MZ-Serie MZ-Serie: Buna oder BASF?

Halle/Ludwigshafen/MZ - Klaus-Dieter Weißenborn und Heinz Schlapkohl haben einiges gemeinsam. Nicht nur, dass die beiden heute 70 Jahre alt sind. Die Männer entdecken auch früh ihre Liebe zur Chemie. Sie werden durch den Unterricht in der Schule für das Fach begeistert. Beide entschließen sich, ein entsprechendes Studium aufzunehmen und sind an dessen Ende Diplom-Chemiker. Beide promovieren im Anschluss und verbringen dann ein langes Arbeitsleben in einem großen Chemie-Unternehmen. Aber: Das alles geschieht auf verschiedenen Seiten des Eisernen Vorhangs. Und deshalb unterscheidet sich der Lohn, den beide heute für ihre Lebensleistung erhalten, gravierend voneinander. Es ist sicherlich ein etwas gewagter Vergleich. Wir stellen ihn trotzdem an.
Klaus-Dieter Weißenborn
Klaus-Dieter Weißenborn forscht bereits während seiner Praxisaspirantur für Buna in Schkopau bei Halle. Und macht sich damit einen guten Namen. So ist es kein Wunder, dass der junge Chemiker schon bald nach seinem vollständigen Einstieg im Werk zu Generaldirektor Oswald Bärwinkel gerufen wird und eine Aufgabe erhält, die ihm wirklich alles abverlangt. Was war geschehen? 1968 explodiert im Chemiekombinat Bitterfeld die PVC-Fabrik. Es gibt viele Tote und Verletzte. Die Konsequenz - Buna ist von nun an Alleinhersteller des Kunststoffes und hat den gesamten Bedarf der DDR zu decken. Hinzu kommen Exporte in das sozialistische Wirtschaftsgebiet.
Schon dafür muss die Kapazität der alten Anlagen erweitert werden. „Mit relativ wenigen Mitteln“, wie Weißenborn sagt. Hinzu kommt aber noch folgendes: Mitte der 70er Jahre wird eine neue PVC-Anlage in Buna gebaut. Auf Lizenz von Hoechst in Frankfurt (Main). „Die Re-Finanzierung dieser Anlage - das waren immerhin sieben Milliarden Valuta-Mark - sollte über West-Exporte von PVC aus der alten Anlage erfolgen“, erzählt der Chemiker. Damit dieser Plan aufgehen kann, muss das PVC weltmarktfähig gemacht werden. „Und das war meine Aufgabe“, fügt er hinzu. 14 Tage gibt ihm der Generaldirektor Zeit, um ein Konzept zu entwickeln. Dann geht es los.
Weißenborn hat von diesem Moment an den größten Forschungsbereich von Buna zu managen. Es gilt, die Arbeit von etwa 80 Mitarbeitern - davon 25 ingenieur-technische Angestellte - zu leiten und zu lenken und mit der anderer Bereiche zu koordinieren. Und er geht mit Feuereifer ans Werk. Noch heute ist der Enthusiasmus zu spüren, wenn er von den Experimenten erzählt, die gemacht werden, um am Ende die hohen Qualitätsstandards des PVC für Leitungsrohre, Kabel oder Bluttransfusionsschläuche zu erfüllen. Voller Stolz berichtet er von einer speziellen PVC-Type, aus der Rohre mit einer geringeren Wandstärke hergestellt werden können, die aber dem gleichen Druck standhalten wie herkömmliche Rohre. „Das brachte eine unheimliche Materialeinsparung und Leipziger Messe-Gold“, sagt Weißenborn. „Niemand hatte es für möglich gehalten, dass das mit den alten Anlagen geht.“
Zu diesem Zeitpunkt beginnt aber bereits der Ärger mit seiner Rente, der ihn bis heute nicht loslässt. Weißenborn hofft, eine so genannte Versorgungszusage zu erhalten - eine Urkunde, die ihn in den Kreis derer einschließt, die im Alter neben der gesetzlichen Rente eine so genannte Intelligenz-Rente bekommen. „Mein Vorgänger hatte die auch“, sagt er. Doch als Weißenborn danach fragt, wird gesagt, dass ihm dafür etwas Entscheidendes fehle. Er zeigt an die linke Revers-Seite, da wo früher das Parteiabzeichen saß. Weißenborn fühlt sich diskriminiert. Nach der Wende hält auch das Bundessozialgericht die willkürliche DDR-Praxis für falsch und ermöglicht mit einem Urteil von 1998 die nachträgliche Einbeziehung in das Versorgungssystem - auch wenn keine Versorgungszusage vorliegt. Weißenborn schöpft Hoffnung. Doch bis heute kämpft er - zusammen mit vielen Mitstreitern - vergebens um sein Recht.
Dass eine Weigerung, in die SED einzutreten, nicht ohne Folgen bleibt, merkt er auch, als das Kollektiv, das die Intensivierung der PVC-Anlage erreicht hat, an der er maßgeblich beteiligt war, mit dem Nationalpreis ausgezeichnet werden soll. Er wird kurzerhand von der Liste gestrichen. So etwas erlebt er nicht nur einmal.
Mit der PVC-Forschung hingegen geht alles gut - bis 1979. Die höheren Qualitätsanforderungen an das PVC für den Druckrohrsektor können mit den vorgegebenen „Rezeptur“-Einschränkungen nicht erfüllt werden. Der Chemiker besteht auf einer Rezeptur mit anderen Hilfsstoffen, die nur über Importe zu bekommen sind. Das wird aber nicht genehmigt. Bald danach wird er als Abteilungsleiter abgelöst. Ihm wird „mangelnde ideologische Führungsfähigkeit“ vorgeworfen. Wegen seines Widerstandes? Das denkt er lange. Erst nach der Wende erfährt er, dass er ins Visier der Stasi geraten war. Sie verdächtigt ihn, mit dem Klassenfeind in Verbindung zu stehen - was absurd ist.
Die Degradierung setzt Weißenborn sehr zu. Hat er sich doch 14, ja manchmal 16 Stunden am Tag für seine Arbeit aufgerieben. Nach Feierabend den Kopf in Bücher und Zeitschriften gesteckt, auch um fachlich auf der Höhe zu bleiben. Und nun das. Zunächst arbeitet er in der zweiten Reihe weiter. Dann wird der Chemiker - auch aus gesundheitlichen Gründen - in die neue PVC-Anlage versetzt. Dort führt er seine Arbeit weiter. Nach der Wende ist er auch wieder für Forschung der Altanlage zuständig. Und endlich wird auch die PVC-Druckrohrtype Realität.
So geht es bis 1998. Da ist aus Buna schon Dow Chemical geworden. Und der Konzern verkauft die PVC-Anlage. Forschung ist am Standort Schkopau nicht mehr gefragt. Bis 2000 ist er noch bei Dow tätig, danach in einer Auffanggesellschaft. Zwei Jahre später - Weißenborn ist inzwischen 62 – muss er in Rente gehen - mit 10,8 Prozent Abschlag.
Für seine Lebensleistung erhält er heute eine Rente von 854 Euro (netto). Mit der Zusatzversorgung wären es etwa 200 Euro mehr. Zusammen haben die Weißenborns monatlich 1 550 Euro (netto) zur Verfügung. Er habe nie außerordentlich viel verdient, sagt der 70-Jährige. Zwar sei das Gehalt mit den Aufgaben gestiegen. Aber beispielsweise ein Schichtleiter in der Produktion sei durch seine Zuschläge dicht an ihn herangekommen. Deshalb habe er auch nicht in die Freiwillige Zusatzrentenversicherung der DDR eingezahlt, die es ab März 1971 gab. „Wir brauchten das Geld, um unseren drei Kindern etwas zu bieten“, sagt er. Wegen der Kinder habe seine Frau - Diplom-Chemikerin in Leuna - auch nicht voll gearbeitet.
Erst bei Dow Chemical - in den letzten Jahren seines Berufslebens - bekommt Weißenborn auch, was er verdient. Aber das ist eine zu kurze Zeit um die Rente noch entscheidend zu beeinflussen.
Heinz Schlapkohl
Heinz Schlapkohl geht seine ersten beruflichen Schritte bei der BASF in Ludwigshafen (Rheinland-Pfalz). Den Kieler verschlägt es wegen seiner Liebe zur Chemie in den Südwesten der Bundesrepublik. Er wird dort zum Chemie-Laboranten ausgebildet und kehrt danach erst einmal in den Norden zurück. Die Landwirtschaftliche Untersuchungs- und Forschungsanstalt stellt den jungen Mann ein. Parallel bereitet er sich auf dem Abend-Gymnasium auf das Abitur vor. Als das 1965 geschafft ist, studiert er fünf Jahre lang. 1970 heuert er bei der Deutschen Gesellschaft für chemischen Apparatebau an, die seine Promotion unterstützt. 1974 ist auch die abgeschlossen. Der frischgebackene Doktor orientiert sich neu - und geht zurück nach Ludwigshafen. „Ich hatte damals die Wahl und habe mich für die BASF entschieden“, sagt er.
Haben bei der Entscheidung Gedanken an die spätere Altersversorgung schon eine Rolle gespielt? „Neín“, sagt Schlapkohl. „Aber ich wusste damals schon, dass die BASF - wie andere große Chemie-Konzerne auch - eine gute Zusatzversorgung im Alter garantiert.“
Schlapkohl beginnt als Chemiker in einem Kunststoff-Labor. Und wird doch schon mit dem Einstellungsvertrag auf das Alter aufmerksam gemacht. Darin heißt es: „Sie verpflichten sich, während der Dauer des Dienstverhältnisses der Pensionskasse der Angestellten der BASF nach ihrer Satzung anzugehören.“ Die Satzung legt damals fest, dass die Angestellten monatlich zwei Prozent ihres zu versteuernden Einkommens in eben diese Kasse einzahlen. Die BASF zahlt einen deutlich höheren Anteil dazu.
Schlapkohl arbeitet an der Entwicklung ungesättigter Polyester-Harze, die beispielsweise als Isolationsmaterial verwendet werden. Nebenbei engagiert er sich bei der IG Chemie. Beeinflusst durch die Studentenbewegung hatte er 1968 zur Gewerkschaft gefunden. 1971 wird er Mitglied. „Ich war deren akademisches Aushängeschild“, sagt er selbstironisch. „Auch bei der BASF bin ich gleich in die Gewerkschaftsarbeit hineingegangen - in der Probezeit noch verdeckt, später dann offener“, erzählt er. Eigentlich soll es beim Ehrenamt bleiben. Doch 1978 wird Schlapkohl hauptamtlicher Betriebsrat.
In seiner neuen Funktion ist er für vieles zuständig. Er kümmert sich um die Lehrlingsausbildung, um soziale Belange wie auch die Weiterentwicklung der Pensionskasse, um die Arbeitssicherheit. Sein Hauptbetätigungsfeld aber wird der Umweltschutz. Mehr als zehn Jahre leitet er den Umweltausschuss des Betriebsrates, sitzt mit am Tisch, wenn es um die Genehmigung neuer Anlagen geht oder zu Störfällen in einer der Anlagen kommt. Insofern bleibt Schlapkohl der Chemie treu. Bis zum 61. Lebensjahr. Dann entschließt er sich, ein Angebot zur Altersteilzeit anzunehmen. „Richtiger“ Rentner wird er mit 63,5 Jahren. Und obwohl er wegen des frühzeitigen Rentenbeginns Abschläge hinnehmen muss, erhält er eine gesetzliche Rente von 1 660 Euro (netto). Sein Verdienst, so sagt er, habe immer über der Beitragsbemessungsgrenze (die Bruttolohn-Grenze, bis zu der Rentenversicherungsbeiträge gezahlt werden müssen) gelegen. Und weil das so ist, bekommt er wie alle Akademiker von der BASF noch eine so genannte Firmenrente - quasi um die Differenz zwischen dem Lohn an der Beitragsbemessungsgrenze und dem tatsächlichen Lohn auszugleichen. Gemeinsam mit den Zahlungen aus der Pensionskasse sind das nach Abzug von Kranken- und Pflegeversicherungsbeitrag 2 180 Euro. Monatlich werden dann noch bis zu 200 Euro Steuern fällig. Seine Frau, die lange bei Hoechst beschäftigt war, trägt noch einmal 1 300 Euro zum Familieneinkommen bei. Es sind also etwa 5 000 Euro, die das kinderlose Ehepaar zur Verfügung hat.
Heinz Schlapkohl verhehlt nicht, dass das alles „eine schöne Sache“ ist. Aber er relativiert. „Die Betriebsrenten haben sich verändert - wer heute anfängt, kriegt nicht annähernd so viel wie ich“, sagt er. Gleichzeitig verweist er darauf, dass die Pensionskasse eine privatwirtschaftliche Angelegenheit ist, die es auch im Westen längst nicht in jedem Betrieb gibt, schon gar nicht in kleineren. Er sagt unumwunden: „Ich habe Glück gehabt.“
Die beiden Männer lernen sich übrigens Anfang der 90er Jahre kennen. Bei der Gewerkschaftsarbeit. Da geht es um Umweltschutz. Über ihre Renten haben sie nie miteinander gesprochen.
