Markus Wolf Markus Wolf: Der smarte Genosse Bond
Halle/MZ. - Der Mann war ohne Zweifel eine starke Persönlichkeit, und er wusste sich bestens in Szene zu setzen. Die erste Eigenschaft war, gepaart mit hoher Intelligenz, sicher eine Voraussetzung für seinen beruflichen Erfolg als Chef der DDR-Auslandsspionage. Die Lust am öffentlichen Darstellen hingegen hat "der Mann ohne Gesicht" von Berufs wegen jahrzehntelang nicht ausleben können. In der Nacht zum Donnerstag ist Markus Wolf 83-jährig in Berlin gestorben.
Dass sein Todestag so dicht am Jubiläum des Mauerfalls liegt, entbehrt freilich nicht der Ironie. Denn so sehr sich Wolf, der den Dienst an der unsichtbaren Front 1986 freiwillig quittiert hatte, im Herzen der sowjetischen Reform-Nomenklatura verbunden gefühlt haben mag - wie diese ging es ihm um den Erhalt, nicht um die Abschaffung des Systems. Das hat der Mann mit dem charmanten, einnehmenden Wesen und den kalten Augen nicht wirklich zu verschleiern versucht, aber wollte sich auch nicht so gern darauf festnageln lassen.
1997, als Markus Wolf die Stürme seines Nachwende-Lebens glücklich überstanden hatte, nach Moskau-Flucht und gescheitertem Asylbegehren in Österreich, nach Anklage-Erhebung gegen ihn und mehreren Prozessen kam er schließlich als lächelnder Medienstar mit einer Bewährungsstrafe aus allem heraus. Der Rechtsstaat hatte es gar nicht so schlecht mit ihm gemeint, Wolf nahm es mit lässiger Selbstverständlichkeit, etablierte sich nebenher mit Erinnerungsprosa und Enthüllungen aus der russischen Küche und ging mit seinen Memoiren auf Lesetournee.
Da ließ der Mann seine Talente blitzen: sprachbegabt, selbstbewusst bis zur Überheblichkeit und umflort von einer Aura jener Tschekisten-Macht, die der rote Bond gar nicht mehr besaß. Offiziell mochte er nicht so genannt werden, aber auch im Abwehren einer Schmeichelei kann sich Genuss offenbaren. Hofiert zu werden (auch durch respektvolle Interviewer) fand er schon sehr in Ordnung, Kritik wies er eisig ab. Die Verbrechen des Stalinismus seien doch Bestandteil des Systems, das er, Wolf, mitgetragen habe, rief ihm bei einer Lesung in Greifswald ein aufgebrachter junger Mann zu. "Sie können das ja so sehen, ich sehe es anders", antwortete der frühpensionierte Genosse Generaloberst unbewegten Gesichts. Das mag zu einem gewissen Teil verständliches Imponiergehabe eines altgedienten Beißers gewesen sein, der glaubt, sein Revier verteidigen zu müssen. Gleichwohl: Jene, die in ihm einen Hoffnungsträger entdeckten, müssen schon sehr verzweifelt an sich - oder aber sehr einverstanden mit ihm gewesen sein. Als er allerdings am 4. November 1989 zur Demonstration auf dem Berliner Alexanderplatz um Verständnis für seine Genossen bat, pfiff ihn das Volk aus.
Dabei war Wolf ein kluger, wo es ihm vonnöten schien auch konzilianter Mann. Natürlich sei er nicht froh darüber, dass der Sozialismus als mögliche Alternative verschwunden sei, sagte er 1997 der "Süddeutschen Zeitung". Die Gründe dafür hätten überwiegend "im Inneren, im DDR-System" gelegen: "Das tut weh". Aber "zurück zur DDR, wie sie war", wollte er nicht.
Dass Wolf seine Kraft für die DDR und gegen den Westen eingesetzt hat - ein Wunder ist das nicht angesichts seiner Biografie: Sein Vater, der Schriftsteller Friedrich Wolf (1888-1953), musste als Jude und Kommunist vor den Nazis aus seiner Heimat fliehen, der Sohn wuchs mit seinem Bruder, dem Regisseur Konrad Wolf (1925-1982, "Solo Sunny"), in der Sowjetunion auf - und empfahl sich wie dieser als Kader für das neue Deutschland, das mit Stalins strengem Segen aufgebaut werden sollte.
Seinen größten Coup landete Markus Wolf, der die "Hauptverwaltung Aufklärung" der Stasi leitete und 4 000 Auslandsagenten führte, mit der Platzierung Günter Guillaumes als Referent und Vertrauter von Bundeskanzler Willy Brandt (SPD). Zwar führte Guillaumes Enttarnung zum Sturz von Brandt, ein Imagegewinn für die DDR und ihre Stasi war der Fall aber allemal.
1979 war es ausgerechnet dem aus Mitteldeutschland stammenden Stasi-Überläufer Werner Stiller vorbehalten, den westlichen Diensten Markus Wolfs Aussehen zu enthüllen. Auch das ist eine Ironie des Agentengeschäfts. Wolf indessen, ganz Ehrenmann, hat seine Geheimnisse gut gehütet. "Unsereiner hätte sich gefreut, wenn er mehr zur Wahrheitsfindung beigetragen hätte", hat Erich Loest, Leipziger Schriftsteller und Stasi-Opfer, am Donnerstag lakonisch gesagt. Dem ist wirklich nichts hinzuzufügen.