«Mit offenen Augen» «Mit offenen Augen»: Junger Blick auf die Einheit

Halle/MZ. - Für Mandy Naumann, die alsMediendesignerin im MZ-Verlagshaus arbeitet,war es eine merkwürdige Erfahrung. Als dieheute 26-Jährige vor wenigen Jahren in Baden-Württembergstudierte, wurde sie mitunter von Dozentenangegriffen, "wegen meiner Herkunft aus demOsten". Die Ostdeutschen, lautete ein Vorwurf,sollten sich nicht anmaßen, so viel verdienenzu wollen wie die Westdeutschen, weil dieWirtschaft in der s>ehemaligen DDR nochgeschwächt sei. Was soll man da sagen? "Ichbin doch viel zu jung", wundert sich Naumannnoch jetzt, "um dieses System zu beurteilen."
Jonas Finke erzählt von seiner Heimat. Der25-Jährige, der in Halle Jura studiert, stammtaus Ostfriesland, in den 80er Jahren die strukturschwächsteRegion der alten Bundesrepublik. "Damals warenwir die Ossis", erinnert er sich unter Gelächter.Den Titel haben die Ostfriesen abgegeben."Aber es gibt in dieser Region immer nochviele, die froh sind, dass sie nicht mehrdie Letzten sind." Denn jetzt, gibt Finkedie vorherrschende Meinung in seiner Heimatwieder, sei ja der Osten dazugekommen. Dazeige sich ein "westdeutsches Überlegenheitsgefühl".
Ein Gefühl, das Constanze Weiske so nie erlebthat. Die MZ-Volontärin stammt aus Borna beiLeipzig. "Ich bin nie angefeindet worden imWesten", berichtet sie, "ich habe immer nurNeugier erfahren." Die Ost-West-Beziehungen,meint sie deshalb, seien doch gar kein sogroßes Problem.
Drei Eindrücke. Drei unterschiedliche Antwortenauf die Frage, wie wir in Deutschland miteinanderumgehen. Einer Frage, der sich seit Ende Septemberdie MZ-Serie "Mit offenen Augen" widmete.Den Auftaktbeitrag hatte Richard Schröderverfasst. Jetzt, zum Abschluss der Serie,sitzt der Berliner Theologe und Hochschullehrerin einem Konferenzraum des MZ-Pressehausesin Halle und diskutiert mit Naumann, Finke,Weiske und anderen jungen Leuten.
"Nur ein Deutschland"
Ost und West nehmen dabei einen breitenRaum ein. Aber nicht für jeden ist das einThema. "Ich bin 18, für mich gibt es nur nochein Deutschland", sagt Cornelia Nimpsch, diebei der MZ zur Medienkauffrau ausgebildetwird. Wie sieht Richard Schröder das, willsie wissen. Wie steht es mit der Einheit?Schröder ist da ganz gelassen: "Wir solltenuns bei der Einheit nicht unter Erfolgszwangstellen. Wichtig ist, dass wir miteinanderauskommen."
Aber tun wir das? Jura-Student Stefan Bauerwundert sich über die "Heftigkeit und Verbissenheit"der Diskussion über die DDR. Er hat aber irgendwieauch Verständnis für die "Es-war-nicht-alles-schlecht"-Einstellungvieler Menschens> zwischen Rügen und Erzgebirge.Das sei eine Verteidigungshaltung. "Wenn manständig gesagt bekommt, was ihr früher gemachthabt, war komplett überflüssig, dann kommtFrust auf."
Dafür hat Richard Schröder Verständnis. Für"die Leute, denen man mit 53 gesagt hat, wirbrauchen euch nicht mehr." Für die Brüchein vielen Ost-Biografien. Das sei "tragisch".Weniger Verständnis hat er für das, wie ersagt, "Minderwertigkeitsgefühl", das von vielenin der DDR gepflegt worden sei. Und das bisheute in einem "nicht ganz echten Selbstbewusstsein"fortwirke. Aber dennoch, der streitbare Professorbleibt dabei: "Die Einheit bewegt sich indie richtige Richtung. Ich bin da ganz frohgemut."
Steigende Jugendgewalt
Sorgen bereiten ihm dagegen steigendeJugendgewalt im Osten und die Abwanderungbesser Gebildeter. Zwar hält Schröder es fürfalsch, rechtes Gedankengut nur im Osten zuverorten. "Der verächtliche Blick aus demWesten in den Osten, wo angeblich der Ungeistder Geschichte herrscht, ist unberechtigt."Er warnt aber auch: "Wir müssen uns noch vielmehr als bisher einfallen lassen, um zu verhindern,dass in ländlichen Regionen Ostdeutschlandseine Dominanz rechter Jugend-Unkultur entsteht."Bei denjenigen, die sich von rechtem Gedankengutangezogen fühlten, seien "Verrohung und Verharmlosung"auszumachen.
Ein Blick, den Julia Klabuhn für etwas verengthält. "Es geht nicht nur um verwahrloste,zurückgelassene Jugendliche", wendet die MZ-Volontärinein. Dahinter stünden institutionelle Strukturen,etwa die rechtsextreme NPD. Damit müsse mansich argumentativ auseinandersetzen. Nocheine Antwort auf die Frage, wie wir miteinanderumgehen.