1. MZ.de
  2. >
  3. Deutschland & Welt
  4. >
  5. Politik
  6. >
  7. Minderheiten: Minderheiten: «Ein täglicher Kampf»

Minderheiten Minderheiten: «Ein täglicher Kampf»

Von Marc Strehler 01.08.2005, 11:48
Mit Blasmusik, fröhlichen Liedern und Tänzen ziehen junge Mädchen und Burschen in traditioneller sorbischer Spreewaldtracht und schwarzen Anzügen am Samstag während des Fastnachtsumzugs, genannt Zapust, durch das südbrandenburgische Burg (Foto: dpa)
Mit Blasmusik, fröhlichen Liedern und Tänzen ziehen junge Mädchen und Burschen in traditioneller sorbischer Spreewaldtracht und schwarzen Anzügen am Samstag während des Fastnachtsumzugs, genannt Zapust, durch das südbrandenburgische Burg (Foto: dpa) dpa-Zentralbild

Bautzen/dpa. - An denVisitenkarten lässt sich gut die Zwickmühle ablesen, in der daskleine Volk der Sorben steckt - zwischen Konzessionen an dasdeutschsprachige Umfeld und der Sicherung einer eigenständigen,sorbischen Identität.

Wie viele Sorben in Deutschland leben, weiß niemand genau. Endeder 80er Jahre wurde die Zahl auf rund 60 000 hochgerechnet.Inzwischen dürften es nach Angaben des Sorbischen Instituts deutlichweniger sein.

Zwei Drittel der Sorben haben ihre Heimat in der sächsischenOberlausitz, etwa ein Drittel in der Niederlausitz in Brandenburg, wosie sich auch als Wenden bezeichnen. Seit etwa 1400 Jahren siedeltdieses slawische Volk in dieser Region und hat dabei auch harteZeiten wie die NS-Diktatur überstanden.

Heute zählen die Sorben neben Dänen, Friesen sowie Sinti und Romazu den vier anerkannten nationalen Minderheiten in Deutschland. DasRecht der Sorben auf Bewahrung ihrer Kultur ist im Einigungsvertragsowie in den Verfassungen von Sachsen und Brandenburgfestgeschrieben.

Und diese Bewahrung lässt sich der Staat durchaus etwas kosten.Etwa 16 Millionen Euro überwiesen der Bund und die Länder Sachsen undBrandenburg zuletzt jährlich der Stiftung für das Sorbische Volk. Die1991 gegründete Stiftung verteilt das Geld an sorbischeInstitutionen, die ohne diese Subventionen nicht überleben könnten -wie etwa das National-Ensemble, der Domowina-Verlag oder dasSorbische Institut. Die Stiftung sieht sich allerdings sinkendenMittelzuflüssen und einem stärker werdenden Spardruck ausgesetzt.

Benedikt Dyrlich ist Vorsitzender des Sorbischen Künstlerbundesund zugleich Chefredakteur der auf sorbisch erscheinendenAbendzeitung «Serbske Nowiny» (Sorbische Zeitung), die im sächsischenBautzen herausgegeben wird. Mit einer Meldung zu einem Prüfberichtdes Bundesverwaltungsamtes hat das Blatt im vergangenen Jahr einemediale Lawine ins Rollen gebracht. Der Prüfbericht hatte erheblichesSparpotenzial bei den sorbischen Institutionen ausgemacht. Die Sorbenstanden als Abzocker und Verschwender da.

Zwar konnte die slawische Minderheit einen Teil der daraufhinzunächst geplanten Kürzungen am Stiftungsetat abwenden, immer lauterwird allerdings ihr Ruf nach finanzieller Planungssicherheit. Beieinem Besuch im Kanzleramt erneuerte die Spitze des Sorben-BundesDomowina kürzlich ihre Forderung nach einem Finanzierungsabkommen mitdem Bund und den beiden Ländern.

Chefredakteur Dyrlich will mit der «Serbske Nowiny» dem Bild vomSorben als finanziell verhätscheltem Folkloristen entgegen wirken.Einmal im Monat gibt das Blatt eine deutschsprachige Ausgabe heraus,die auch Nicht-Sorben einen Einblick in die Welt dieses Volkes gebensoll, der über die bekannten sorbischen Bräuche wie etwa dasOsterreiten hinausgehen soll. «Es geht bei den Sorben nicht nur umsGeld. Wir haben auch andere Probleme», sagt Dyrlich.

Zu den gravierendsten zählt die Abwanderung junger Menschen ausder Region. Die Arbeitslosigkeit in der Lausitz liegt über 20Prozent, wer keinen Ausbildungsplatz oder Job findet, ist fast schongezwungen, sich anderswo umzuschauen. Für das sorbische Volk habe dasschmerzliche Folgen, sagt der Vorsitzende der Domowina, Jan Nuck: «Esführt dazu, dass sich die sorbischen Dörfer mehr und mehr zuAltersheimen entwickeln.»

Dazu kommt das schleichende Verschwinden der sorbischen Spracheaus dem Alltag, die doch als wichtigster Schlüssel zum Erhalt einereigenständigen Identität gilt. In der Niederlausitz spricht nachErkenntnissen der Domowina so gut wie gar keine Familie mehr Sorbischmit ihren Kindern.

In Oberlausitzer Dörfern wie Crostwitz, Radibor und Ralbitz istdas Sorbische dagegen noch deutlich präsenter. Konsequent Sorbischgesprochen wird auch in den Mauern der sorbischen Institutionen: Werbei der Domowina oder der Stiftung für das Sorbische Volk anruft,wird demonstrativ auf Sorbisch begrüßt. Erst wenn sich der Anruferals Deutscher zu erkennen gibt, wechselt der Gesprächspartner dieSprache.

In der Öffentlichkeit fällt es den Sorben da schon schwerer, ihreMuttersprache anzuwenden. Jeder von ihnen habe schon einmal Sätze wie«Mit mir müssen Sie schon Deutsch sprechen» zu hören bekommen, wenner es auf Sorbisch probiert hat, erzählt Bozena Paulik vom Witaj-Sprachzentrum. «Irgendwann hat man dann Hemmungen, Sorbisch zusprechen.»

In dem 2001 gegründeten Sprachzentrum bündeln die Sorben ihreBemühungen um den Erhalt der Sprache. Die Einrichtung - Witaj heißtübersetzt Willkommen - genießt höchste Förderpriorität. Sie setztsich auf allen Ebenen für die sorbische Sprache ein: Dazu gehört diehartnäckige Forderung an Behörden, Schilder im sorbischenSiedlungsgebiet zweisprachig zu beschriften und in Ämtern auchMitarbeiter zu beschäftigen, die Sorbisch sprechen.

Was mancher Deutsche als Erbsenzählerei abtun könnte, ist fürPaulik ganz wesentlich. «Es geht um einen psychologischen Effekt. DieSorben sollen sehen, dass ihre Sprache präsent ist. Dann fällt ihnenauch das Sorbischsprechen einfacher.»

Im Zentrum der Bemühungen des Sprachzentrums stehen aber dieKinder. Das Witaj-Projekt ist für kleine Mädchen und Jungen gedacht,die nicht in ihrer Familie Sorbisch lernen. Sie sollen in derKindertageseinrichtung und später in der Schule spielerisch an dieslawische Sprache herangeführt werden.

Das laufe über so genannten Immersion, erläutert Paulik. DieErzieherin spricht mit den Kindern im Idealfall ausschließlichSorbisch, dadurch lernen diese die Sprache automatisch. «Dasfunktioniert sehr gut», sagt Paulik. 1998 wurde die erste Witaj-Gruppe mit 12 Kindern ins Leben gerufen. «Inzwischen gibt es 360Witaj-Kinder.»

Damit diese die sorbische Sprache aber nicht genauso schnellwieder vergessen, wie sie sie gelernt haben, müsse das Konzept imSchulbereich konsequent fortgesetzt werden, so Paulik. Für dieGrundschulen wurde in Sachsen das Konzept «2plus» entwickelt, daseinen gemeinsamen Unterricht für Schüler mit sorbischer und deutscherMuttersprache vorsieht. Die Umsetzung funktioniert laut Paulik aberbislang nicht wie erhofft.

Und neues Ungemach ist bereits in Sicht: Bereits 2003 wurde -trotz heftigen Widerstands - die sorbische Mittelschule in derGemeinde Crostwitz wegen zu geringer Schülerzahlen geschlossen: Nundroht in den kommenden Jahren zwei weiteren sorbischen Mittelschulendas Aus. Die Landesregierung verweist auf gesunkene Schülerzahlen,Sachsens Kultusminister Steffen Flath (CDU) beteuert: «Was dieStaatsregierung tun konnte, hat sie getan.»

Paulik wünscht sich mehr Autonomie der Sorben in SachenSchulpolitik. «Entscheiden dürfen wir überhaupt gar nichts»,kritisiert die 38-Jährige. Damit spricht sie ein Gefühl aus, das auchandere Sorben bewegt. Die Minderheit wird zwar bei allen für sierelevanten Fragen vom Gesetzgeber angehört und um Stellungnahmengebeten, abgestimmt wird dann aber meist ohne sie.

Damit sich das vielleicht eines Tages ändert, hat sich Ende Märzin Brandenburg die Serbska Ludowa Strona (SLS/Wendische Volkspartei)gegründet. Der Zulauf hält sich bislang allerdings in Grenzen. Vonden sorbischen Institutionen bekam die Partei keine Unterstützung.Die Domowina, die sich als Interessensvertreterin der Sorben sieht,distanzierte sich von der Initiative.

Auch die SLS sieht im Erhalt der sorbischen/wendischen Sprache denSchlüssel für die Zukunft der Sorben. In von den Katalanenabgeschauten «Zehn Sprachgeboten» empfiehlt sie den Sorben unteranderem: «Sprich Wendisch mit allen: auf der Straße, beimTelefonieren, auf Arbeit und sonst wo. Wenn Dich die andere Personversteht, bleib bei Wendisch, auch wenn Du eine deutsche Antworterhältst.»

Der wohl bekannteste Sorbe verfolgt die Diskussionen um Geld,Partei und Strukturen mit etwas Abstand - zumindest räumlichbetrachtet: der Schriftsteller Jurij Brezan. Die wichtigstensorbischen Einrichtungen haben in der Stadt Bautzen ihren Hauptsitz,viele von ihnen liegen nur einen Katzensprung voneinander entfernt.Brezan, auch er eine (lebende) sorbische Institution, wohnt dagegenin einem kleinen Flecken tief in der sorbischen Provinz. SeinHäuschen liegt direkt am Waldrand und sieht aus, als wäre es einemseiner unzähligen Bücher entnommen worden.

Brezan ist ein freundlicher Mann. Am 9. Juni wurde er 89 Jahrealt. Seit mehr als 50 Jahren schreibt er Bücher; mit Werken wie«Krabat oder die Verwandlung der Welt» hat er sich einen Namengemacht, weit über die Grenzen des sorbischen Siedlungsgebieteshinaus. In 25 Sprachen wurden seine Bücher übersetzt. Noch heutesitzt Brezan täglich mehrere Stunden an seinem Schreibtisch undarbeitet an neuen Werken.

Einen Teil seiner Bücher schreibt er auf Deutsch, einen Teil aufSorbisch. Früher hat er die meisten Werke in beiden Sprachenverfasst, einem Übersetzer wollte er sie nicht anvertrauen. Jetztmuss er sich entscheiden, beides zugleich ist ihm zu anstrengendgeworden. «Sorbisch ist meine Muttersprache, meine Angelegenheit»,sagt der 89-Jährige. «Andererseits soll mein deutsches Publikum nichtglauben, dass ich in Rente gegangen bin.»

Jurij Brezan erzählt Besuchern gerne Geschichten aus seinem langenLeben, und etwas zu erzählen hat er zweifelsohne: zum Beispiel vonseinem Besuch bei Martin Walser am Bodensee oder aus dem Krieg, alser einem Gestapomann ins Gesicht sagte: «Vielleicht liebe ichDeutschland mehr als Sie.» Brezan war im sorbischen Widerstand gegendie Nazis aktiv.

Die Diskussionen um die finanzielle Förderung der Sorben kann derSchriftsteller nicht so recht nachvollziehen. Deutschland sei einesder reichsten Länder der Welt. «Es geht nicht um das Geld. Es geht umdie Haltung gegenüber den Sorben, die nach anderthalb tausend JahrenUnfreiheit die Zusicherung freier Entwicklung nicht nur desIndividuums, sondern auch als Ethnikum vom demokratischen Deutschlanderhoffen und erwarten.»

Die Realität sei aber anders. Zwar lebten Deutsche und Sorbenmeist friedlich Seite an Seite, aber: «Die meisten deutschenMitbürger halten die Sorben, die Autochthonen (Eingesessenen) in derLausitz, für eine Art Untermieter, geduldet so eben und insgesamt zuteuer.» Die Mitarbeiterin einer sorbischen Einrichtung in Bautzendrückt die Stellung des kleinen Volkes drastischer aus: «Sorbe zusein, ist ein täglicher Kampf.»