FDP-Bundesparteitag Lindner schwört FDP-Mitglieder auf Parteitag auf die Zukunft der digitalen Gesellschaft ein

Berlin - Christian Lindner geht es nicht gut. Deutliches Schniefen tönt aus den Lautsprechern, als er mit bewegten Worten Guido Westerwelle und Hans-Dietrich Genscher würdigt. Doch den FDP-Vorsitzenden übermannt nicht etwa die Rührung beim Gedenken an seine beiden jüngst gestorbenen Amtsvorgänger.
Der 37-jährige ist schlicht verschnupft. Trotzdem kämpft er sich tapfer durch seine annähernd eineinhalbstündige Rede zum Auftakt des Parteitags der Freien Demokraten. Und selbstverständlich schafft er, was er immer schafft: Er begeistert die Delegierten. „Was eine Knallerrede“, twittert einer von ihnen. „Wer 2017 nicht @fdp wählt, ist selber schuld.“
Aktuell besser
Hier, in der kargen Industriearchitektur der Berliner „Station“, haben sie nach dem tiefen Fall aus dem Bundestag vor fast drei Jahren ihre Wunden geleckt. Nun feiern sie den Aufstieg. „Jetzt haben wir die Trendwende gemeinsam erreicht“, verkündet der Vorsitzende. Ausnahmsweise widersprechen selbst die bei dieser Partei stets besonders kritischen professionellen Beobachter nicht.
Die Umfragen mit sieben Prozent und mehr sind eindeutig. Die Ergebnisse Landtagswahlen seit 2013 auch. Selbst in Sachsen-Anhalt haben nur wenige Stimmen gefehlt, um die außerparlamentarische Opposition zu verlassen. Der FDP geht es aktuell besser als ihrem Vorsitzenden.
Das Motto verstehen nicht alle
Da macht es auch nichts, wenn viele Delegierte das Motto der Veranstaltung nicht wirklich verstehen. „Beta Republik Deutschland“ steht da gelb auf Blau an der Stirnwand der Halle. Es klingt jedenfalls nach irgendwas mit Computer. Also nach Zukunft. Deshalb beschäftigt sich der Leitantrag, also das zentrale Dokument der Veranstaltung, auch mit den Chancen der digitalen Gesellschaft. Er gipfelt in der Forderung nach einem Bundesministerium, das alle einschlägigen Kompetenzen bündelt.
„Die Freien Demokraten waren noch nie so geschlossen wie heute“, behauptet zum Abschluss der Veranstaltung Generalsekretärin Nicola Beer. Das sei das Geheimnis ihres aktuellen Erfolges. Mag sein. Aber in der Opposition ist Geschlossenheit ziemlich einfach. Da hat Guido Westerwelle die Partei vor Jahren zu einem neoliberalen Kampfverband geformt.
Risse in Geschlossenheit
Auch die neue Geschlossenheit zeigt die alten Haarrisse. In der Sozialpolitik ist keineswegs unumstritten, zu wieviel Vorsorge Menschen verpflichtet werden sollen, damit sie im Alter nicht verarmen. Auch das Bekenntnis zum Datenschutz ermöglicht unterschiedliche Positionen in der Frage, wie viele Daten über die Gesundheit der Menschen und zu welchen Bedingungen gespeichert werden sollen. Der Parteitag findet mehrheitsfähige Kompromissformulierungen, deren Realitätstüchtigkeit sich erst in Regierungshandeln erweisen kann.
Aber nicht um jeden Preis. Darauf legt der Vorsitzende wert. Zwar stehe seiner Partei „die CDU politisch unverändert am nächsten", betont Christian Linder. Aber unter Angela Merkel habe die Union ihre „politische Identität in den letzten Jahren völlig aufgegeben“. Deshalb bedeute eine rechnerische „schwarz-gelbe Mehrheit irgendwo und irgendwann auch nicht mehr automatisch, dass es zu einer schwarz-gelben Regierung“ komme. Notfalls geht es sogar in einer Ampel unter Einschluss der Grünen, wie gerade in Rheinland-Pfalz.
Etwas unspektakulär endet der Parteitag mit dem Appell, die nicht mehr benötigten Unterlagen am Ausgang der ehemaligen Berliner Eisenbahnhalle zu entsorgen. Auch in der schönen neuen Beta-Welt, in der die FDP ihre politische Software ausprobieren möchte, quellen die guten alten analogen Papierkörbe über.