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MZ-Interview mit Peter Propping MZ-Interview mit Peter Propping: Dem Risiko auf der Spur

10.11.2010, 15:11

BONN/MZ. - Wie groß ist das Risiko eines Menschen, etwa an Krebs zu erkranken? Dieser Frage geht die so genannte prädiktive genetische Diagnostik nach. Sie befasst sich mit der Vorhersage von Krankheiten durch die Untersuchung der Gene. Es ist ein junger Zweig der Medizin, der sich rasch entwickelt. Das hat die Leopoldina, Nationale Akademie der Wissenschaften, die Deutsche Akademie der Technikwissenschaften (acatech) sowie die Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften veranlasst, in einer Stellungnahme Gesellschaft, Politik, Forschungsförderer, Ärzteschaft und Krankenversicherer über die Chancen, Grenzen und Risiken des Gebietes zu informieren. Leiter der Arbeitsgruppe war der Humangenetiker Professor Peter Propping. Er ist emeritierter Direktor des Instituts für Humangenetik der Universität Bonn und Leopoldina-Präsidiumsmitglied. Mit ihm sprach unsere Redakteurin Bärbel Böttcher.

Herr Professor Propping, für welche Menschen hat die prädiktive genetische Diagnostik Bedeutung?

Propping: Insbesondere für Menschen die ein hohes Risiko haben für eine genetisch bedingte oder genetisch stark mitbedingte Krankheit, die im Prinzip verhinderbar oder behandelbar ist. Es gibt beispielsweise erblichen Brustkrebs, erblichen Darmkrebs, erblichen Schilddrüsenkrebs. Wenn erkannt wird, dass Menschen diese genetische Bürde tragen, sollten sie in ein engmaschiges Früherkennungsprogramm aufgenommen werden. Entsteht ein Tumor wird das frühzeitig erkannt und es ist eine Heilung möglich.

Das gibt es noch nicht?

Propping: Doch, aber es passiert bisher unsystematisch. Ein großer Teil der Risikopatienten wird gar nicht erkannt. Unser Gesundheitssystem ist an dieser Stelle veränderungsbedürftig.

Inwiefern?

Propping: Ich will es an einem Beispiel veranschaulichen. Genetische Veränderungen, die das Risiko erhöhen, an Darmkrebs zu erkranken, steigern gleichzeitig das Risiko für Magenkrebs, für Gebärmutterkrebs, für Krebs der ableitenden Harnwege, für Eierstockkrebs und noch einige seltenere Tumore. Darmkrebs ist das quantitativ dominierende Syndrom. Und deshalb ist es heute oftmals so, dass nur der Darm regelmäßig untersucht wird. Doch für die Diagnostik und Langzeitbetreuung dieser Patienten bräuchten wir eigentlich Zentren, die alle diese Krankheiten im Blick haben. Das heißt, es müssten entsprechend spezialisierte Gastroenterologen, Gynäkologen, Urologen sowie Genetiker und Pathologen unter einem Dach versammelt sein. Und weil es eben nicht nur um Früherkennung, sondern oft auch um Behandlung geht, sollte das unter dem Dach eines Krankenhauses sein - auch wenn es um die ambulante Betreuung von Patienten geht.

Unsere so genannte sektorale Krankenversorgung - wer ambulant betreut werden kann, geht zum niedergelassenen Arzt, wer schwerer erkrankt ist, kommt in die Klinik - ist für diese Menschen keine glückliche Lösung.

In der Stellungnahme der Akademiengruppe zur prädiktiven genetischen Diagnostik wird sehr viel Wert auf Beratung gelegt. Warum?

Propping: Beratung ist vor allem im Vorfeld nötig. Es werden ja Gesunde untersucht um festzustellen, ob sie ein erhöhtes Risiko für eine bestimmte Erkrankung haben. Es muss ihnen gesagt werden, was dabei rauskommen kann.

Ein günstiges Resultat nimmt ihnen eine Sorge. Ein ungünstiges kann eine psychische Belastung sein.

Propping: Richtig. Aber wenn sie einem Menschen sagen, dass er das Risiko trägt, eine bestimmte Krankheit zu bekommen und im nächsten Satz Behandlungsmöglichkeiten aufzeigen können, ist die Sache doch schon entschärft. Anders sieht es aus, wenn es sich um eine genetische Krankheit handelt, für die es keine überzeugende Therapie gibt. Darauf muss man in der vorausgehenden Beratung auch hinweisen. Viele Menschen, in deren Familien solche Krankheiten auftreten, verzichten dann auf die Untersuchung.

Nun kann es vorkommen, dass bei einer Untersuchung mehr genetische Informationen gewonnen werden, als beabsichtigt. Was geschieht mit den so genannten Überschussinformationen?

Propping: Mitunter ist es aus methodischen Gründen unmöglich, ganz gezielt auf nur eine bestimmte Krankheit zu untersuchen. Wenn das der Fall ist, muss man das dem betreffenden Menschen vorher sagen. Er muss entscheiden, was mit der Überschussinformation geschehen soll. Es gibt drei Möglichkeiten. Wir können das interpretieren, löschen oder aufbewahren, um es zu einem späteren Zeitpunkt zu verwenden.

Es können dabei auch Informationen gewonnen werden, die für Familienangehörige des Patienten interessant sind. Sie könnten das gleiche Risiko, eine bestimmte Krankheit zu bekommen, tragen. Was wiegt da für den Arzt schwerer, Schweigepflicht gegenüber den Angehörigen oder Fürsorgepflicht für die Angehörigen?

Propping: Im heute gültigen Gendiagnostik-Gesetz heißt es, dass die Rat suchende Person selbst ihre Angehörigen informieren soll. Der Arzt kann das aber nicht kontrollieren. Es kann also passieren, dass Angehörige erkranken, obwohl das hätte verhindert werden können. Und deshalb haben wir in unserer Stellungnahme sehr vorsichtig formuliert, dass der Arzt im Einzelfall - unter Abwägung aller Gesichtspunkte - die Möglichkeit haben sollte, sich selbst an den Angehörigen zu wenden. Dieser soll die Möglichkeit haben, Nutzen aus der Medizin zu ziehen. Den absoluten Vorrang der Schweigepflicht gegenüber gegenüber der Fürsorgepflicht für die Angehörigen halte ich deswegen nicht für sinnvoll.

Wenn die prädiktive genetische Diagnostik ausgedehnt und systematisch angewendet werden soll, kostet das Geld. Kann das unser Gesundheitssystem verkraften?

Propping: Sicher muss sich die prädiktive genetische Diagnostik auch den Anforderungen der Ökonomie stellen. Aber das kann nicht allgemein entschieden werden, sondern muss für jede Krankheit einzeln geschehen. Für das Neugeborenen-Screening ist das schon analysiert worden. Es dient Krankheitsverhinderung und spart am Ende Geld, das für die Behandlung ausgegeben werden müsste. Ich bin sehr zuversichtlich, dass bei erblichen Krebserkrankungen einähnliches Ergebnis erzielt wird.Aber ich muss auch sagen, mehrgesunde Lebensjahre sind bei derFrüherkennung von Krankheitennicht zum Nulltarif zu haben.