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MZ-Interview MZ-Interview:

06.07.2012, 20:32

Berlin/MZ. - Mit Bettina Röhl, Publizistin, Autorin des Buches „So macht Kommunismus Spaß“ sprach Markus Decker.

Frau Röhl, Verena Becker ist zu vier Jahren Haft verurteilt worden. Halten Sie das für angemessen?

Bettina Röhl: Wenn es nicht um Mittäterschaft geht, sondern um eine mehr oder minder wichtige Beihilfe, wie das Gericht es offenbar festgestellt hat, hält sich die Strafe, denke ich, im Rahmen des Üblichen.

Als Verlierer des Prozesses gilt der Sohn Siegfried Bubacks, Michael Buback, weil der Mörder immer noch nicht feststeht. Haben Sie Mitleid mit Herrn Buback?

Bettina Röhl: Ich habe mich seit einer gemeinsamen Talkshow bei Sabine Christiansen mit Michael Buback im Jahr 2007 besonders um eine positive Sicht seiner Aktivitäten bemüht, finde aber schon seit einer ganzen Weile, ungefähr seitdem er mit dem Ex-Terroristen Peter Jürgen Boock telefoniert hat und gemeinsam aufgetreten ist, dass er seine eigene Person zu sehr im Zentrum sieht und sich verrennt und vielleicht auch ein bisschen in dem plötzlichen Focus der Medien ausgerutscht ist. Und dann kommt auch noch die Verfassungsschutzparanoia von Stefan Aust dazu, nachdem immer Verfassungsschützer die eigentlichen Buhmänner sind. Mitgefühl mit dem Sohn, dessen Vater ermordet wurde, muss man haben.

Zahllose RAF-Morde sind noch unaufgeklärt, weil die RAF schweigt. Finden Sie das befriedigend?

Bettina Röhl: Das ist objektiv für jeden Rechtsstaat und für den Rechtsfrieden eigentlich inakzeptabel. Das jetzige Mediengerede vom letzten RAF-Prozess finde ich etwas dümmlich. Man muss im Zusammenhang linker Gewalt auch die Fixierung auf die RAF im engeren Sinne aufgeben. Es gab ja viel mehr links motivierte Gewalt, denken Sie an die Frankfurter Gewaltszene um Fischer und Cohn-Bendit, dort gibt es unaufgeklärte Taten, denken Sie an die Revolutionären Zellen, auch dort unaufgeklärte Verbrechen. Was ist mit den Fällen Herrhausen, Rohwedder usw. Sollen die Toten im Zusammenhang mit den Demonstrationen gegen Atomkraft jetzt plötzlich nur noch Kollateralschäden sein? Und wie steht’s mit dem nicht unerheblichen Potenzial von linken Schläfern und gewalttätigen Demonstranten heute?

Das Schweigen der RAF scheint mir nicht das Problem. Das Problem war, dass der Zeitgeist auch in der Justiz jeder Aufklärung kontraproduktiv entgegen stand. Ich habe Bundesanwälte in Karlsruhe gesprochen, die abgewunken haben und neue Erkenntnisse nicht wissen wollten und stattdessen von den teils guten Motiven der Revolutionären Zellen schwärmten. Warum hatten die Mißbrauchstaten eines Gerold Becker an der Odenwaldschule 30 Jahre lang keine Chance an die Öffentlichkeit zu kommen? Nicht, weil Becker und andere Täter und Mitwisser geschwiegen haben, sondern weil der Zeitgeist die Taten gedeckt hat. So ähnlich war und ist es auch heute noch bei der RAF.

In der Debatte ist eine sogenannte „Wahrheitskommission“. Die RAF könnte dann reden, ohne neue Strafen fürchten zu müssen. Wäre das ein gangbarer Weg?

Bettina Röhl: Von dieser rührenden Wahrheitskommissions-Idee habe ich gehört. Die ist ja nicht neu. Ich halte diese Idee für eine, die dem beschriebenen Ungeist geschuldet ist. Viele RAFler wissen gar nicht mehr was die Wahrheit ist, weil sie in den Medien über die Jahrzehnte schon soviele Storys erzählt haben, dass sie völlig konfus sind, wie zum Beispiel Astrid Proll und Boock. Und die Hardcores, die es auch noch gibt, würden lügen, dass sich die Balken biegen und das Forum missbrauchen. Außerdem bin ich der Meinung, dass man die RAF nicht wieder mit einem derartigen Aufwand, das unnütze Präjudizien schaffte, privilegieren sollte.

Wahrscheinlich ist der Becker-Prozess der letzte große RAF-Prozess. Wie fällt Ihre historische Bilanz aus?

Bettina Röhl:die Täter waren die Ikonen ganzer 68er-Generationen, die sich heute gern distanzieren. Aber natürlich hat dieses 68er-Heer, das selber den langen Marsch in die Institutionen antrat, ihre RAF getragen und gepuscht. Glücklicherweise, nach Jahrzehnten, erlischt in den letzten Jahren der Stern der RAF. Es gibt ein gesundes Desinteresse bei den Jüngeren.