MZ im Gespräch mit Gerd Langguth MZ im Gespräch mit Gerd Langguth: Über Merkels Freiheitswillen, Skalps und Pragmatismus
Köln/MZ. - Diesen Monat erscheint ein Buch über die Kanzlerkandidatin der Union, Angela Merkel. Mit dem Autor Gerd Langguth sprachen für die MZ Thomas Geisen und Joachim Frank.
Herr Langguth, was ist das Geheimnis des Erfolgs der Angela Merkel?
Langguth: Angela Merkel gehört zu den Menschen, die sich durch Leistung beweisen. Aus der DDR-Diktatur hat sie den unbedingten Willen zur Freiheit mitgebracht, der ihr ganzes politisches Konzept prägt. Mit Helmut Kohl teilt sie die Eigenschaft, über lange Zeit von ihren wichtigsten Gegnern wie auch von der öffentlichen Meinung unterschätzt worden zu sein. Bisher ist sie aus allen Niederlagen gestärkt hervorgegangen, auch aus der von 2002, als sie Stoiber bei der Kanzlerkandidatur den Vortritt lassen musste. Er musste sich nach der verlorenen Bundestagswahl in allen entscheidenden Fragen, zum Beispiel der Präsidentenfrage, ihrem Willen beugen.
Von Merkels Durchsetzungskraft können viele in der Union ein trauriges Liedchen singen.
Langguth: Keiner ihrer früheren Förderer ist schadlos aus dem Verhältnis mit ihr herausgekommen. Davon können in der Tat manche ein Liedlein singen - von Lothar de Maizière, Günther Krause, Wolfgang Schäuble bis zu Helmut Kohl.
Wie bei der Gottesanbeterin, die nach der Begattung das Männchen umbringt?
Langguth: Hier geht es nicht um Sex, sondern um Politik. Jedenfalls hat sie als CDU-Generalsekretärin zur Zeit der Spendenaffäre mit ihrem "Scheidebrief" an Helmut Kohl, der am 22. Dezember 1999 in der Zeitung stand und über den der damalige Parteivorsitzende Wolfgang Schäuble nicht informiert war, per Doppelschlag sowohl Kohl als auch Schäuble zur Strecke gebracht. Auch mit Konkurrenten geht sie nicht zimperlich um. Dafür ist Friedrich Merz ein Beispiel. Die Zahl ihrer Skalps ist enorm.
Wie schafft sie es dennoch immer wieder , dass die Männerclique in der CDU ihr folgt?
Langguth: Die CDU ist eine recht pragmatische Partei. Was zählt, ist die Macht. Und die Partei folgt demjenigen, dem sie auf dem Weg zur Macht die besten Chancen zubilligt. Heute ist das Angela Merkel. Außerdem hat sie sich inzwischen Respekt erworben, ihre Netzwerk-Fähigkeit hat deutlich zugenommen. Und sie hat Leute mit den potenziellen Früchten der Macht zu locken gewusst: Wird Merkel Kanzlerin, dann hat sie viele Posten zu verteilen.
Insgesamt könnte man das berechnend nennen.
Langguth: Sie weiß um die Wirkungen ihres Handelns. Als Physikerin hat sie gelernt, wie sich Moleküle bewegen. Ähnlich betrachtet sie auch die Politik.
Das heißt?
Langguth: Sie denkt nicht legalistisch wie der Jurist Wolfgang Schäuble. Sie hat nicht die Fixierung auf die Geschichte - wie der Hobbyhistoriker Helmut Kohl. Sie geht rationaler, pragmatischer an die Politik heran. Allerdings fehlt ihr auch die Wertorientierung des klassisch Christdemokratischem.
Ein Mangel an Stallgeruch . . .
Langguth: . . . der sowohl Folge ihrer ostdeutschen Herkunft als auch ihrer Ausbildung als Naturwissenschaftlerin ist.
Was hat die junge Angela Merkel in der DDR am meisten geprägt?
Langguth: Das Misstrauen gegen staatliche Überwachung und Reglementierung und der unbedingte Wille zur Freiheit. Ihr Vater hatte sich als Pfarrer bewusst für die Arbeit in einem kirchenfeindlichen Staat entschieden. Als Pfarrerstochter hatte Merkel so etwas wie eine Sonderrolle. Um das auszugleichen, durfte sie Mitglied der "Jungen Pioniere" und auch der FDJ werden, was für eine Pfarrersfamilie eher die Ausnahme war. Von zu Hause aus wurde ihr mit auf den Weg gegeben, "du musst besser sein als alle anderen, damit du keine Nachteile hast". So war sie seit der Schule bestrebt, immer die Beste zu sein.
Wofür steht die Christdemokratin Merkel heute?
Langguth: Generell gesehen schwindet die Bindekraft der Parteien. Die Stammwählerschaft wird immer kleiner. Merkels pragmatischer Politikansatz kann den modernen Wechselwähler viel eher ansprechen. Das ist ihr Plus. Allerdings besteht dabei die Gefahr, dass ein christdemokratisches Profil verloren geht. Aus der Erfahrung mit dem DDR-Sozialismus hält sie das Gegenbild zu diesem - eine freiheitliche, ordnungspolitisch abgesicherte Soziale Marktwirtschaft - für wichtiger als viele derjenigen, bei denen der rheinische Kapitalismus mit seinen allenfalls sanften Zumutungen quasi ins Erbgut eingegangen ist.
Was hieße das für die Politik einer Kanzlerin Merkel?
Langguth: Sie will das machen, wozu Schröder keinen Mut oder keine Durchsetzungsfähigkeit mehr hatte: eine Generalreform des Staates und der Sozialsysteme, die den veränderten Bedingungen der Globalisierung gerecht wird. Sie hat den Mut zum Unpopulären. Bedenken Sie, wie eisern sie zu ihrem in der Fachwelt begrüßten Konzept der "Gesundheitsprämie" gestanden hat, obwohl das in der Öffentlichkeit - nicht zuletzt durch Horst Seehofers Störfeuer - kaum zu vermitteln war. Bedenken Sie, dass sie sich klar für die Kernenergie ausspricht. Bedenken Sie ihr Plädoyer für ein offeneres, unverkrampfteres Verhältnis zu den USA.