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MZ-Interview mit Kurt Westergaard MZ-Interview mit Kurt Westergaard: «Zunächst war es ein ganz gewöhnlicher Cartoon»

08.09.2010, 14:11
Der dänische Mohammed-Karikaturist Kurt Westergaard. (FOTO: DPA)
Der dänische Mohammed-Karikaturist Kurt Westergaard. (FOTO: DPA) epa Scanpix Norge

HALLE/MZ. - Herr Westergaard, wie ist der Alltag Ihres Lebens?

Westergaard: Es ist ein fast normales und recht ruhiges Leben. Auch wenn ich von dem Sekret Service rund um die Uhr bewacht werde. Die Bodyguards sind ständig in meiner Nähe und folgen mir überall hin. Was ich mache, tun auch sie. Nichtsdestotrotz sind sie froh, dass ich nicht im Winter in einem kalten See bade und zudem kein Nudist bin. Ich führe ein gutes Leben.

Es gab eine Zeit, da konnten Sie Ihre Familie nur zu Weihnachten sehen.

Westergaard: Das war in der ersten Zeit nach der Veröffentlichung der Mohammed-Karrikaturen. Der Geheimdienst hatte Informationen über einen Mord-Komplott gegen mich. Mein Frau und ich wurden daher an einen anderen Ort gebracht, wir konnten unser Haus acht Monate lang nicht aufsuchen. Es war keine einfache Zeit, da wir völlig isoliert lebten. Es war sehr bedrückend.

Fühlten Sie sich als ein Märtyrer für die Pressefreiheit?

Westergaard: Ich habe doch nur meine Arbeit gemacht. Ich habe in der Zeichnung lediglich zeigen wollen, dass Terroristen ihre Legitimation für ihr Handeln vom Islam und aus dem Koran bezogen. Danach gab es die Angriffe gegen mein Leben. Menschen, wie eben solche Terroristen, wollten mich töten. Zunächst war es ein ganz gewöhnlicher Cartoon, er erzielte eine Wirkung, die wir nicht vorhersehen konnten.

Wie ist ihr Bild von dem Islam, haben Sie sich in Folge der Attacken mit der Religion intensiver beschäftigt und im Koran gelesen?

Westergaard: Nein, ich habe nicht im Koran gelesen. Aber ich habe viele Bücher über den Islam studiert. Nach meinem Empfinden kann man den Islam nicht mit dem Christentum vergleichen. Es ist keine sympathische Religion, sondern in vielerlei Hinsicht eine reaktionäre Religion. So finden sich barbarisch strenge Strafen für Homosexuelle. Und dennoch werde ich immer dafür eintreten, dass Menschen das Recht darauf haben, auch diese Religion auszuüben. Es ist mir äußerst wichtig, dies zu unterstreichen! Jeder hat ein Recht auf Religionsfreiheit.

Sind Sie gläubig?

Westergaard: Ich bin Atheist und mag daher möglicherweise nicht genügend qualifiziert sein, um über Religion zu sprechen. Auch wenn ich ein Atheist bin, kann ich mich nicht von meinem religiösen Hintergrund lösen und ich bin froh, dass es ein christlicher Hintergrund ist.

In der Bibel der Christen findet sich mehr Toleranz als in dem Koran der Muslime?

Westergaard: Ja, davon bin ich überzeugt. Aber letztlich entscheiden es die Priester oder die Imame, um was für eine Religion es sich konkret handelt.

Sie sagen, Sie seien ein Atheist. Im ZDF waren Sie in rot-schwarzer Kleidung zu sehen, der Tracht der Anarchisten...

Westergaard: (lacht). Ja, ja, das stimmt. Es sind die Farben der Anarchisten. Wenn man Karikaturen für eine Zeitung zeichnet, ist es immer hilfreich, in gewisser Weise ein Anarchist zu sein, für den jede Art von Autorität verdächtig ist. Dennoch bevorzuge ich ein vergleichsweise gewöhnliches Leben und zahle meine Steuern wie jeder andere auch.

Wie wichtig ist das Recht auf Meinungsfreiheit?

Westergaard: Das ist ungeheuer wichtig. Unsere westlichen Demokratien zählen zu den besten Staaten in der Welt, weil sie die Meinungsfreiheit garantieren. Nur so kann man die Mächtigen kritisieren und kontrollieren.

Am 30. September 2005 wurden die Mohammed-Karrikatur in dem Jyllands-Posten gedruckt. Hat die Reaktion ihre Sicht auf die Welt verändert?

Westergaard: Ja, ich bin nach den Reaktionen nicht mehr so tolerant, wie ich es zuvor gewesen bin. In Dänemark wie auch in den skandinavischen Ländern haben wir einen relativ hohen Grad an kulturellen Relativismus und Toleranz gehabt. Es hat mich tief schockiert, zu erleben, was in New York am 11. September 2001 geschehen ist. Schon damals hat sich mein Toleranzgefühl verändert. Viele Menschen, die in Dänemark eingewandert sind, hatten nicht viel, als sie in das Land kamen. Dänemark, ein kleines europäisches Land, hat ihnen viel gegeben. Dänemark ist ein Wohlfahrtsstaat, wir haben keine armen Menschen im Land. Wir gaben ihnen Wohnungen und Geld und ihren Kindern die Möglichkeit einer guten Ausbildung. Bei uns gibt es viel mehr Freiheit für Moslems als in moslemischen Ländern. Alles, was wir im Gegenzug von ihnen verlangen, ist, dass sie unsere Werte respektieren.

Zu diesen Werten sollten wir auch selbst stehen, ist das eine Erfahrung von Ihnen?

Westergaard: Ich war enttäuscht über die Reaktionen aus der muslimischen Welt, wie auch über die von einigen dänischen Intellektuellen. Es gab eine Selbstzensur. Sie ist der schlimmste Fall der Zensur, denn sie wird nicht von staatlicher Seite ausgeübt, sondern ist unsichtbar. Man sieht sie nicht, sie spielt sich in den Köpfen der Menschen ab. Ich bin sehr traurig über diese Selbstzensur gewesen, es gab schließlich viele Beispiele nach den Reaktionen auf die Mohammed-Karrikaturen. Wir wollen im September meine Memoiren veröffentlichen. Zunächst waren auch amerikanische Verlage interessiert, sie haben aber dann aus Angst von dem Vorhaben abgelassen.

Wann kam ihnen die Idee zu dem Buch?

Westergaard: Es war mein Freund, der Journalist Flemming Rose, der die Idee hatte und mich fragte, „können wir nicht ein Buch gemeinsam schreiben?“ Ich hatte zunächst kein Interesse, aber er hat mich überzeugt. Ich weiß wirklich nicht, wie interessant es sein wird. Ich habe schließlich ein sehr gewöhnliches Leben geführt. Die letzten 27 Jahre habe ich als Karikaturist für den Jyllands-Posten gearbeitet. Ich wurde geschieden und habe eine zweite Frau geheiratet, das ist alles sehr normal. Sicherlich, die letzten Jahre waren sehr dramatisch. Aber keines dieser Jahre war, wie die britische Queen es ausdrücken würde, ein „annus horribilis“, ein Schreckensjahr. Ich habe viel Sympathie und Zuneigung erfahren. Von muslimischer Seite gab es massive Bedrohungen. Und ein junger Somali versuchte mich Anfang des Jahres in meiner Wohnung umzubringen.

Wenn Sie dies alles wüssten, was in den letzten fünf Jahren passiert ist. Würden Sie mit diesem Wissen den Cartoon mit Mohammed noch einmal zeichnen?

Westergaard: Das ist eine sehr gute Frage (lacht). Was passiert ist, ist passiert. Ich kann nichts mehr am Lauf der Dinge ändern. Ich denke nicht oft, dass ich es besser hätte nicht tun sollen. Das ist zwecklos. Ich habe diese Zeichnung gemacht und werde niemals von den Konsequenzen davon laufen.

Ihr Cartoon wurde eine Art Icon der Debatte um Islamisierung. Der umstrittene Anti-Koran-Film von Geert Wilders „Fitna“ begann mit ihrer Zeichnung.

Westergaard: Als ich davon hörte, fragte ich ihn, meinen Cartoon aus dem Film herauszunehmen. Er machte das. Wir hatten ein freundliches Gespräch. Es gab kein Problem mit ihm.

In Deutschland führen wir eine aufgeregte Debatte über Integration und das Buch des SPD-Politikers Thilo Sarrazin. Manche ärgern sich darüber, dass er mit seinen Meinungen überhaupt an die Öffentlichkeit tritt. Er glaubt, Muslime seien nicht intelligent genug und nicht integrierbar.

Westergaard: Ja, ich habe davon gehört. Ich verstehe, dass Menschen Angst haben. Aber wir dürfen nicht hinnehmen, dass unsere Zeitungen in ihrer Entscheidung von Terroristen, Taliban anderen Radikalen beeinflusst werden. Diese Appeasement-Politik ist falsch. Der Jyllands-Posten ist mittlerweile zu einer Festung ausgebaut worden, um sich zu schützen. Das kann nicht der richtige Weg sein.

Gibt es eine Angst vor dem Islam im Westen?

Westergaard: Es gibt viele Menschen, auch hier in Dänemark, die Angst haben, über das Thema öffentlich zu sprechen. Das betrifft auch mein Buch. Es gibt unheimlich viele Shops, die Angst haben, unser Buch zu verkaufen. Das ist eine schlechte Sache. Wenn wir die Muslime kritisieren, wollen wir sie nicht ausschließen. Im Gegenteil, wir kritisieren sie so, wie wir es bei uns selbst, der Queen oder der Regierung tun würden. Wir nehmen sie sehr ernst. Wenn Muslime und westliche Menschen nicht einer Meinung sind, sollten sie darüber reden, in einer friedlichen Weise. Ich finde übrigens nicht, dass Dänemark weiter in Afghanistan kämpfen sollte. Wir haben gemessen an der Größe unseres Kontingents die meisten Toten zu beklagen in einem Krieg, der hoffnungslos ist. Die Menschen dort wollen unsere Werte nicht. Sie verstehen sie nicht.