MZ im Gespräch mit Lothar de Maizière MZ im Gespräch mit Lothar de Maizière: «Bei Enteignungen war viel Arroganz im Spiel»
Berlin/MZ. - Nach dem Bodenreform-Urteil von Straßburg, geht es jetzt um die sich daraus ergebenden Konsequenzen. Unser Korrespondent Markus Decker sprach darüber mit dem letzten DDR-Ministerpräsidenten Lothar de Maizière, heute Rechtsanwalt.
Wie bewerten Sie das Urteil, das die Enteignung von Neubauern-Erben klar als menschenrechtswidrig einstuft?
de Maizière: Es stellt Gerechtigkeit wieder her. Der Gesetzgeber hat einen schwerwiegenden Fehler gemacht. Die Verfassung der DDR sicherte das Erbrecht zu, auch hinsichtlich des Eigentums, das die Neubauern bekommen haben. Der Bundestag war 1992 anderer Ansicht. Damit hat er eine der größten Enteignungen in der deutschen Geschichte eingeleitet. Die wird nun rückabgewickelt werden müssen.
Wie könnte das aussehen?
de Maizière: Die meisten Flächen sind im Besitz der Länder. Man könnte sagen: Die Erben bekommen die Flächen zurück, aber bestehende Pachtverträge bestehen fort. Die Pacht würde demnächst den Erben zufließen. In Fällen, in denen Land verkauft worden ist, wird man den erzielten Verkaufswert auszahlen müssen.
Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Wolfgang Böhmer (CDU) fordert, der Bund müsse sich an der Entschädigung beteiligen.
de Maizière: Das ist richtig. Wenn der Bund solche Gesetze erlässt, wird man ihn mit heranziehen müssen. Denn nach dem Grundgesetz sind die Länder verpflichtet, Bundesgesetze auszuführen. Nach Artikel 46 der Europäischen Menschenrechtscharta haben sich alle Teilnehmerländer zudem verpflichtet, Menschenrechtsverletzungen durch eigenes Handeln auszuräumen. Zugleich bleibt es den Eigentümern unbenommen, zivilrechtlich aktiv zu werden.
Was würden Sie tun?
de Maizière: Ich würde vorsorglich zivilrechtliche Schritte einleiten, um nicht Fristen zu versäumen. Für Menschen, die zur Enteignung verurteilt wurden, gilt: Der Antrag auf ein Wiederaufnahmeverfahren muss jetzt innerhalb von vier Wochen gestellt werden. Sonst ist die Frist weg. Wer sein Eigentum ,freiwillig' herausgab, kann das innerhalb eines Jahres anfechten. Wenn der Gesetzgeber das Problem nicht zügig aufgreift, wird der öffentliche Druck so groß werden, dass er es dann tun muss. Wenn nicht, wird es eine Flut von Prozessen geben, die sich die Bundesrepublik wegen ihres internationalen Ansehens nicht leisten kann. Ein Gesetz, das die Rückabwicklung regelt, könnte innerhalb eines halben Jahres fertig sein.
Ist es nicht beschämend, dass sich die Betroffenen ihr Recht in Strasbourg holen mussten?
de Maizière: Ja. Man hat in Unkenntnis der DDR-Verhältnisse versucht, die Dinge in Ostdeutschland zu regeln. Wer die Geschichte nicht beachtet, fällt auf die Schnauze. Da war viel Arroganz im Spiel.