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Margot Honecker Margot Honecker: Die Volkserzieherin wird 85

Von Steffen Könau 13.04.2012, 15:15

Halle (Saale)/MZ. - Hilfe ist unterwegs, kurz vor dem 85. Geburtstag, den Margot Honecker am 17. April feiert. Hilfe aus Halle zudem, der Geburtsstadt der früheren First Lady der DDR, die mehr als ein Vierteljahrhundert als Bildungsministerin des selbsternannten Arbeiter- und Bauernstaates amtierte. Ein neuer Computer wird dieser Tage von der alten in die neue Heimatstadt Santiago de Chile gebracht. Ein Freund der Familie Honecker, der immer noch an der Saale lebt, bringt ihn vorbei und er hat versprochen, ihn auch gleich noch einzurichten.

Margot Honecker braucht die Technik, denn die Jubilarin ist auch zwanzig Jahre nach ihrem unfreiwilligen Abschied aus Deutschland gut beschäftigt. Drei bis vier Stunden täglich sitzt die Frau, die der Volksmund in der DDR wegen ihrer exotischen Haartönung despektierlich die "blaue Hexe" nannte, vorm Rechner, um im Internet zu surfen und per Mail Kontakt zu Freunden zu halten. "Sie ist immer noch hervorragend vernetzt", sagt der Verleger Frank Schumann, der vor der Wende beim FDJ-Blatt "Junge Welt" arbeitete und nach Erich Honeckers Flug ins Exil dessen "Moabiter Notizen" veröffentlichte.

Für Jahre blieb das der einzige Kommentar des einstmals mächtigsten Paares der DDR zur Wende und zum Ende des Staates, das die Volkserzieherin Margot Honecker an der Seite ihres Mannes prägte wie keine andere Frau. Nach dem Tod Honeckers tauchte die in der halleschen Torstraße aufgewachsene Tochter eines Schuhmachers mal bei einer Jubiläumsparade in Nicaragua auf, mal erschienen im Internet private Filmaufnahmen, in denen sie anlässlich des 60. Jahrestages der DDR verkündete, dass der Sozialismus siegen werde.

Erst im vergangenen Jahr brach Margot Honecker ihr Schweigen. Sie lud Schumann nach Chile ein und gab ihm - mit Blick auf den im Sommer anstehenden 100. Geburtstag ihres Mannes - eine Serie von Interviews. Der gebürtige Torgauer, der vom MfS als IM "Karl" geführt wurde, traf eine entspannte Seniorin, die "sehr gegenwärtig" gewirkt habe. "Bei Margot Honecker gibt es keine Ostalgie, sie sagt einfach, die Zeit des Wundenleckens ist vorbei", beschreibt Schumann. Da sei sie "weiter als viele hier in Deutschland". Gefühle zeigt Margot Honecker nicht, nicht einmal, wenn sie auf den Abriss des Hauses in der halleschen Torstraße angesprochen wird, in dem sie geboren wurde und als Tochter der überzeugten Kommunisten-Familie Feist aufwuchs. Sie sei nie sentimental gewesen, sagt sie: "Es war eine Mietskaserne, kein Palast, da ist es nicht schade drum."

Keine Spur Emotion für den Ort, an dem die später vom DDR-Volk doppeldeutig als "Miss Bildung" verspottete Hallenserin den späteren Dissidenten Wolf Biermann kennenlernte. Der war knapp zehn Jahre jünger und Enkel der später in einer Moritat besungenen halleschen Oma Meume, die Mukkefuk kochte und Schmalzbrot schmierte. So lebten die Arbeiterfamilien in Glaucha, so lebten Margot und Wolf. "Sie war ein aufrichtiger und eher freundlicher und guter Mensch", beschreibt der 1976 von Margots Ehemann ausgebürgerte Sänger, "hochintelligent, aber ungebildet".

Die Zeiten sind so. Beim Neuanfang zählt der Wille, nicht das Können. Als der Krieg vorüber ist, übernimmt Margot Feist sofort Funktionen im Jugendausschuss ihrer Heimatstadt, sie organisiert Ferienlager, sie will Lehrerin werden. "Aber immer, wenn ich nachfragte, hieß es, Du bist doch jetzt schon Jugenderzieher, wir müssen die Leute zu den Lehrgängen schicken, die nicht so viel Erfahrung haben wie Du." Die Zeiten sind so. Es zählt die Überzeugung, nicht die Ausbildung. Auch ohne Studium gelingt Margot Honecker eine Bilderbuch-Karriere. 1949 wird sie Chefin der Pioniere, 1950 jüngste Abgeordnete der Volkskammer. Anfang 1952 hat sie schon ein Verhältnis mit Erich Honecker, der als Vorsitzender der FDJ fungiert. Am 1. Dezember 1952 kommt die gemeinsame Tochter Sonja zur Welt. Ein Verstoß gegen die "sozialistische Moral", der SED-Generalsekretär Walter Ulbricht veranlasst, Honecker vor die Wahl zu stellen: Scheidung von Ehefrau Edith Baumann und Hochzeit mit Margot Feist. Oder ein schnelles Ende der Parteilaufbahn.

1953 heiraten beide. 20 Jahre später ist Erich Honecker erster Sekretär der SED, Vorsitzender des Verteidigungsrates und als Staatsratschef auch Regierungsoberhaupt der DDR. Seine Frau verantwortet die Bildungspolitik, deren Ziel die Erziehung der Jugend "zu staatsbewussten Bürgern" ist.

Ein Thema, über das Margot Honecker auch heute noch gern spricht. In einem Buch, das sperrig wie ein Lenin-Dekret "Zur Volksbildung" (Das Neue Berlin) überschrieben ist, gibt die inzwischen reinweißhaarige Rentnerin "bestimmt und präzise" (Schumann) Auskunft zu ihrer Sicht auf das Bildungssystem der DDR. Wissenschaftlich fundiert sei das gewesen, einheitlich und humanistisch, ausgerichtet auf einen Bruch mit der Tradition der Benachteiligung derer, die sich Schule und Studium finanziell nicht leisten konnten. Selbstsicher referiert Margot Honecker lange Zahlenkolonnen über neugebaute Schulen und Sporthallen. Sie begründet die ideologische Grundausrichtung der Schulen in der DDR damit, dass jedes Land sich das Recht nehme, seine Jugend im Sinne der herrschenden Weltanschauung zu erziehen. "Es gibt keine Moral unabhängig von Klasseninteressen" ist Margot Honecker bis heute überzeugt. Der Unterschied sei nur, dass dies inzwischen geleugnet werde.

Damals nicht, damals war richtig, was der Sache diente. Nur mehr Zeit hätte die DDR gebraucht, Zeit, die sie nicht bekam, weil der Feind am Ende von außen, von innen und aus der Sowjetunion Druck machte. Gorbatschow habe alle Weichen auf Untergang gestellt. "In grenzenloser Naivität oder aus Vorsatz", wie sie meint. "Dabei waren wir auf dem besten Wege." Da ist keine Reue, da folgt keine Entschuldigung. Nicht für die Zwangsadoptionen, nicht für Heimeinweisungen, nicht für Werkhöfe und Fahnenappelle. Margot Honecker steht wie ein Pathologe am Totenbett ihres Staates, nicht Tränen im Auge, sondern ein Skalpell in der Hand, um nachzuschauen, woran es lag, dass die Testperson plötzlich, wenn auch nicht ganz unerwartet verstorben ist.

Man müsse die DDR hinter sich lassen, die gemachten Erfahrungen aber auswerten und aus ihnen lernen, um es beim nächsten Mal besser zu machen, sagt sie. Das klingt wie der Satz von der Mietskaserne, um die es nicht schade ist. Frank Schumann, den Margot Honecker inzwischen einen "Vertrauten" nennt, versteht das. Margot Honecker verfüge über "manifeste Überzeugungen", die ihr "ein stabiles Koordinatensystem" gäben, nach dem sie "sehr souverän über richtig und falsch urteilt", glaubt der Pfarrerssohn.

"Man muss sich vorstellen, was sie hinter sich hat", sagt er. Vierzig Jahre ganz oben, dann der Sturz und die Inhaftierung des Mannes, den sie als "Kampfgefährten" bezeichnet. Danach Exil, ein Neuanfang in einem fremden Land, das Wiedersehen mit Erich, für den sie "meine Kleine" ist. Wenig später dessen Tod und mittlerweile fast ein Viertel des Lebens im Ausland. "Vielleicht kommt man auf ihre Art damit klar", sinniert Schumann.

Ihre Art, das ist im Grunde ein bis heute anhaltender Kriegszustand. Der Klassenkampf hört niemals auf, die Hoffnung stirbt zuletzt. Margot Honecker hat vor Jahren aufgehört zu rauchen, einmal im Jahr macht sie Urlaub auf Kuba, wo sie sich medizinisch durchchecken lässt. Die Frau ist hart, nicht nur zu anderen: Wenn Urlaubsgenossen wie die NVA-Generale Fritz Streletz und Heinz Keßler noch frühstücken, hat Margot Honecker einen Strandlauf hinter sich und die tägliche Zeitungsschau ist absolviert.

Im Gegensatz zu allem, was behauptet werde, sei die letzte Überlebende des inneren Führungskreises um Erich Honecker keineswegs "20 Jahre raus aus den deutschen Dingen", wie Schumann sagt. Margot Honecker lese, sie teile per Mail mit einem relativ großen Kreis Bekannter prinzipielle Gedanken, aber auch persönliche Einschätzungen.

Dass sie daheim in Deutschland als unbelehrbar und ewiggestrig bezeichnet werde, amüsiere sie nur. "Obwohl es keine Klassenschlachten mehr zu schlagen gibt, scheint es ihr, als ob der Sieger seinem Sieg über den Sozialismus selbst nicht richtig traut." Margot Honecker sympathisiere mit Attac, beobachte Bewegungen wie Occupy Wall Street und habe aufmerksam notiert, wie Kritiker aus dem Herzen des Systems den Kapitalismus nach der Finanzkrise totzusagen begannen. Sie sei sicher, dass das letzte Wort über das Wirtschaftssystem der Zukunft noch nicht gesprochen sei. Und bis dahin halte sie es mit einem Satz von Egon Krenz: "Lieber ein Betonkopf als ein Weichei."