MZ im Gespräch mit Hans-Joachim Maaz MZ im Gespräch mit Hans-Joachim Maaz: «Ich bin gut, du bist schlecht»
Halle/MZ. - Politiker werden, wie derzeit Bundeskanzler Gerhard Schröder, in der Öffentlichkeit persönlich in Haftung genommen. Wie lange hält man diesem Druck stand, welche Reaktionsmuster entwickeln Menschen in Machtpositionen gegen Stress? Darüber sprachen Monika Zimmermann und Andreas Montag mit dem halleschen Psychotherapeuten und Publizisten Hans-Joachim Maaz.
Herr Dr. Maaz, wie wehrt man sich gegen Stress?
Maaz: Man kann den Druck reflektieren, kommunizieren und die Bedingungen verändern. Oder man verpanzert sich, damit alles abgleitet und sieht, dass man entkommt.
Und welche Methode ist richtig?
Maaz: Gesund ist, beides zu können und zur rechten Zeit das Richtige zu tun. Wir Psychotherapeuten haben es in der Regel mit Menschen zu tun, die die reflexive Seite nicht mehr so gut beherrschen - weil sie die Erfahrung gemacht haben, dafür verhöhnt und als Schwächlinge abgewertet zu werden. Vor allem Politiker haben es verlernt, selbstkritisch zu sein. Statt dessen setzen sie eine Maske der Stärke und Zuversicht auf.
Wenn ein Politiker wie Bundeskanzler Schröder seit seiner Wiederwahl ständig Prügel bezieht - wie lange kann er das aushalten?
Maaz: Zunächst: Es ist ein hoch riskantes Verhalten, sich ausschließlich zu verpanzern. Man wird Beschwerden, am Ende Krankheiten entwickeln: Kopfschmerzen, hoher Blutdruck, Magenprobleme... Der Körper verarbeitet stellvertretend, was die Seele nicht mehr schafft. Wie lange es bis dahin braucht, ist individuell sehr verschieden. Jeder Mensch hat einen Speicher für Stress, der ist irgendwann mal voll. Die zweite Variante, um Stress zu begegnen: Man versucht sich zu dämpfen - durch Genussmittel wie Zigaretten, Kaffee oder Alkohol.
Der Durchschnittsbürger reagiert sich an Nachbarn, am Ehepartner, an den Kindern ab. Kleine Ärgernisse werden aufgebauscht, es stört die Fliege an der Wand. Bei Menschen in Machtpositionen besteht die Gefahr, dass sie innere Spannungen durch aggressive Entscheidungen abreagieren.
Was ärgert Sie an der Politik?
Maaz: Am peinlichsten ist für mich im Moment der politische Stil im Deutschen Bundestag. Es geht nur noch darum, den Gegner schlecht zu machen und möglichst auch noch persönlich zu treffen. Ich halte das für eine Pervertierung der demokratischen Spielregeln. Wenn ich das Geschehen im Bundestag verfolge, habe ich den Eindruck, es handelt sich um einen Debattierklub von narzisstischen Störungen nach dem Muster: Ich bin gut, du bist schlecht.
Warum redet Schröder nicht einfach Klartext? Ist den Bürgern die Wahrheit - zum Beispiel über die Staatsfinanzen - nicht zuzumuten? Oder liegt es am Selbstverständnis des Berufspolitikers?
Maaz: Es gibt die weit verbreitete Tendenz, unangenehme Dinge nicht wahrzunehmen, zu verdrängen. Deshalb wählt man gern Politiker, die den Eindruck vermitteln, alles zu wissen und im Griff zu haben. Sonst müssten sich die Menschen damit auseinandersetzen, wofür die Zeit längst reif ist: Wie können wir weiter leben? So wie bisher jedenfalls nicht! Aber das würde schmerzliche Erkenntnisse einschließen: Man muss mit Verzicht leben lernen - könnte aber zugleich eine bessere Beziehungskultur gewinnen. Politiker hingegen wird man nur, wenn man lernt sich zu panzern und Schwächen zu verbergen. Und da liegt die Gefahr: Beginnt einer, die Wahrheit, die er weiß oder doch ahnt, vor sich und anderen zuzugeben, kann das zu einer Lawine werden, die alles, bis zu den persönlichen Schwächen, bloß legt. Deshalb halten die Politiker die Maske fest.
Würden nicht aber die Menschen dankbar sein für die Wahrheit?
Maaz: Ja und nein. Ich bin überzeugt, es würde einem Politiker zunächst gedankt, weil er plötzlich menschlich ist. So, wie sie sich sonst darstellen, sind sie ja abgehoben von der Masse. Sie vermitteln den Menschen das Gefühl, sie müssten sich nicht selber verändern - das würde vielmehr für sie gemacht: ein altes Problem autoritärer Strukturen. Aber auf den Politiker, der ehrlich ist, kann man natürlich auch nicht mehr die eigene Heilserwartung projizieren. Dann nimmt man es ihm übel, dann taugt er nicht mehr als Führer.
Und wenn einer, wie jüngst der CDU-Politiker Friedrich Merz bei seinem Angriff auf Angela Merkel, von seiner Verletztheit redet?
Maaz: Das versteht man nur, wenn man sich einen Menschen vorstellt, der schon früher gekränkt worden ist. Der sich dann aufgebaut hat und plötzlich an seine frühen, tiefen Wunden erinnert wird. Da geht es dann mit einem durch... Das Volk wird sich die Hände reiben, weil es einmal hinter die Maske blicken kann. Aber die Kollegen Politiker werden dem Mann die Offenheit nicht danken, weil es ihnen allen ähnlich geht.
Warum sind gerade die rot-grünen Wahlsieger plötzlich so besonders aus der Fassung geraten?
Maaz: Ich glaube, die Verhältnisse haben sie überrollt. Natürlich haben sie mehr gewusst von der Misere, als sie es vor der Wahl gesagt haben. Aber hinzu kommt: Wir leben in einer Zeit, in der die bisherigen Strukturen immer weniger ausreichend gut sind. Die momentane Diskussion indes halte ich deshalb für so peinlich, weil sie nur auf der Ebene von Symptomen geführt wird. Dabei gibt es überhaupt keine Alternative, kein Konzept, um dem zu begegnen, was wir zu erwarten haben. Und das will keiner wahrhaben.
Aber es gibt schon eine untergründige Angst. Die miese Stimmung im Lande spricht jedenfalls dafür.
Maaz: Das entspricht einer Erfahrung, die wir in der Psychotherapie machen: Viele Menschen sind depressiv, aber sie wollen nicht wirklich wissen warum. Und sie wollen sich nicht wirklich verändern.
Bedeutet die jetzige Lage nicht aber eine Zäsur für die Politik?
Maaz: (lacht) Wenn die SPD clever gewesen wäre, hätte sie ein paar Wahrheiten gesagt und wäre nicht gewählt worden. Dann hätte jetzt die CDU das Problem und käme ebensowenig klar... Die Parteien müssten sich zusammen setzen und versuchen herauszubekommen, was das Beste ist.
Wird die Entwicklung in Ostdeutschland nicht noch dramatischere Konsequenzen haben?
Maaz: Ich sehe zwei Gruppen. Es gibt Menschen, deren Abwehrverhalten einfacher ist. Bei denen wird die Radikalisierung zunehmen - mit allem, was wir schon kennen: Fremdenhass zum Beispiel. Auf der anderen Seite sehe ich es eher positiv: Weil der Absturz der Ostdeutschen nicht so tief sein wird wie der der Westdeutschen.
Das heißt, der Abschied vom Wohlfahrtsstaat wird im Osten leichter zu verkraften sein?
Maaz: Ja. Weil die Menschen hier dessen Blüten weniger genießen - und sich deshalb auch weniger vormachen konnten. Da schlägt die alte Ernüchterung wieder durch.
Aber für das Demokratieverständnis der Ostdeutschen ist das doch einfach fatal!
Maaz: Sehr. Und es besteht die Gefahr, wieder in autoritäre Strukturen abzudriften. Aber wie stellt sich die Demokratie jetzt dar? Fast als Karikatur. Die notwendigen Struktur- und Sachdiskussionen versumpfen in eitlem Machtgerangel. Vorhandene Ideen und Visionen werden nicht mehr in Politik übersetzt.
Wie sehen Sie die aktuelle Stimmung im Osten?
Maaz: Resigniert, enttäuscht. Es gibt den Rückzug ins Private. Ich hätte mir wirklich gewünscht, dass es eine Ostpartei gegeben hätte - so, wie die Grünen seinerzeit angetreten sind, mit neuen Strukturen. Ostdeutsche Themen kommen bei den etablierten Parteien ja kaum vor. Dort gibt es gewachsene Strukturen, an die muss man sich schnell anpassen. So bleibt kein Raum für ostdeutsche Identität und andere Beziehungsstrukturen. Der Runde Tisch zum Beispiel wird seit Jahren verhöhnt - aber das Bemühen um Verständnis und Konsens ist ein höherer Wert als das intrigante Spiel um Mehrheiten.
Und wohin geht die Reise?
Maaz: Als Arzt und Psychotherapeut weiß ich, dass sich die Menschen oft spät in Behandlung begeben. Bei aller Vorsicht vor Vergleichen - übertragen auf die Gesellschaft heißt das: Es muss wohl erst wirklich kritisch werden, bis eine Mehrheit von der Notwendigkeit zur Veränderung überzeugt ist. Und das ist offensichtlich noch nicht erreicht.