MZ im Gespräch mit Richard Schröder MZ im Gespräch mit Richard Schröder: Schweres Erbe einer Diktatur

Berlin/MZ. - Die Debatte über die Leipziger Olympiabewerbung kommt nicht zur Ruhe. Unser Korrespondent Markus Decker sprach darüber mit dem Theologen und früheren SPD-Politiker Richard Schröder.
Die lange Zeit so hoffnungsvollen Leipziger Ambitionen geraten ins Trudeln. Was bewegt Sie dabei?
Schröder: Das alles wäre besser vermieden worden. Aber ich halte die Vorwürfe gegen den Geschäftsführer der "Leipzig 2012 GmbH", Dirk Thärichen, für nicht gewichtig. Es zeigt sich nur wieder einmal: Nach dem Ende einer Diktatur muss man sich mit Dingen auseinander setzen, die in anderen Gesellschaften nicht vorkommen.
Das bedeutet?
Schröder: Thärichen ist zum Wachregiment "Feliks Dzierzynski" gegangen und hat Gebäude der Partei und der Regierung bewacht. Das kann man Thärichen nicht vorwerfen und hat mit Verrat nichts zu tun. Er war damals im Übrigen erst 19 Jahre alt. Möglicherweise fand Thärichen den Staat ganz in Ordnung. Auch das kann man einem 19-Jährigen unter DDR-Verhältnissen nicht ankreiden. Das Thema Aufarbeitung von DDR-Vergangenheit wird noch dazu kaputt geritten, wenn wir auf diese Weise die Maßstäbe verschärfen.
Die Geschichte hat nicht zuletzt eine internationale Dimension. Ein Zeitungsleser in Glasgow oder Madrid denkt vielleicht: Wenn in der "Heldenstadt" Leipzig plötzlich Stasi-Fälle auftauchen, ist das mit der Olympiade womöglich doch nicht so eine gute Idee.
Schröder: Das wird für die Entscheidung nicht von Bedeutung sein. Es kommt darauf an, wie man Dinge erklärt. Es gibt viele Formen des Opportunismus; es gibt unter anderem den Opportunismus vor der öffentlichen Meinung, weil man sich nicht traut, eine Sache zu erläutern. In Madrid benachteiligt man auch niemanden, der vor 1975 in einem Wachregiment des Diktators Francisco Franco gedient hat.
Wie kommt es, dass diese Dinge jetzt hochkochen?
Schröder: Wir wollen mal nicht hoffen, dass jemand auf die Idee verfällt, das zu instrumentalisieren nach dem Motto: "Was soll denn eine Olympiade in Ostdeutschland?
Tatsächlich scheint es einen mindestens unterschwelligen Ost-West-Konflikt zu geben. Außer Leipzigs Oberbürgermeister Wolfgang Tiefensee (SPD) sehen manche eine starke westdeutsche Dominanz.
Schröder: Das kann ich nicht beurteilen. Allerdings wäre es nicht schön und darüber hinaus unnötig, wenn es getreu der Devise ginge: "Westdeutsche organisieren den Leipzigern eine Olympiabewerbung." Inzwischen sind wir ja auch schon so weit, dass wir unsere Ministerpräsidenten aus den eigenen Reihen stellen können.