Landtag in Sachsen-Anhalt Landtag in Sachsen-Anhalt: Statt kleiner immer größer

Magdeburg - Es war eine der schwersten politischen Geburten in der zu Ende gehenden Wahlperiode: die Verkleinerung des Landtages, nachdem in Sachsen-Anhalt die Bevölkerung seit Jahren schrumpft. Statt 91 soll es nach dem Landtagswahl im März 2016 nur noch 87 Mandate geben - je zwei Direkt- und zwei Listenmandate weniger. Soweit die Theorie. Tatsächlich aber, das haben Berechnungen der Landtagsverwaltung ergeben, die der MZ vorliegen, dürften künftig noch mehr Abgeordnete im Parlament sitzen, als dies bisher der Fall ist. Derzeit sind es 105, künftig könnten es sogar 108 sein. Damit würde Sachsen-Anhalt weiter das zweitgrößte Parlament aller Flächenländer nach dem Saarland haben.
Kompliziertes Wahlgesetz
Grund ist ein kompliziertes Wahlgesetz, das zahlreiche Überhang- und Ausgleichsmandate zulässt. Das Rechenexempel stützt sich auf die jüngste Umfrage von Infratest-Dimap im Auftrag des MDR. Demnach kommt die CDU auf 34, die Linke auf 26, die SPD auf 21 und die Grünen auf sieben Prozent der abgegebenen Stimmen. Fünf Prozent entfielen auf die AfD, die erstmals im Landtag vertreten wäre. Der Berechnung zugrunde gelegt wird zudem eine fiktive Wahlbeteiligung von 50 Prozent - etwas niedriger als 2011, aber höher als 2006.
Darüber hinaus wird davon ausgegangen, dass die CDU erneut im Gros der Wahlkreise die Direktmandate holt - und zwar 40 - und die Linken drei. Das ist eine durchaus wahrscheinliche Annahme angesichts der Wahlergebnisse bei den zurückliegenden drei Wahlen. Die CDU hätte damit 40 Sitze und damit mehr, als ihr laut Zweitstimmenanteil zustehen. Diese Überhangmandate bleiben ihr jedoch erhalten, werden aber durch Ausgleichsmandate für die anderen Parteien ausgeglichen, mit denen die Sitzverteilung im Landtag wieder dem Zweitstimmenergebnis angepasst werden soll.
Bis zu 115 Sitze möglich
Das hat jedoch zur Folge, dass der Landtag auf 108 Sitze anwachsen würde. Würde die Union sogar alle Wahlkreise direkt gewinnen, wüchse der Landtag bei den derzeitigen Abständen zwischen den Parteien sogar auf 115 Sitze an. Natürlich birgt die Berechnung noch Unsicherheiten, Klarheit wird es erst nach der Wahl geben. Doch bereits jetzt ist man sich im Parlament der Brisanz mitten im laufenden Landtagswahlkampf bewusst. Denn die Berechnung belegt, dass die Parlamentsreform zur Reduzierung der Sitze eher kosmetischer Natur war. „Ganz klar ist, dass wir aber nach der Wahl den Landtag nicht unter 100 Abgeordnete bekommen, das war unser erklärtes Ziel“, sagte die Parlamentarische Geschäftsführerin der SPD-Fraktion, Petra Grimm-Benne.
In Sachsen-Anhalt gibt es ein personalisiertes Verhältniswahlrecht, eine Mischung aus Verhältnis- und Direktwahl. Bei der Direktwahl wird ein Teil der Kandidaten direkt vom Wähler über die Erststimme bestimmt. Der Vorteil ist, dass die Wahlberechtigten unmittelbar Einfluss auf die Besetzung des Landtages haben. Als gewählt gilt der Direktwahlkandidat des Wahlkreises, der die meisten Stimmen auf sich vereinen kann. Der Nachteil des Systems ist, dass die Wahlentscheidung indirekt natürlich auch durch Einflussnahme einzelner Parteien bestimmt wird.
So kann es vorkommen, dass besonders viele Direktkandidaten einer Partei ins Parlament einziehen. In Sachsen-Anhalt trifft dies seit 2002 auf die CDU zu. Sie hat daher großes Interesse daran, den Anteil der Direktwahl im Wahlverfahren mindestens konstant zu halten oder gar zu vergrößern.
SPD, Linke und Grüne wollen hingegen das Verhältniswahlrecht stärken. Der Vorteil: Es berücksichtigt bei der Verteilung der Sitze im Landtag das tatsächliche Wahlergebnis. Der Nachteil: Die Kandidaten werden vor der Wahl auf einer Liste festgelegt. Einfluss auf deren Gestaltung hat nur die jeweilige Partei, nicht aber der Wähler selber.
Ihr CDU-Kollege Siegfried Borgwardt verwies zwar darauf, „dass solche Rechenbeispiele von Annahmen ausgehen, die in ihrer Komplexität höchst spekulativ sind“. Doch auch er räumte indirekt ein, dass die Gefahr einer erneuten Vergrößerung des Landtages sehr wohl realistisch ist: „Die Union wäre für eine umfangreichere Wahlrechtsreform offen gewesen, diese war aber unter den anderen Fraktionen nicht mehrheitsfähig.“
In der Tat hatten nicht nur die SPD, sondern auch Linke und Grüne eher ein Interesse daran, das Verhältniswahlrecht zu stärken - also die Verteilung der Mandate über vorher festgelegte Listen der Parteien. Die CDU hingegen tendiert stärker zum Mehrheitswahlrecht - also der Direktwahl von Kandidaten vor Ort. In Sachsen-Anhalt gibt es eine Mischung aus beiden Verfahren. (mz)