1. MZ.de
  2. >
  3. Deutschland & Welt
  4. >
  5. Politik
  6. >
  7. MZ im Gespräch mit Margot von Renesse: MZ im Gespräch mit Margot von Renesse: «Die Vorstellung vom Bösen ändert sich»

MZ im Gespräch mit Margot von Renesse MZ im Gespräch mit Margot von Renesse: «Die Vorstellung vom Bösen ändert sich»

15.05.2002, 17:33
Margot von Renesse
Margot von Renesse dpa

Berlin/MZ. - Frau von Renesse, was ist die QuintessenzIhres Berichts?

Von Renesse: Die Haltung der Enquete-Kommissiongegenüber den Möglichkeiten der modernen Medizinist eher skeptisch, insbesondere was Eingriffein die Ursprünge des Lebens angeht.

Warum?

Von Renesse: Unter anderem deshalb,weil wir keinen einzigen Fachmann aus dermodernen Medizin bei uns gehabt haben - undkein einziger ist zu wenig.

Der Gesetzgeber hat beim Import embryonalerStammzellen eine "Nein-aber-Lösung" befürwortet.Sie persönlich plädieren im Gegensatz zurKommissions-Mehrheit unter strengen Auflagenfür die Prä-Implantations-Diagnostik (PID),also Gentests an Embryonen. Kommen da nichtethische Standards Zug um Zug ins Rutschen?

Von Renesse: Es gibt keinen Automatismusin ethischen Fragen. Wer A sagt, muss nichtauch B sagen. Wer so denkt, verkennt - ummit Immanuel Kant zu sprechen - die Fähigkeitdes Menschen zur sittlichen Entscheidung.Der Mensch ist zum Guten und Bösen fähig.Nur: Der Gesetzgeber muss entscheiden, waszulässig ist. Und er muss berücksichtigen,dass wir nicht auf einer Insel der Seligenleben.

Besteht das Problem nicht darin, dassdas von heute aus gesehen Böse später nichtmehr als böse erkannt wird - und dass es irgendwannals sittlich statthaft gilt, beispielsweiseeine Selektion vorzunehmen?

Von Renesse: Die Vorstellung von demBösen ändert sich. Die Anatomie etwa wurdeeinmal als Verstoß gegen die Menschenwürdebetrachtet. Ich habe in meiner Verwandtschaftüberdies etliche Wissenschaftler. Und dassind genau solche Menschen wie ich auch. DieVorstellung, Wissenschaftler seien im Prinzipnicht ethisch, ist eine völlig falsche Wahrnehmung.Ein Verwandter von mir zum Beispiel ist habilitierterNeurologe. Natürlich war der in Amerika undhat mit Stammzellen gearbeitet. Und natürlichist jede Universität hier sehr interessiertan den Kenntnissen, die man dort gewinnt.Was ich damit sagen will, ist: Mit der Position"Wir wollen es nicht gewesen sein" verurteilenwir die jungen Forscher zum Zynismus.

Sie stehen mit Ihrer Meinung in klaremWiderspruch zu bedeutenden Teilen der Kommission.Wie haben Sie das eigentlich ausgehalten?

Von Renesse: Ich habe einen hartenSchädel. Außerdem haben wir in der Kommissioneine ordentliche Streitkultur entwickelt.In Deutschland liebt man zwei Dinge nicht:den Streit und den Kompromiss. Ich liebe beides.

Sie fordern in Ihrem Abschlussberichtauch das Recht auf eine "informationelle Selbstbestimmung".Die Arbeitgeber sollen nicht auf Gen-Datenihrer Angestellten spekulieren dürfen. ÜberschätzenSie da nicht gewaltig die Möglichkeiten derPolitik, Einfluss zu nehmen?

Von Renesse: Wir können nicht allesverhindern. Entscheidend ist allerdings, wiedie Arbeitsgerichte reagieren. Denn derenUrteile haben sozial-hygienische Wirkung.

Der Kanzler hat einen Nationalen Ethikrateingerichtet. Entwertet das Ihre Bemühungen?

Von Renesse: Nein, im Gegenteil. Konkurrenzbelebt das Geschäft. Ich bin ohnehin für einGesetz, auf dessen Grundlage ein wirklichNationaler Ethikrat entsteht - und zwar aufDauer. Das Gremium sollte aus Parlamentariernund Sachverständigen zusammengesetzt seinund könnte so an die Stelle beider derzeitnoch existierender Gremien treten, also derEnquete-Kommission und des Ethikrates.

Sie werden mit dem Ende der Legislaturperiodeaus dem Bundestag ausscheiden. Bleiben Siedem Thema Gentechnik verbunden?

Von Renesse: Ich möchte hauptberuflichGroßmutter werden. Denn ich habe neun "normalproduzierte" Enkelkinder. Aber wahrscheinlichwerde ich noch mitmachen bei der Herausgabeeiner bio-politischen Zeitschrift.