das Schicksal vieler Eltern in dieser Region. Der Nachwuchs hat sich weit weg eine berufliche Existenz geschaffen. Nur ein Sohn lebt in der Stadt. Und der, so ist Dagmar Franke des Lobes voll, kümmere sich sehr um seine Eltern.

Zudem galt es Vorsorge für die Heimkehr des Mannes zu treffen. Ein Pflegedienst musste engagiert werden. Der Antrag auf eine Pflegestufe wurde bereits während der Rehabilitation gestellt - mit Hilfe des sozialen Dienstes der Einrichtung. Die Begutachtung des "Falles" durch den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) erfolgte dann aber in Halle. Stufe II mit den entsorechenden Geldleistungen wurde Walter Franke gewährt. Befristet, was nicht unüblich ist. Manche Patienten erholen sich, der Pflegebedarf kann sich ändern. Dreimal ist Walter Franke bisher begutachtet worden. Dreimal mit demselben Ergebnis.

Für die regelmäßige medizinische Betreuung war ein Arzt vonnöten, der zum einen einen rollstuhlgerechten Eingang und zum anderen freie Patientenkapazitäten hat. An vielerlei musste gedacht werden. Und Dagmar Franke hat es geschafft. "Ich bin durch ein Tal der Tränen gegangen", sagt sie. "Seelisch, moralisch und auch körperlich bin ich bis an meine Grenzen gegangen." Aber sie habe in dieser Situation funktioniert.

Heute hat sich das Leben der Familie eingespielt. Der Pflegedienst kommt einmal am Tag zu Walter Franke. Die Schwestern helfen ihm bei der Morgentoilette. Die weitere Pflege liegt in Händen der Ehefrau. Kombinationsleistung ist der Fachbegriff der Kassen dafür. Kombiniert werden dabei Pflegesachleistungen, die der Pflegedienst erbringt, und Pflegegeld, dass der Bedürftige erhält.

"Pflege ist eine richtig verantwortungsvolle Sache", sagt Dagmar Franke. Sie musste lernen, ihren Mann mit den richtigen Griffen zu bewegen - zum Beispiel vom Rollstuhl ins Bett. Sie musste lernen, dem Diabetiker Insulin zu spritzen. Und sie muss aufpassen, dass er die richtigen Tabletten zum richtigen Zeitpunkt einnimmt. Apropos Medikamente. Walter Franke hat durch die vielen Tabletten seinen Geschmack verloren. "Jetzt hat es meine Frau beim Kochen leichter", scherzt er. "Sie kann auf den Tisch bringen was immer sie will."

Seinen Humor hat der Mann nicht verloren. Es sei schon früher sein Motto gewesen, jeden Tag mit guter Laune in die Schule zu gehen. Was die Schüler am wenigsten brauchten, seien miesepetrige Lehrer. Und auch heute wird im Hause Franke viel gelacht. "Es ist doch nicht alles vorbei", sagt Dagmar Franke. Es sei trotz des Rollstuhls beispielsweise noch möglich zu reisen, wenn auch nicht mehr so weit wie früher, als die Ziele Neuseeland, Teneriffa oder Gran Canaria hießen. Jetzt geht es an die Nordsee oder in den Harz.

45 Jahre lang sind die beiden verheiratet. Sie sprechen schon von der Goldenen Hochzeit in fünf Jahren. Nur vor einem hat Dagmar Franke Angst: dass ihr selbst mal etwas passiert, und sie ihrem Mann nicht mehr helfen kann.

Schreiben Sie uns Ihre Geschichten. Welche Erfahrungen haben Sie gemacht? Welche Probleme sind im Pflegefall aufgetreten?: Mitteldeutsche Zeitung, 06075 Halle, Stichwort Pflege oder per Mail an: [email protected]

Eine Expertin beantwortet heute zwischen 10 und 13 Uhr am MZ-Telefon Ihre Fragen zur Pflege. Rufen Sie an unter der Nummer: 0345 / 5654027