1. MZ.de
  2. >
  3. Deutschland & Welt
  4. >
  5. Politik
  6. >
  7. Marine-Ausbildung: Marine-Ausbildung: «Segelschiffe sind Schulen des Charakters»

Marine-Ausbildung Marine-Ausbildung: «Segelschiffe sind Schulen des Charakters»

26.01.2011, 15:05

Halle (Saale)/MZ. - Das DDR-Segelschulschiff «Wilhelm Pieck» - 1990 in «Greif» umbenannt - wurde 1951 gebaut. Die 41 Meter lange Schonerbrigg gehörte zur Gesellschaft für Sport und Technik (GST). Die Ausbildung der rund 30 Kursanten an Bord dauerte in der Regel vier Wochen, es waren Lehrlinge der DSR (Deutfracht Seerederei) sowie Offiziersbewerber der DDR-Volksmarine. 27 Jahre lang befehligte Kapitän Helmut Stolle (68) das Schiff, dessen Stammbesatzung 13 Mann umfasste und dessen Heimathafen Greifswald ist. Mit ihm sprach unser Redakteur Wolfram Schlaikier.

Was ging Ihnen durch den Kopf, als sie vom Unfall auf der «Gorch Fock» gehört haben?

Stolle: Das ist natürlich eine schlimme Sache.

Ist die Ausbildung auf einem Segelschulschiff angesichts der modernen Technik beim Militär überhaupt noch zeitgemäß?

Stolle: Ja, denn Segelschiffe sind Schulen des Charakters. Nirgendwo ist man der Natur so nah. Und nirgendwo sonst leben junge Menschen so eng zusammen und trainieren gemeinsam. Wenn nun behauptet wird, das sei altertümlich oder Sklaverei, dann ist das Unsinn.

Warum?

Stolle: Es geht dabei nicht um Technik, es geht darum, spätere Offiziere und Kapitäne auszubilden. Die müssen Charaktereigenschaften haben wie Mut, Ausdauer, Kameradschaft und Teamgeist. Sie müssen Verantwortung übernehmen für sich und für andere, sie müssen sich ein- und unterordnen können, Rücksicht nehmen, Disziplin üben und sich selbst überwinden. Das alles muss man trainieren, um später, wenn man selbst das Kommando hat, seine Aufgaben erfüllen zu können.

Die Ausbildung ist also so hart, damit später niemand scheitert?

Stolle: Genau so ist es. Auch das Training in der Takelage, das so genannte Aufentern, hat einen Sinn. Das dient der Körperertüchtigung und der sicheren Handhabung der Segel. Das ist Fitnessprogramm für Seeleute, andere rennen in ein Studio, wir rennen in die Takelage. Auf der «Wilhelm Pieck» gab es sogar regelmäßigWettbewerbe: Backbord- gegen Steuerbordwache. Und was die Kommandos betrifft: Laien mögen die als Gebrüll empfinden, um aber einen Befehl von Deck aus in 30 Meter Höhe zu bringen, müssen sie laut rufen. Außerdem werden alle Kommandos durchgerufen, sprich von denjenigen wiederholt, die in der Nähe stehen, damit es alle mitbekommen. Einige junge Leute haben heute ein Problem mit Unterordnung, aber jeder Betrieb funktioniert nun mal so. Es ist eben eine einheitlich handelnde Truppe und keine Clique.

Apropos Verständigung. Wie funktioniert die unter solchem Druck zwischen Männern und Frauen?

Stolle: Ich habe die Erfahrung gemacht, dass Frauen häufig ehrgeiziger an sich arbeiten als so mancher junge Mann. Anderseits muss sich jeder - egal ob Mann oder Frau - vorher darüber klar sein, dass Belastungen zum Beruf eines Marineoffiziers gehören. Wer die nicht erträgt, der sollte sich für einen anderen Job entscheiden.

Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg hat den Kapitän der «Gorch Fock» seines Kommandos enthoben. Was halten sie davon?

Stolle: Der Minister versteht wohl nur wenig von Seefahrt und der Funktion eines Kapitäns. In meinen Augen ist das eine schlechte Führungstätigkeit.

Auf der «Gorch Fock» gibt es die Stammbesatzung und die Kadetten. Ist diese Zweiklassengesellschaft vielleicht der Knackpunkt?

Stolle: Ein Segelschulschiff ist ein schwimmender Lehrbetrieb. Wie an jeder Berufsschule gibt es Ausbilder und Lehrlinge. Damit muss man umgehen können. Es ist auch Aufgabe der Ausbildung, die Schüler zum Erfolg zu führen und ihre Begeisterung für die Seefahrt zu entwickeln.

Mitte der 80er Jahre bei der NVA haben wir uns regelmäßig mit Alkohol betäubt. Welche Rolle spielt Alkohol auf einem Segelschulschiff? Ist trinken überhaupt gestattet?

Stolle: Natürlich können Seeleute während der Freiwache etwas trinken oder ein Fest feiern. Wenn das im Rahmen bleibt, ist alles in Ordnung. Ich weiß nicht, wie das auf der «Gorch Fock» gehandhabt wird. Ich habe die Besatzung als gute Truppe kennen gelernt, von Alkoholexzessen weiß ich nichts.

Ist es nicht bizarr, wenn ein Offiziersanwärter auf einem Segelschiff erklärt, er sei erschöpft oder habe Höhenangst?

Stolle: Auch auf der «Wilhelm Pieck» hatten einige junge Leute anfangs Schwierigkeiten. Da haben sich die Jungs oft untereinander geholfen, manchmal fehlt bloß der Ruck eines Kameraden. Wenn ich einen Beruf erlerne, muss ich auch dessen Schattenseiten ertragen. Der Schornsteinfeger kann ja auch nicht sagen: «Ich finde meinen schwarzen Anzug zwar schön, aber aufs Dach gehe ich nicht.»